"Hadschi Lojo? Das war der Verteidiger von Sarajevo 1878, als die Österreicher Bosnien-Herzegowina besetzten", meint Amir B., der vor der Markthalle in Sarajevo wartet. "Damals hatten manche Muslime Angst vor der neuen christlichen Herrschaft. Aber dann war alles anders, und die Muslime waren froh, Teil der Monarchie zu sein. Meine Kinder studieren heute in Wien, und wir haben ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Österreich." So wie Amir sprechen viele Sarajlis heute über Hadschi Lojo, den Rebellen, "Insurgentenhäuptling", "Garibaldi von Bosnien", "die Seele des Aufstands" gegen die österreichischen Besatzer im Jahr 1878.

Der damals in Sarajevo lebende Arzt Josef Koetschet beschrieb ihn als einen "herumschweifenden Hodscha", der an der Spitze der religiösen Agitation stand, "ein Mann, dessen unruhiges Wesen und abenteuerlicher Geist den Behörden wohlbekannt war". Die Charakterisierungen von ausländischen Autoren sind aber ziemlich unterschiedlich. Koetschet: Er war "gross, von athletischem Wüchse, mit langen Händen und Füssen, von tölpelhaftem Benehmen". Er "glich allem anderen mehr als einem Angehörigen des geistlichen Standes; er war ganz und gar unwissend, kannte nur seine wenigen Koransprüche und war bei grosser Armut mit einem nie zu stillenden Appetit gesegnet".

Hadschi Lojo ließ niemanden kalt.
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Bewunderer aus Österreich

Andere beschreiben ihn als "unstreitig interessanten kraftvollen Menschen". Der österreichische Soldat Friedrich Franceschini bewundert seine "merkwürdige Zähigkeit" und dass er trotz seiner schweren Verletzung "nichts von seiner Geistesfrische" eingebüßt habe. "Sein Gesicht zeigt viel Intelligenz, und wie alle Orientalen begleitet er seine Reden mit überaus lebhaftem Mienenspiele. Seine großen, hellblauen Augen sind im Ausdruck bald milde wie die eines Kindes, bald blitzen sie in unheimlichem Feuer auf. Er gebietet über ein seltenes Rednertalent und über ein ungewöhnlich starkes Gedächtniß – den Koran weiß er von der ersten bis zur letzten Seite auswendig."

Hadschi Lojo ließ jedenfalls niemanden kalt. Sein Stolz vielleicht und seine opferbereite Sturheit machten ihn zu einem Mythos in Österreich-Ungarn. Er wurde als Salih Vilajetović 1834 in Sarajevo geboren, arbeitete in einem Steinbruch und wurde später Imam einer Moschee. Bekannt wurde er, als er 1872 den Widerstand gegen den Bau der serbisch-orthodoxen Kathedrale in Sarajevo organisierte, die den Christen mehr Gleichberechtigung geben sollte. Die osmanischen Verwalter mussten sogar Trompeter in der Stadt aufstellen, so viele Gerüchte gab es damals, dass fanatische Muslime gegen die Christen vorgehen würden. Hadschi Lojo wurde deshalb in eine Kaserne verbannt.

Gegen Okkupation

Nach ein paar Jahren – angeblich lebte er dazwischen als "Bandit" und Viehdieb in den Wäldern – kam er 1878 nach Sarajevo zurück. Am 13. Juli wurde am Berliner Kongress die Okkupation Bosnien-Herzegowinas beschlossen, die osmanische Verwaltung sollte sich friedlich zurückziehen. Doch Hadschi Lojo stellte sich nicht nur gegen die österreichisch-ungarische Okkupation, sondern auch gegen die Hohe Pforte in Istanbul, weil diese die "alte Ordnung" nicht mehr garantieren konnte.

Er war ein Volksheld, ein Revolutionär, wenn man so will, einer jedenfalls, der für Selbstbestimmung eintrat und eine eigene revolutionäre Regierung begründete. Gleichzeitig war er ein Agitator, ein Mann, der die Sprache des Volkes sprach, jemand, der nicht zu den Eliten gehörte. Und genau das machte ihn so beliebt. Er war einer "gegen die da oben", glaubwürdig, volksnah und kämpfte "für die Armen und für die Entrechteten". Angeblich soll er an Kinder Fleisch, Obst, Kleidung, Schuhe und Geld verteilt haben. Die Legende besagt zudem, dass er so groß und stark gewesen sei, dass er einen Bären besiegt habe.

