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Brugmansia ist der botanische Begriff für Engelstrompete ...

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... Sowie Datura, der Stechapfel, enthalten sie Alkaloide, die in ausreichender Dosierung beim Menschen zu Atemstillstand führen können.

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Wien – Der Fall erregte Aufsehen. Im Sommer 2006 wurde im Universitätsklinikum Halle an der Saale ein schwer verletzter junger Mann eingeliefert. Der 18-Jährige hatte sich mit einer Rosenschere den eigenen Penis und einen Teil der Zunge abgeschnitten: Wiederannähen ausgeschlossen. Der Patient war im Toilettenhäuschen im Garten seiner Großmutter zur Tat geschritten. Was ihn zu der Selbstverstümmelung veranlasst hatte, blieb zunächst unklar. Erst am nächsten Tag konnte ihn ein Psychiater befragen. Der Betroffene litt zwar unter Gedächtnisverlust, erinnerte sich aber noch daran, dass er rund fünf Stunden vor der blutigen Tat einen Tee getrunken hatte, selbstgebrüht aus zwei Engelstrompetenblüten. Das Gebräu löste offensichtlich eine akute Psychose aus.

Nicht nur die Zeitungen griffen die Geschichte auf. In den einschlägigen Internetforen experimentierfreudiger Drogenkonsumenten gruselte und empörte man sich. Vom Vorwurf der Panikmache war da die Rede, manche Forenteilnehmer zogen gar den Wahrheitsgehalt der Berichterstattung in Zweifel. Die Hallenser Ärzte indes veröffentlichten eine kurze Meldung im Fachjournal European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience (Bd. 256, S. 458), damit wurde der Fall zu den Akten gelegt. Ein juristisches Nachspiel gab es nicht. Denn weder die Selbstverstümmelung noch der Verzehr von Engelstrompeten sind strafbar.

Einfache Beschaffung

Das traurige Schicksal des jungen Deutschen mag zwar ein Extremfall sein, doch Ähnliches könnte wieder auftreten. Immer wieder greifen vor allem Jugendliche auf der Suche nach legalen Drogen zu Pflanzen mit psychoaktiven Inhaltsstoffen – darunter eben auch Engelstrompeten, die nah verwandten Stechäpfel (Datura spec.) und andere Nachtschattengewächse. Die Beschaffung ist leicht. Engelstrompeten der Gattung Brugmansia stammen zwar aus Südamerika, sind aber hierzulande schon lange als Zierpflanzen beliebt. Der ursprünglich ebenfalls in der Neuen Welt beheimatete Weiße Stechapfel (Datura stramonium) wurde wahrscheinlich Ende des 16. Jahrhunderts nach Europa eingeschleppt und gedeiht nun wild an Wegrändern und auf Äckern. Für Ökologen ist sein Vorkommen ein Hinweis auf stickstoffreichen Boden.

Was die Natur da allerdings anbietet, ist keinesfalls harmlos. Sowohl Engelstrompeten als auch Stechäpfel gelten unter Medizinern zu Recht als hochgiftig. "Prinzipiell sind beide sehr gefährlich", betont der Toxikologe Stefan Pöchacker vom Wilhelminenspital in Wien. "Mit Engelstrompeten kann man sich umbringen, mit Datura geht das auch."

Schamanische Rituale

Das Interesse der Drogenfreunde basiert auf der traditionellen Nutzung dieser Pflanzen durch Schamanen. Nordperuanische "curanderos" zum Beispiel setzen verschiedene Brugmansia-Arten ein, um rituelle Visionen hervorzurufen. Aber auch die äußerliche Anwendung zur Behandlung von Hautausschlägen oder Geschwüren wurde praktiziert. Die Verwendung erfolgt nach strengen Vorschriften, nicht selten muss später ein Gegengift, der sogenannte "arranque", verabreicht werden.

"Hierzulande kann man nicht auf solch jahrhundertealtes Wissen zurückgreifen", sagt Stefan Pöchacker. Ein weiteres Problem: Die Wirkstoffkonzentrationen in den Pflanzen können extrem schwanken. Je nach Standort, Bodenqualität oder Zuchtlinie bilden die Pflanzen unterschiedliche Mengen psychoaktiver Substanzen, erklärt Pöchacker. Der mitteleuropäische Möchtegern-Schamane könne somit keine sichere Dosierung vornehmen. "Das ist gar nicht kalkulierbar."

Koma oder Atemstillstand

Engelstrompeten und Stechäpfel enthalten vor allem die Alkaloide Hyoscyamin, Scopolamin und Atropin. Dieser Stoffcocktail löst nicht nur Halluzinationen und psychotische Zustände aus, sondern wirkt auch massiv auf das vegetative Nervensystem ein, wie Stefan Pöchacker erläutert. Im schlimmsten Fall fällt der Patient ins Koma und erleidet einen Atemstillstand. Stechapfelsamen scheinen zudem eine verzögerte Langzeitwirkung zu haben. Einzelnen Berichten zufolge können Vergiftungssymptome bis zu zwei Wochen andauern. Die Pflanzen selbst bilden die Wirkstoffe zur Abwehr von hungrigen Fressfeinden. Nachtschattengewächse (Solanaceae) sind wahre Meister dieser Art chemischer Kriegsführung. Auch der Tabak mit seinem Nikotin gehört zur Familie.

In purifizierter Form jedoch lassen sich die Alkaloide bestens zu medizinischen Zwecken einsetzen. Präzise dosiert hilft Hyoscyamin, die Überproduktion von Magensäften zu drosseln und die Kontraktion des Darmkanals zu beruhigen. Scopolamin hingegen wird unter anderem in Spezialpflastern zur Behandlung der Reisekrankheit verwendet, und Atropin steigert die Herzfrequenz. Gerauchte Stechapfelblätter dienten einst sogar als probates Mittel gegen Asthmakrämpfe. Da gibt es allerdings längst bessere Präparate. (Kurt de Swaaf, 28.5.2016)