Wie ist die Stimmung im Lande? Wieso kippen Stimmungen? Was verändert, was beeinflusst, wer macht sie? Und: Auf welche Weise verändert sich ein kollektives Lebensstimmungsgefühl? Was macht es zu einem generationenprägenden Generationenprojekt?
Heinz Bude, der in Kassel lehrende Ordinarius für Makrosoziologie, der über 18 Jahre hinweg einem Langzeitforschungsprojekt des von Jan Philipp Reemtsma gesponserten Hamburger Instituts für Sozialforschung vorstand und der gerne als Auftaktredner bei hochseriösen Soziologenkongressen in knallbunt zusammengewürfelter Kleidung aufzutreten geruht, beugt sich über das Phänomen der Stimmung.
Affekte, Wutbürger, Schweigen
Bei der Thematisierung dieses lange ignorierten Phänomens nimmt er Bezug auf den fast vergessenen französischen Soziologen Gabriel Tarde (1843-1904) und auf den US-Politökonomen Albert O. Hirschman, der nach 1945 eine Wechselwirkung von Wechselstimmung und negativen Erfahrungen beim Konsum konstatierte. Selbstredend sind auch Medien zentral verantwortlich für das Entstehen und Verstärken von Stimmungen, in jüngster Zeit das Internet, das hysterisch vorwärtsrasende Moment-Medium par excellence. Das gibt Bude Gelegenheit, über Affekte, Wutbürger, schweigende Minderheiten, die aber auch rasend laut werden können, und Publikumsdemokratie zu räsonieren.
Noch schärfer ist seine Analyse der Gegenwartsstimmung, der Grundverfasstheit in und außerhalb der politischen Arena. Auf der einen Seite stehen, so Bude, die sogenannten heimatlosen Antikapitalisten. Sie echauffieren sich über als angeblich alternativlos deklarierte Handlungsentscheidungen, über "Lügenpresse" und, im schrumpfenden bildungsbürgerlichen Segment, über eine immer zynischer betriebene debile Volksverdummung.
Durchwursteln
Die anderen kategorisiert er als "entspannte Systemfatalisten". Für sie ist das oberste Prinzip das des tiefenentspannten Durchwurstelns jenseits ideologischer Grundüberzeugungen. Sind für sie doch Wahrheiten relativ. Beide Positionen stehen quer zueinander, verhalten sich inzwischen nicht mehr nur latent aggressiv, sondern betonen mit gesellschaftssprengender Unversöhnlichkeit ihre Unvereinbarkeit. Wie so viele, nein, wie nahezu alle diagnostischen Bücher der letzten Jahre aus Budes Feder ist dies ein schmales. Dass er dieses Mal zu häufig elegante Prägnanz zugunsten überfrachteter Sätze drangibt, ist auffällig.
Sein Lektor hätte ihm zu stärkerer Pointierung raten sollen. Dass der doch eigentlich kulturhistorisch versierte Hanser-Verlag offenkundig auch nicht in der Stimmung war, durchweg gründlich Korrektur zu lesen, sodass etwa mancher aufsehenerregend falsch geschriebene Name stehengeblieben ist, trübt nur um ein weniges die Klugheit. Dass Bude keine allumfassende Theorie bietet, sondern Punkte, an die anzuknüpfen sein wird, macht diesen am Ende etwas knapp geratenen Essay inspirierend. (Alexander Kluy, Album, 28.5.2016)