Tausende Tonnen toter Sardinen treiben im Wasser nahe der Stadt Temuco im Süden Chiles. Umweltorganisationen fordern eine unabhängige Kommission, um die Ursache abzuklären. Den Ergebnissen der regierungsnahen Labors trauen sie nicht.

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Es begann vergangenes Jahr mit mehr als 300 toten Walen, die offenbar auf hoher See starben und an Chiles südlicher Pazifikküste an Land geschwemmt wurden. Zum Jahreswechsel machten dann giftige Pseudochattonella-Algen den Lachsen der Zuchtfarmen in Südchile den Garaus. Vor zwei Monaten wurden plötzlich tonnenweise tote Muscheln an der Küste der chilenischen Insel Chiloé angeschwemmt. Untersuchungen ergaben: Sie starben durch die giftige Mikroalge Alexandrium catenella, die auch für den Menschen lebensgefährlich ist, wenn er infizierte Meeresfrüchte verspeist. Es folgten die Sardinen, und schließlich bedeckten auch noch tausende tote Krabben den Strand von La Lisera im Norden des südamerikanischen Landes.

Von einer noch nie da gewesenen ökologischen und sozialen Katastrophe sprach die Umweltorganisation Nationales Komitee zum Schutz von Flora und Fauna. Unklar ist, wie und ob die unterschiedlichen Phänomene miteinander zusammenhängen. Die Regierung verbot Fang und Verzehr von Meeresfrüchten.

Durch das Fischsterben stehen ganze Küstengebiete plötzlich vor dem wirtschaftlichen Nichts. Chile ist der zweitgrößte Lachsexporteur weltweit nach Norwegen. Dem Lachszuchtverband zufolge verendeten 40.000 Tonnen Tiere. Das Land werde dieses Jahr 100.000 Tonnen Lachs weniger produzieren; der Schaden betrage 800 Millionen US-Dollar.

Noch dramatischer traf es die Insel Chiloé, die mit ihren sanft abfallenden, immergrünen Hügeln, ihren bunten Holzhäusern und ihrem wechselhaften Klima an Irland erinnert. Ein Großteil der 150.000 Einwohner lebt vom Fischfang. Seit Anfang Mai demonstrieren sie, haben Häfen und Zufahrtsstraßen blockiert und fordern Entschädigung von der Regierung.

Die Fischer machen die Lachsindustrie, die auch auf Chiloé Farmen unterhält, für das gestörte Ökosystem verantwortlich. Tote Lachse seien auf Höhe der Inselstadt Ancud einfach ins Meer gekippt worden.

Die Industrie bestreitet das nicht. Es habe sich aber nur um eine kleine Menge gehandelt, da die Entsorgungsanlagen mit 40.000 Tonnen auf einmal überfordert gewesen seien. Deshalb habe man die Marine gemäß dem Londoner Protokoll darum gebeten, einen Teil auf hoher See entsorgen zu dürfen, sagte Alfredo Tello von der Firma Salmón Chile der Deutschen Welle.

Ursache unklar

Ob die Fischkadaver die Algenpest verschärft haben, ist nach Ansicht der Umweltschutzorganisation Greenpeace unklar, zumal Alexandrium catenella schon vorher in der Region nachgewiesen worden war. Aber das Vorgehen sei auf jeden Fall illegal und habe das ökologische Gleichgewicht zerstört. Die Lachszucht ist den Umweltschützern seit langem ein Dorn im Auge. Die dabei eingesetzten Antibiotika und Chemikalien sowie Überreste des pestizidbelasteten, rot gefärbten Fischmehls, mit dem die Tiere ernährt werden, würden nicht sachgerecht entsorgt, sondern vergifteten die Gewässer. Zudem arbeiten die Angestellten der Lachsfarmen in prekären, ausbeuterischen Verhältnissen.

Grund für die rote Algenpest ist Wissenschaftern zufolge vermutlich das aktuelle Klimaphänomen El Niño, das zu einer ungewöhnlichen Erwärmung des Pazifik um ein bis drei Grad führt. Es gibt aber auch Forschungen, wonach die Verschmutzung von Küstengewässern insbesondere durch Düngemittel die Algenpest auslösen kann, weil sich dadurch der Ammoniak- und Stickstoffgehalt erhöht. Bis in die 1970er-Jahre kam die Mikroalge nur in wärmeren Gewässern der Nordhalbkugel vor, seither hat sie sich aber nach Afrika, Ozeanien und Amerika ausgebreitet. In Chile arbeitet sie sich seit den 1990er-Jahren vom Südpazifik Richtung Norden vor. Es ist die vierte große Algenplage seit 15 Jahren. Wissenschaftern vermuten, dass das Phänomen mindestens drei Monate anhalten wird.

Chiles Regierung bot den Fischern von Chiloé kürzlich eine Entschädigung von umgerechnet 970 Euro an und setzte eine Kommission zur Untersuchung der Vorfälle ein. Während einige Gemeinden das Geld annahmen, lehnen es andere als "Tropfen auf den heißen Stein" ab. Sie fordern mehr Geld, eine unabhängige öffentliche Untersuchung der Ursachen, mehr Transparenz in der Lachszucht und Änderungen bei den Regeln für Klein- und Artesanalfischerei. (Sandra Weiss aus Puebla, 25.5.2016)