Der nächste türkische Regierungschef: Langzeitminister Yıldırım, ein enger Vertrauter von Staatspräsident Erdoğan, ist einziger Kandidat für die Nachfolge von Ahmet Davutoğlu in Partei und Regierung.

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Ankara/Athen – Der Saal steht wie auf ein Kommando auf, klatscht zur Jubelnachricht, und während er sich mit einer Verbeugung beim Publikum bedankt, knöpft Binali Yıldırım geübt das Sakko zu, das sich vor dem Bauch spannt. Alles läuft glatt, alles läuft schnell am Donnerstagmittag am Sitz der türkischen Regierungspartei AKP in Ankara. So, als ob der erzwungene Abtritt von Partei- und Regierungschef Ahmet Davutoğlu und die Berufung seines Nachfolgers Yıldırım die normalste Sache der Welt sind.

Der 60-jährige Minister für Verkehr, Schifffahrt und Kommunikation scherzt, als er ans Mikrofon gebeten wird. Yıldırım ist der gemütliche Großvater aus Anatolien, scheinbar das Gegenstück zum stets grimmigen Staatschef. Doch Yıldırım gilt zugleich als einer der engsten Gefolgsleute von Tayyip Erdoğan. Am Donnerstag ist er zum alleinigen Kandidaten für das Amt des Parteivorsitzenden erklärt worden. Es hat zuvor eine Befragung von Parteigliederungen und Parlamentsabgeordneten der konservativ-islamischen AKP gegeben, die seit nun mehr als 13 Jahren das Land regiert. Yıldırım wurde demnach der Vorzug gegeben vor Bekir Bozdağ, dem ebenfalls eng zu Erdoğan stehenden Justizminister, und Numan Kurtulmuş, dem Regierungssprecher.

Doch niemand bezweifelt, dass nur Erdoğan bestimmt, wer beim eilig einberufenen Sonderparteitag am Sonntag den Sessel des Parteichefs übernimmt und dann als Premier angelobt wird. Erdoğan selbst ist laut Verfassung zur Unparteilichkeit verpflichtet und kann derzeit nicht selbst weiter die AKP führen, die er 2002 gegründet hatte.

Mission Verfassung

Die Hauptaufgabe des designierten Regierungschefs Yıldırım ist, rasch eine Präsidialverfassung durchzuboxen, wie sie Erdoğan wünscht. Ahmet Davutoğlu, Erdoğans langjähriger Berater und Außenminister, der 2014 die Ämter des Premiers und Parteichefs vom neugewählten Staatspräsidenten übernahm, ließ es hier an Enthusiasmus fehlen. Das war einer der Gründe, weshalb sich der Premier nicht mehr halten konnte. Davutoğlu gab vor zwei Wochen seinen Rückzug bekannt, nachdem das von Erdoğan kontrollierte Führungsgremium der Partei seine Kompetenzen als Vorsitzender beschnitten hatte. Yıldırım, der schon länger als Rivale und potenzieller Nachfolger Davutoğlus gehandelt wurde, hatte auch seine Unterschrift unter die Teilentmachtung des Parteivorsitzenden gesetzt.

In seiner kurzen Dankesrede nach der Nominierung zum Kandidaten vermied Yıldırım das Thema Präsidialverfassung. Stattdessen sprach er vom Geist der Brüderlichkeit in der Partei und der Unterstützung für den "Gründer und Führer" der AKP. Der Weg zu einer neuen Verfassung ist auch nicht eben einfach. Für eine Verfassungsänderung fehlt der AKP die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Für die Organisation eines Referendums ist das Quorum niedriger, aber Yıldırım müsste immer noch mindestens 14 Abgeordnete aus der Opposition finden. Neuwahlen mit der Hoffnung auf einen Erdrutschsieg sind die andere Option.

Neues Kabinett

Yıldırım wird nach seiner Wahl zum Parteichef und der Ernennung zum Premier bereits am Montag eine neue Regierung bilden. Anders als bei Davutoğlu wird ein reines Erdoğan-Kabinett erwartet. Als letztes Mitglied aus dem Wirtschaftsteam des früheren Vizepremiers Ali Babacan könnte dabei auch der nunmehrige Staatsminister für die Wirtschaft, Mehmet Şimşek, die Regierung verlassen. Kolportiert werden zudem Rücktrittsabsichten des langjährigen Vizeparteichefs Mehmet Ali Sahin. Davutoğlu selbst will als einfacher Abgeordneter im Parlament bleiben. (Markus Bernath, 19.5.2016)