Hadschi Lojo, Karikatur aus dem Wiener Sonntagsblatt "Die Bombe" vom 25. August 1878.
Foto: Hadzi Lojo, Karikatur aus dem Wiener Sonntagsblatt "Die Bombe" vom 25.8.1878

Protestnote an Bismarck

Am 5. Juli nach dem Morgengebete rief er jedenfalls dazu auf, den österreichisch-ungarischen Generalkonsul Konrad Wassitsch und seine Leute vorsichtshalber aus der Stadt zu vertreiben, bevor die österreichischen Truppen kommen sollten. Am 20. Juli schickte der Volksausschuss, den Lojo unter seine Kontrolle gebracht hatte, schließlich ein Protesttelegramm an Bismarck. Der Inhalt: Man werde mit den Beschlüssen des Berliner Kongresses nicht mitmachen und Bosnien verteidigen. Lojo und seine Gefährten forderten den Rücktritt der osmanischen Würdenträger. Die Osmanen versuchten zu kalmieren und kundzutun, dass der Widerstand gegen die Okkupation zwecklos sei. Doch das nützte nichts. Denn Lojo war ein charismatischer Redner und überzeugte die Leute. Und selbst der Pascha ließ sich von dem "Räuber" erpressen: Er gewährte ihm nicht nur Immunität, sondern bezahlte ihm sogar Schutzgeld. Am 25. Juli verlangte Hadschi Lojo schließlich Zugang zu den Waffen der osmanischen Verwaltung.

Sowohl die osmanischen Würdenträger als auch der österreichische Konsul Konrad Wassitsch, der auf den Einmarsch der k. und k. Truppen wartete, bekamen Panik. Der Übersetzer (Dragoman) des österreichischen Konsulats, Thomas Herkalović, berichtete, dass auch der Konsul Lojo zehn Napoleon d'or gegeben habe, um sich Sicherheit zu "erkaufen".

Für 22 Tage war Lojo "bosnischer Kaiser".
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"Bosnischer Kaiser"

Hadschi Lojo, damals 44 Jahre alt, marschierte am 27. Juli mit seinen Leuten Richtung Konak, wo der Pascha residierte. Dazwischen machte er vor dem Haus des Serben Petro Petrović halt, der ihm einen roten mit Gold bestickten Pelzmantel schenkte. Dies galt als Zeichen der Verbrüderung zwischen den muslimischen und orthodoxen Sarajlis. Die meisten Christen in Sarajevo versteckten sich aber einstweilen. Vor dem Konak kam es schließlich zu Schießereien. Mazhar-Pascha flüchtete am 28. Juli aus Sarajevo, weil ihm die Dinge entglitten waren. Am gleichen Tag wurde eine Volksregierung im Hof der Gazi-Husrev-Beg-Moschee in Sarajevo ernannt. Hadschi Lojo wurde in der Zeit auch "bosnischer Kaiser" genannt, wenn auch nur für 22 Tage.

Es war die Zeit eines anarchistischen Interregnums – die Osmanen waren entmachtet und die Österreicher noch nicht da. Am 29. Juli drang die österreichisch-ungarische Armee schließlich an vier Stellen in Bosnien-Herzegowina ein. Weil man aber von dem Widerstand hörte, beschloss man in Wien, die Truppen auf drei Mal so viele, nämlich auf 268.000 Mann, aufzustocken. Doch noch war man nicht in Sarajevo.

Wassitsch floh mit seinen Angestellten am 4. August aus der Stadt Richtung Mostar. Vor der Abreise gab er Hadschi Lojo weitere 20 Napoloen d'or für ein Pferd. Lojo geleitete den verängstigten Wassitsch aus der Stadt: "Das Volk hat sich erhoben, es kann eine Katastrophe entstehen. Ihr werdet wie Lämmer abgeschlachtet, wenn Ihr hierbleibt", soll er dem Konsul ausgerichtet haben.

