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Tränengas gegen Demonstranten, die gegen die geplante Arbeitsmarktreform protestieren, in Paris.
Wenn kein Spiel mit dem Feuer, dann ist es zumindest eines mit der Radioaktivität: Frankreichs größte und radikalste Gewerkschaft CGT hat am Donnerstag die Hälfte der 19 Kernkraftwerke im Land bestreikt, um Druck auf die Regierung zu machen. In Nogent-sur-Seine südöstlich von Paris sperrten Angestellte zuerst die Zugänge, bevor sie die Stromproduktion herunterfuhren. "Einer der beiden Reaktoren liegt wegen eines technischen Problems bereits still, und wir werden dafür sorgen, dass er nicht mehr in Betrieb geht", erklärte Arnaud Pacot von CGT Energie. "Beim zweiten Reaktor fahren wir die Produktion zurück."
Zu Stromausfällen kam es bisher nur vereinzelt, so etwa in Marseille und Nantes. Bruno Prepoleski von der CGT sagte: "Wir können ein AKW nicht einfach anhalten, da alles miteinander verbunden ist. Aber wir können die Stromproduktion verringern." Insgesamt sank die französische Stromproduktion am Donnerstag um acht Prozent.
Treibstoff rationiert
Seit Wochenbeginn blockiert die CGT die acht französischen Ölraffinerien sowie zahllose Treibstofflager von der Bretagne über das Rhonetal bis ans Mittelmeer. Bereits 5.000 der 12.000 Tankstellen im Land kämpften am Donnerstag mit Versorgungsproblemen. Überall bildeten sich Autokolonnen. An vielen Orten ist Benzin rationiert oder auf Einsatzfahrzeuge beschränkt.
Die Regierung hat bisher ein Dutzend der wichtigsten Treibstoffdepots polizeilich räumen lassen. Die Gewerkschafter weichen jeweils nur nach heftiger Gegenwehr – und blockieren dann meist ein anderes Lager. An zwei Orten gab es Verletzte, als entnervte Autofahrer Streiksperren durchfahren wollten.
Weitere Streiks angekündigt
Am Donnerstag gab es im ganzen Land neue Großkundgebungen gegen die von der Linksregierung lancierte Liberalisierung des Arbeitsgesetzes. Dazu traten Eisenbahner in den Ausstand. Sie sorgten für Ausfälle bei der Bahn und auf dem Pariser Flughafen Orly. Hafenarbeiter, Pariser U-Bahn-Angestellte und Fluglotsen wollen sich in den nächsten Tagen anschließen. Das könnte auch den Beginn der Fußball-EM am 10. Juni stören. Eine andere militante Gewerkschaft, Sud, hat für diesen Tag eine Streikankündigung hinterlegt.
Inhaltlich verlangt die CGT den Rückzug des neuen Arbeitsrechts. Ihr radikales Auftreten kaschiert einen chronischen Mitgliederschwund, der sie bei den nächsten Betriebswahlen den Platz als wichtigste Gewerkschaft des Landes kosten könnte. CGT-Chef Philippe Martinez gibt sich deshalb kompromisslos.
Sozialisten gespalten
Nicht minder hart tritt Premierminister Manuel Valls auf. Der zum rechten Parteiflügel zählende Sozialist wiederholt täglich, ein Nachgeben komme nicht infrage. Die Regierung habe bei der Reform der 35-Stunden-Woche und des Kündigungsrechts bereits viele Zugeständnisse gemacht – mehr sei nicht drin.
Einige Sozialisten aus dem Umfeld von Präsident François Hollande, der in Japan auf dem G7-Gipfel Distanz hält, machen hingegen Kompromissvorschläge, um die Spaltung des eigenen Lagers zwischen sozialistischer Staatsfühung und der ehemals kommunistischen CGT zu überwinden. So schlägt der Abgeordnete Bruno Roux vor, den umstrittensten Artikel 2 der Arbeitsreform neu zu verhandeln. Dieser erlaubt es Firmen, sich nach innerbetrieblichen Abstimmungen über Branchenabkommen oder die gesetzliche 35-Stunden-Woche hinwegzusetzen. Valls lehnte Roux‘ Angebot am Donnerstag selber ab. Er meinte zwar, "Verbesserungen" des Textes seien immer möglich. Am Artikel 2 halte er aber ebenso fest wie am ganzen Gesetz.
Keine Lösung in Sicht
Ein Ausweg aus dem selbst für französische Verhältnisse sehr harten Sozialkonflikt ist vorerst nicht in Sicht. Frankreich versinkt weiter in einem Sozialkonflikt, der schwer auf der Wirtschaft lastet. Unter dem Benzinmangel leiden nicht nur Transportunternehmen, Autovermieter und Händler von Frischprodukten; einzelne Firmen haben bereits Kurzarbeit eingeführt. Die Regierung muss seit drei Tagen die strategischen Treibstoffreserven angreifen, wie Verkehrsstaatssekretär Alain Vidalies einräumte. Sie sollen für 115 Tage reichen, was der Regierung einen gewissen – allerdings nicht politischen – Spielraum gibt.
Nicht zu vergessen, gilt in Frankreich wegen der permanenten Terrordrohung weiterhin der polizeiliche Ausnahmezustand. Die Fußball-EM beginnt nicht gerade unter den besten Vorzeichen. (Stefan Brändle aus Paris, 26.5.2016)