Alle sind jetzt dafür, die "Gräben zuzuschütten", die nach der Wahl zwischen den beiden Hälften Österreichs entstanden sind (entstanden sein sollen).

Gern. Das Problem ist nur, der Graben zwischen manchen gemäßigten Bürgern und Demokraten und manchen anderen ist etwa so groß wie der Grand Canyon.

Nehmen wir nur die Orgien an Hass, Frust und blanker Paranoia, die sich nach Bekanntwerden von Van der Bellens knapper Wahl auf H.-C. Straches Facebook-Seite ergossen. Einer gab Van der Bellens Privatadresse an, ein anderer forderte zu Anschlägen auf. Der FPÖ-Chef sah sich inzwischen gezwungen, den größten Teil dieser Eruptionen zu löschen und zur Mäßigung aufzufordern. Er meinte zwar, es wären Unterstützer beider Kandidaten gewesen, die da ihren inneren Dämonen freien Lauf ließen, aber wer Straches von 350.000 Personen gelikte Seite einigermaßen regelmäßig verfolgt, findet viel, viel mehr rechte als "linke" oder gar liberale Aggressionspostings. Vor allem Verschwörungstheoretiker haben hier ihr Hauptquartier ("Bilderberger haben Wahlausgang festgelegt").

Aber es gibt nicht nur "Spinner", sondern offenbar kühl überlegende Politaktivisten, die eine demokratische Wahl einfach nicht akzeptieren wollen. Derzeit kursieren zwei nahezu idente Onlinepetitionen. Die eine trägt stolz den programmatischen Namen "Ich erkenne Van der Bellen nicht als meinen Präsidenten an" und hatte Dienstagnachmittag bereits 21.000 Unterzeichner. Die andere, ebenso aufwendig aufgemachte, fordert "Neuwahl des Bundespräsidenten im September" und hat 10.000 Unterzeichner.

Solche Leute leben offenbar in einer von Feindseligkeit und Hass auf das "System" bestimmten Welt, jedenfalls in einer, wonach demokratische Wahlergebnisse nur einen unverbindlichen Empfehlungswert haben.

Es sind Leute, die sich im Sinne des Populismus für "das einzig wahre Volk" halten. Man kann ja der legitimen Meinung sein, dass der oder die nicht "mein/-e Präsident/ Präsidentin" oder "mein/-e Kanzler/-in" sind. Die Tatsache, dass rund 40 Prozent von Van der Bellens Wählern hauptsächlich für ihn gestimmt haben, um Norbert Hofer zu verhindern, weist ja darauf hin, dass er auch nicht der Präsident einer sehr beträchtlichen Bevölkerungsgruppe gewesen wäre. Der Unterschied besteht darin, wenn jemand versucht, aus seiner Privatablehnung eine politische Aktion zu machen.

Selbstverständlich sind nicht alle Wähler Norbert Hofers rabiate Rechte. Sehr viele haben andere, verständliche Motive. Viele haben sich Hofer auch nicht so genau angeschaut, nahmen die rechtsextremen Elemente in seiner Biografie, seinem sozialen Umfeld und seiner politischen Philosophie nicht zur Kenntnis (auch weil etliche Medien sich da aus welchen Gründen immer drübergeschwindelt haben).

Aber etliche wussten es und verdrängten es. Und gar nicht so wenigen war das sogar ausgesprochen recht, sie wünschen sich einen autoritären Präsidenten. Mit denen wird das Gräbenzuschütten schwierig. (Hans Rauscher, 24.5.2016)