Ankunft im neuen Flüchtlingslager Körmend in Ungarn. Die Unterkunft auf dem Gelände einer Polizeifachschule ist auf rund 300 Personen ausgelegt.

Foto: Gregor Mayer

Zwölf Kilometer – so weit ist es von der westungarischen Kleinstadt Körmend bis zum nächstgelegenen Grenzübergang nach Österreich. Für mehr als 200 Asylwerber im örtlichen Flüchtlingscamp ist das keine theoretische Distanzbestimmung. Denn fast alle von ihnen haben nicht vor, in Ungarn zu bleiben.

Das Lager in Körmend wurde erst am 2. Mai in Betrieb genommen. Es besteht aus mehreren weißen Zelten, die auf dem Gelände einer Polizeischule stehen, und ist auf 300 Personen ausgelegt. Die volle Auslastung soll dieser Tage erreicht werden. Nach Auskunft des ungarischen Migrationsamts (BÁH) logieren hier ausschließlich Männer, die in Ungarn Asylanträge gestellt haben, schon in anderen Lagern waren und auf das Ende des Asylverfahrens warten.

"Die Zelte sind eng und feucht"

Für Medienvertreter ist das Camp in der Polizeischule nicht zugänglich, die dort untergebrachten Asylwerber dürfen sich aber frei in der Kleinstadt bewegen. Der 35-jährige Sheikh Sultan Mahmoud aus Bangladesch kommt gerade von einem Spaziergang zurück. "Ich verstehe nicht, warum man uns hierhergebracht hat. Das Essen ist schlecht, meist gibt es nur Brot und Ölsardinen, und die Zelte sind eng und feucht."

Die letzten zweieinhalb Monate hat Mahmoud im Lager Bicske, 30 Kilometer westlich von Budapest, verbracht. Dort gibt es feste Gebäude mit Zimmern, in denen sich die Bewohner zumindest einen Rest an Privatsphäre bewahren können.

Dubai, Oman, Iran, Türkei

Der schmächtige Mann aus Bangladesch mit den kräftigen Backenknochen hat eine Odyssee hinter sich. 2009 ging er nach Dubai, wo er als Klimaanlagentechniker arbeitete. Er zog weiter in das Sultanat Oman, dann in den Iran, später in die Türkei. Über die östliche Ägäis und die noch offene Balkanroute gelangte er im Herbst bis an die serbisch-ungarische Grenze. Dort stand aber bereits der Zaun, den der ungarische Regierungschef Viktor Orbán an den Grenzen zu Serbien und Kroatien hatte errichten lassen.

Mahmoud schlüpfte durch eines der Löcher, das jemand in die Sperranlage geschnitten hatte. Er wurde in Ungarn festgenommen, vor Gericht gestellt und zur Abschiebung verurteilt. Da aber Serbien kaum mehr Flüchtlinge von Ungarn zurücknimmt, kam er ins geschlossene Lager in Kiskunhalas in Südungarn – er sagt "Gefängnis" – und schließlich in das offene Lager Bicske bei Budapest.

Durch alle Instanzen

Als die Rede auf die verführerische Nähe seines neuen Aufenthaltsorts zu Österreich kommt, grinst er breit: "Ich habe einen Asylantrag in Ungarn gestellt", sagt er. "Ich warte das Ende ab. Ist der Bescheid negativ, gehe ich in Berufung, durch alle Instanzen." Wird sein Antrag definitiv negativ beurteilt, dann "bin ich ein freier Mann", meint er. Die ungarischen Behörden würden sich für ihn dann nicht mehr interessieren, und er würde gehen können, wohin er wolle, glaubt Mahmoud.

Das würde das ungarische Migrationsamt so nie zugeben, aber die Zahlen der Behörde sprechen für sich. Während von Anfang des Jahres bis Ende April 12.000 Flüchtlinge in Ungarn registriert wurden, hielten sich zum Stichtag 30. April gerade einmal 1.777 Asylwerber in ungarischen Lagern auf.

14 bereits verschwunden

Auch die spezifische Lage des neuen Camps Körmend redet das BÁH klein. Wegen der Überfüllung der bisherigen Lager habe man "schnell entscheiden" müssen, heißt es auf eine Anfrage des STANDARD. "Die Polizeifachschule in Körmend verfügt über ein Gelände mit entsprechender Fläche und Ausstattung, um Asylwerber schnell unterzubringen und zu versorgen." 14 Flüchtlinge aus Körmend sind nach BÁH-Angaben bereits in den ersten acht Tagen verschwunden – "Aufenthalt unbekannt".

Die flüchtlingsfeindlichen Kampagnen der Orbán-Regierung führen dazu, dass die Bevölkerung auf die Errichtung neuer Lager mit großen Ängsten reagiert. In der ersten Maiwoche kam es zu einer kleinen Massenhysterie, weil Flüchtlinge ein Fenster der Sporthalle eingeschlagen haben sollen, um trainierende Handballjuniorinnen begaffen zu können. Orbáns rechte Hand, Kanzleramtsminister János Lázár, sprach von "sexueller Belästigung".

Keine Zeugen

Am Ende stellte sich heraus, dass tatsächlich eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen war. Niemand sah aber einen Asylwerber als Verursacher, und niemand sah, dass jemand vom Lagerpersonal die Flüchtlinge vom Fenster weggescheucht hätte, wie ursprünglich berichtet worden war. Die wahrscheinliche Erklärung: Flüchtlinge saßen auf dem Fensterbrett mit dem Rücken zur Scheibe und drückten diese versehentlich ein. (Gregor Mayer aus Körmend, 20.5.2016)