Jakob Kaineder folgte Meinrad Neunkirchner im Freyenstein und änderte die Küchenlinie ebenso behutsam wie überzeugend.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalbskopf wird mit der Power frischer Kräuter und einer cremigen Erdäpfelvinaigrette kombiniert.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Restaurantbesprechung über die Neuerungen im Freyenstein war längst geschrieben, als Anfang der Woche die Nachricht vom Tod Meinrad Neunkirchners kam. Der Koch, einer der wenigen Begnadeten des Landes, hatte nach Lehrjahren in großen Häusern Frankreichs eine Karriere als Sternekoch hingelegt, bevor er das bescheidene Gersthofer Wirtshaus mit bezauberndem Garten mit Betreiberin Eva Homolka zu einem Hort wahrhaft großer, mit Finesse und Persönlichkeit aufgeladener Wiener Küche machte.

Seine stets mühelos wirkende Kreativität war geprägt von enzyklopädischem Wissen um die Würzkraft wild gesammelter Kräuter, selbst angesetzter Essige und Essenzen. Vergangenen Herbst musste er aus gesundheitlichen Gründen aufhören, im Freyenstein übernahm Sous-Chef Jakob Kaineder das Ruder. Einem Großen nachzufolgen ist niemals leicht, der junge Mann aus Bayern ging es dementsprechend verhalten an. In den vergangenen Monaten aber wurde immer eindeutiger, dass Neunkirchner einen jungen Mann mit fantastischem Talent an seine Seite geholt hat.

Auch à la carte

Kaineder ist gerade erst 28 Jahre alt, er schließt die Lücke, die Neunkirchner hinterlassen hat, in aller Bescheidenheit – aber auf mehr als beeindruckende Art. Seit Anfang Mai gibt es neben dem stets wechselnden Menü in elf kleinen Gängen, das Neunkirchner den Gästen als einzige Option verschrieben hatte, auch die Möglichkeit, sich sein Essen aus der Karte selbst zusammenzustellen.

Das freut jene, die sich nicht unbedingt auf ein ausladendes Festmahl einlassen, auf finessenreiche Küche, bei der die Nuancen auf unaufgeregte Weise zusammenspielen, aber nicht verzichten wollen. Derart hochklassiges Essen, bei dem der Koch zuerst an die Gäste und nicht an den Wow-Effekt auf der Karte denkt, wird man in der Stadt nur selten finden.

Eine geschmacklich dichte, leichte Fenchelsuppe zum Beispiel, mit Safran und Pernod abgeschmeckt und von südlichen Aromen durchwebt – ein großartiger Einstieg.

Kalbskopf, eine nicht zu dünne Scheibe vom sanft gelierten Fleisch, wird mit der Power frischer Kräuter und einer cremigen Erdäpfelvinaigrette kombiniert, dazu gibt es (siehe Bild) ein paar Würfel von der knusprig frittierten Knolle: zwei, drei bescheidene Ingredienzien bester Qualität auf geradezu lässige Art auf dem Teller vereint, sodass sich am Gaumen genau jener wonnevolle Aha-Effekt einstellt, dem man in etlichen angesagten Hütten umsonst nachlaufen wird. Danke.

Pfannenküssen

Oder lauwarm marinierten Spargel auf einer ganz zart gelierten, duftigen Hendlsulz, nicht anders als grandios, wohl die beste neue Art seit langer Zeit, das Frühlingsgemüse auf den Tisch zu bringen. Waller wird außen knusprig, innen gerade noch glasig gebraten, dazu gibt es Krustentiersauce von satter Wucht und wunderbar knackigen, ganz jungen Mangold, der nur für wenige Augenblicke von der Hitze der Pfanne geküsst wurde – so gehört sich das.

Sonntagmittag ist ab sofort auch geöffnet, dafür hat Kaineder sich eine ganz eigene Karte überlegt: Großmütter, Erbtanten und andere Wahrer des Wohlstands wollen schließlich auf eigene Art zufriedengestellt werden. Also gibt es Leberknödelsuppe und Beinfleischsulz mit Apfelkren oder ein Backhendl vom Waldviertler Wildhuhn mit bravem Erdäpfelvogerlsalat, aber auch Schweinsbraten mit Kümmelkraut und Grammeltascherln – letztere von verblüffender Leichtigkeit.

Den Kalbskopf schmuggelt er auch hier hinein, mit wunderbarem Linsensalat und eingelegten Herbsttrompeten, die wie eine Reverenz an Neunkirchner wirken. Dem werden wir noch lange nachweinen, gerade im Freyenstein aber besteht dazu eigentlich kein Grund. (Severin Corti, RONDO, 27.5.2016)

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