Traditionell übt der Bundespräsident seine Machtbefugnisse im politischen Alltag nicht oder nur in wenigen Fällen aus – und wenn, dann in der Regel eher diskret ("Rollenverzicht"). Dem Staatsoberhaupt wurden seine sehr weitreichenden Kompetenzen durch die Bundesverfassungsnovelle 1929 verliehen, und zwar als Machtreserve für Krisenzeiten. Dies insbesondere, um eine gegen die Verfassung verstoßende Bundesregierung entlassen, einen Staatsstreich verhindern oder um in einer anders gearteten Notsituation schweren Schaden vom Land abwenden zu können.
Bereits in der Ersten Republik trat eine Situation ein, in welcher der Bundespräsident diese seine Machtreserve hätte nutzen müssen. Bundespräsident Wilhelm Miklas tat genau das jedoch nicht. Vielmehr nutzte er keine einzige seiner zahlreichen Kompetenzen und sah dem austrofaschistischen Putsch gegen die demokratische Republik im März 1933 tatenlos zu – die Ursachen hiefür sind interessanterweise noch immer nicht genau erforscht. Blieb er, wie manche meinen, aus Feigheit passiv? Möglicherweise auch aus Opportunismus oder aus Loyalität seiner Christlichsozialen Partei und eben nicht der verfassungsmäßigen Ordnung gegenüber? Den Rollenverzicht in dieser Extremsituation weitergeübt zu haben führte jedenfalls – das ist gesichert – direkt in die Katastrophe.
Der Fall Miklas ist ein Lehrbeispiel dafür, dass Ämter wie jenes des Bundespräsidenten, das neben seiner staatsnotariellen Komponente vor allem der Absicherung der verfassungsmäßigen Ordnung in Krisenzeiten dient, mit starken und hehren Persönlichkeiten besetzt werden müssen. Diese sollten keine zu starken Anbindungen an politische Parteien haben – was in der anstehenden Stichwahl jedoch keiner der beiden Kandidaten von sich behaupten kann. Vor allem sollte man sich davor hüten, ein solches Amt Feiglingen, braven lebenslangen Parteidienern oder angepassten Duckmäusern zu übertragen.
Im Herbst 2015 hat Österreich den zweiten Fall eines äußerst unheilvollen Rollenverzichts erlebt: Heinz Fischer schwieg wochenlang und tat nichts, als die Bundesregierung drei Wochen lang über den Begriff Zaun diskutierte, während täglich ungefähr 15.000 illegale Einwanderer Österreichs Grenzen überrannten; er schwieg zu einem Bundeskanzler, der in der schwersten Staatskrise der Republik Wohlfühltermine wahrnehmen zu müssen glaubte; er schwieg zu einem Bundeskanzler, von dem man in dieser Krise zwei Wochen lang nicht wusste, was er beruflich so macht.
Und dann aufs WC ...
Ein verantwortungsbewusstes Staatsoberhaupt hätte sofort die Regierung zu sich zitiert und diese zur Rede gestellt, bei Uneinsichtigkeit ein Ultimatum gesetzt. Dieses hätte lauten müssen: "Geben Sie binnen 48 Stunden bekannt, wie Sie die Kontrolle über unsere Grenzen wiederherstellen wollen. Wenn die Frist fruchtlos verstreicht, wird die Bundesregierung entlassen und bis auf weiteres aus Sicherheitskreisen ein Beamtenkabinett bestellt!"
All das ist in verantwortungslosester Weise unterlassen worden. Von wem? Von Fischer, dem Bundeskanzler Kreisky nachgesagt haben soll, er verschwinde, wenn es brenzlig werde, immer auf das WC und komme wieder, wenn die Lage sich wieder beruhigt habe. Die Folge: Es sind seit der Eskalation der Asylkrise Zigtausende, wenn nicht gar hunderttausend Menschen nach Österreich illegal eingewandert. Alle von ihnen tauchen in Summe als große acht- und neunstellige Eurobeträge auf der Ausgabenseite unseres Staatsbudgets auf – auch wenn sich sämtliche Verantwortlichen nach Kräften bemühen, sie dort nicht auftauchen zu lassen. Einige von ihnen sind untergetaucht, viel zu viele wiederum in der Kriminalstatistik aufgetaucht – als täglicher "Einzelfall". Für viele von ihnen wird auch ein rechtskräftiger negativer Asylbescheid ein folgenloser Fetzen Papier bleiben, da sie trotz nichtvorhandener Asylgründe nicht mehr außer Landes gebracht werden können.
Ich möchte so eine beängstigende Situation wie im Herbst 2015 nicht noch einmal erleben und mich dabei als Bürger dieses Landes nicht noch einmal ohnmächtig und missbraucht fühlen müssen. Ich will einen Bundespräsidenten, der eine Regierung entlässt, wenn sie die Verfassung mit Füßen tritt; einen Bundespräsidenten, der die nötige Durchsetzungskraft und vor allem den nötigen Durchsetzungswillen hat gegenüber einer Verschlepper-, Vertager- und Versagerregierung, wie wir als Steuerzahler eines Höchststeuerlandes sie die letzten bald drei Jahre erdulden mussten.
Wenn die nächste Asylwelle kommt, ein Reservesultan in Ankara also die Schleusen öffnet, um der Asylromantikerin im Berliner Kanzleramt kurz den Herrn zu zeigen, dann wird diese endzeitlich anmutende Situation sich uns vielleicht bald wieder darbieten. Und dann will ich jemanden in der Hofburg haben, der bereit ist, Volk und Staat vor der eigenen Regierung zu schützen. (Felix Karl Vogl, 19.5.2016)