Gut geredet ist in Österreich schon viel, und wenn dann noch ein Neustart total der alten Koalition angekündigt wird, macht selbst der Partner gute Miene zum roten Spiel. Was bleibt ihm fürs Erste schon übrig? Sind sie doch meist vereint in der Angst vor allem, was sonst noch kommen könnte, aktuell etwa ein Bundespräsident mit der Naziblume im Knopfloch als Repräsentant der Republik in der Welt. Zwischen dem sofortigen Selbstmord per Neuwahlen und dem Selbstmord auf Raten durch Weiterwursteln bis 2018 ist Christian Kern auf die Alternative ausgewichen, die das Rettende vielleicht wachsen lässt: Er hat sich, vor den Medien rhetorisch, vor den Abgeordneten programmatisch, an die Spitze des Protests gegen die Zustände katapultiert, in die das Land unter seinem Vorgänger geschlittert ist. Er hat damit zunächst dem drängenden Bedürfnis nach politischer Führungsqualität entsprochen, nun steht die Erfüllung dieses Bedürfnisses aus. Die Erwartungen sind überspannt, die Zeit ist knapp.

Geht es doch um nicht weniger, als in zwei Jahren das an politischem Ansehen zurückzugewinnen, was in vielen Jahren verspielt wurde – für diese Koalition und im Falle Kerns als künftiger Parteivorsitzender auch für die SPÖ, sofern diese ihren Führungsanspruch aufrechterhalten will. Das erscheint heute, auch angesichts der Entwicklungen in anderen Ländern, als eine schier unlösbare Aufgabe. Nur noch wenige Monate trennten Österreich vom endgültigen Aufprall, sollte nicht Schluss sein mit Versessenheit (Macht) und Vergessenheit (Zukunft), malte Kern das Katastrophenszenario noch schwärzer als die Opposition – und sich selbst als "die letzte Chance der SPÖ".

Aufbruchsstimmung aus der Endzeitbeschwörung zu destillieren kann für kurze Zeit funktionieren. Was sich rasch einstellen müsste, ist der Aufbruch, und der hängt in der Regierung nicht nur von wechselseitiger Freundlichkeit ab, sondern auch davon, wie weit man in der ÖVP nun eine stärkere sozialdemokratische Handschrift hinzunehmen bereit ist, die Kern sichtbar machen muss, will er seiner darniederliegenden Partei endlich wieder neue Wahlchancen eröffnen. Die Koalitionspartner haben bisher Interessengegensätze durch wechselseitiges Piesacken ausgetragen, und das hat offensichtlich beiden nicht gut getan. Auch unter einem neuen Regierungschef werden sich diese Gegensätze nicht automatisch auflösen. Ein "New Deal" kann sie nur so weit mildern, dass beide damit weiterleben können – vorausgesetzt, alle Beteiligten wollen das überhaupt.

Und ob das alle in der Volkspartei wollen, ist nicht sicher. Vielen war schon die Steuerreform zu viel, und das Interesse an einem Koalitionspartner im Aufwind unter einer dynamischen Führung hält sich dort sicher sehr in Grenzen. Auch wenn Lopatka mit seiner vorauseilenden Kritik an Kern zurückgepfiffen wurde, heißt das nicht, dass er mit seiner Haltung in der ÖVP allein dasteht. Wie viele aus diesen Kreisen am Sonntag für einen Präsidentschaftskandidaten der FPÖ stimmen, wird für das Wahlergebnis ausschlaggebend sein. Ein Kandidat, der verspricht, eine Entlassung der Regierung wäre kein Problem, könnte sich da als hilfreich erweisen. (Günter Traxler, 19.5.2016)