Shiatsu-Therapeuten richten sich nach den Meridianen: Eine asiatische Betrachtung des Körpers, die den Energiefluss im Körper wiederherstellt.

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Einladung zu Shiatsu im Park

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Wien – Ein spartanisch ausgestatteter Behandlungsraum, eine breite Matte auf dem Boden, eine Decke. Mehr braucht Florian Ach in seiner Praxis in der Leopoldstadt nicht, um loszulegen. Und der, der hier zu liegen kommt, muss auch nur eines tun, und zwar loslassen, und das, während Achs Hände sich vorantasten. Und tatsächlich: Die Arme werden locker, die Atmung ist tief. "Es geht nicht um ein oberflächliches Wohlfühlgefühl, sondern um eine Entwicklung, ein echtes Zu-sich-selbst-Finden", sagt Florian Ach.

Es ist eine eindrückliche Erfahrung, sich von einem Shiatsu-Praktiker berühren zu lassen. Mit sanften Griffen werden Muskeln, Knochen und Gelenke bewegt und darüber hinaus Techniken wie Dehnungen, Rotationen oder Schaukeln angewendet. Worum es dabei geht? Darum, die Beweglichkeit zu erhalten. Einer wie Florian Ach legt auch Wert darauf, nicht nur einzelne Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen in das Zentrum der Behandlung zu rücken, sondern er versucht, eine positive Wirkung auf den Gesamtzustand zu erreichen.

Qi fließen lassen

Auf Japanisch heißt "Shi" Finger und "Atsu" Druck. Shiatsu ist eine Variante der Akupressur, bei der durch Druckmassage rund 360 Körperpunkte entlang der Meridiane aktiviert werden. Ziel ist es, die Lebensenergie Qi wieder ungehemmt durch den Körper fließen zu lassen. Und das fühlt sich sehr gut an. Plötzlich zucken die Muskeln spürbar, in gewissen Momenten beginnt der Körper zu vibrieren. Man schläft jedenfalls nicht ein. Gut so.

Es ist ja sattsam bekannt, dass wir in stressigen Zeiten leben. Und je mehr man sich im Stückwerk des Alltags verschleißt, desto mehr wächst die Sehnsucht nach Ausgleich für Körper, Seele, Geist. Manche Leute wissen gar nicht, wie gestresst sie sind. Erfolgreich kann eine Behandlung sein, wenn "Zeichen der Entspannung zu spüren sind, ein Gefühl der Wärme entsteht und man wirklich abschaltet." Dann kann das Fingerdrücken auch in tieferen Körperschichten weitergehen.

Spannung und Entspannung

Eine Klientin befreite Ach von ihren chronischen Handgelenksschmerzen nach einem Autounfall, am häufigsten können Haltungsschäden durch Büroarbeit gelindert werden. Es gibt aber auch schwierigere Fälle. Die Beziehung zwischen dem Praktiker und seinem Patienten muss deshalb beim Shiatsufunktionieren, damit Positives entstehen kann. Der achtsame Kontakt steht im Vordergrund. Eine Hand ist die ruhende, eine die wandernde. Ob beruhigt oder tonisiert wird, hängt von der Tiefe der Berührungen ab. Shiatsu ist aber keine Streicheleinheit. Einige Griffe können durchaus fester sein. Im Idealfall sollte sich der Patient fallen lassen können.

Shiatsu, das am Anfang des 20. Jahrhunderts aus der traditionellen chinesischen Massage Tuina hervorging, ist jedenfalls keine esoterische Eintagsfliege. Zwar gibt es laut Schulmedizin keinen eindeutigen Beweis für ein Existieren von Meridianen, doch die Überzeugung, dass Shiatsu und Akupressur schmerzlindernd wirken, wächst auch unter den Ärzten. Als Beruf ist Shiatsu in Österreich als eigenständiger Teil des Masseurgewerbes anerkannt.

"Die Schulmedizin ist per se sehr materiell, vor allem in der Schmerztherapie", sagt Ach. Es gibt die zwei landläufig bekannten Optionen: Medikamenteschlucken oder Operieren. "Bei Symptomen ist eine ärztliche Untersuchung aber natürlich notwendig", betont er. Psychosomatische Beschwerden wie Verdauungsstörungen oder Erkrankungen des Bewegungsapparats sind nach Ausschluss anderer Ursachen jedoch klassische Anwendungsgebiete der Shiatsu-Technik.

Gratis Shiatsu für Augustin-Verkäufer

Mit einem Dutzend Kollegen ist Florian Ach auch in Firmen unterwegs, ab Sonntag wird den ganzen Sommer einmal wöchentlich bei Schönwetter im Augarten "Shiatsu im Park" praktiziert. Eine Viertelstunde kostet 18 Euro, eine halbe 28. Wie bereits in den letzten Jahren, wird es auch heuer einen Tag geben, an dem sich Augustin-Verkäufer gratis behandeln lassen können und die Einnahmen dieses Tages auch der Wiener Straßenzeitung gespendet werden.

Shiatsu, das klingt nach Kampfsportart – ist aber ein eindrucksvolles Innehalten. Die Sitzung im kargen Raum bei Florian Ach ist wie im Flug vergangen. Da ist ein Gefühl von Erleichterung, das Aufstehen fällt gar nicht so leicht. Es bleibt Zeit für Feedback. "Wo haben Sie Blockaden gespürt? Fühlen sie Entspannung?" Der Kopf wird sich schon bald wieder mit tausend Gedanken füllen. Aber zumindest im Hier und Jetzt ist er einmal leer. (Florian Vetter, 21.5.2016)