Infrastruktur zerstört

Am 7. August hieß es in einem Aufruf des Volksausschusses: "Wir, die wir in Bosnien leben, Muslime, Christen und Lateiner, sind entschlossen, uns den Feinden entgegenzustellen." Als Lateiner wurden damals Katholiken bezeichnet. Hadschi Lojo verkündete in den Moscheen, dass der Großscherif von Mekka ihm persönlich die Erlaubnis gegeben habe, den "Heiligen Krieg" zu proklamieren. Der Koran gebiete jedem Gläubigen, bei seinem Seelenheil den Feind zu bekämpfen.

Die Aufständischen versuchten die Wasserleitungen zu den Barracken der osmanischen Soldaten und die Telegrafenmasten zu zerstören, um zu verhindern, dass man aus Istanbul Nachschub anordnete. "Es ist eigentlich um jeden Blutstropfen schade, der zur Pazifikation eines Volkes vergossen wird, welches lieber einem türkischen Vagabunden und Räuber wie diesem Hadschi Loja gehorcht, bevor es sich dem menschenfreundlichen Feldherrn einer zivilisierten Großmacht unterwirft", schrieb damals die Satirezeitschrift "Kikeriki" in Wien.

Auch die Wiener Satirezeitschrift "Kikeriki" hievte Lojo aufs Titelblatt.
Foto: Titelblatt des Satireblatts "Kikeriki!" aus dem Jahr 1878

Frauen im Widerstand

Am 19. August schließlich bombardierte die k. und k. Armee Sarajevo mit 52 Kanonen, 14.000 Soldaten marschierten in die Stadt. Etwa 5.000 Sarajlis rund um Hadschi Lojo leisteten Widerstand. Gewehrschüsse empfingen die Truppen von "jedem Haus, jedem Fenster, von jedem Tor, sogar die Frauen nahmen teil". Insgesamt sollen 57 Soldaten und 400 Aufständische getötet worden sein. Bereits am 23. August kam es zu einem Gericht – neun Aufständische wurden gehängt. Für die Ergreifung von Lojo wurden 500 Forint ausgesetzt.

Der österreichische Infanterist Franz Noir beschreibt in dem Buch "Die Österreicher in Bosnien", wie ein Bauer schließlich den Österreichern mitteilte, dass Hadschi Lojo verletzt im Wald gefunden worden sei. Noir über die Reaktion der Österreicher: "Wenn er gesagt hätte, dass zwei mal zwei gleich fünf sei, so hätte man ihm eher geglaubt als dieser Botschaft, denn man meinte fest, Hadschi Lojo sei längst hinter allen bosnisch-herzegovinischen Bergen, heile seine wunden Beine, bete zum Mohamed um ein langes Leben und lache sich ins Fäustchen."

Als der Lojo schließlich nach Sarajevo gebracht wurde, lag er "auf der Tragbahre, den Kopf aufrecht und sah um sich, als ob ihn das Alles gar nichts angienge, und als ob er in seinem ganzen Leben keine Revolution gemacht hätte; ich frug den neben mir stehenden Telegraphenbeamten, ob das wirklich der Lump wäre, der einen so grossen Krawall angezettelt hätte und der schuld an meiner Mobilisierung wäre", schreibt Noir weiter. Hadschi Loja sei sehr "marod" gewesen, "und damit uns der rare Bursch nicht etwa von den Türken gestohlen werde, wurde gleich eine Arrestantenwache aufgestellt".

"Hatscherer"

In Sarajevo wurde ihm das Bein amputiert. Er hatte sich, als er von einem Minarett heruntereilte, unabsichtlich mit einem Schuss in den Knöchel selbst schwer verletzt. Manche Quellen meinen, dass der Begriff "Hatscheter" damals und wegen Hadschi Lojo in Österreich in Gebrauch kam. Auch ein schwarzes Kümmelweckerl wurde in Wien nach dem berühmten Aufständischen benannt. Lojo wurde in Österreich-Ungarn sogar so berühmt, dass etwa im Jahr 1879 der "zeitgeschichtliche Sensationsroman" "Hadschi Loja und die schwarze Sultanin von Trebinje" erschien, der wohl dem damaligen Bedürfnis nach exotisierenden Orient-Abenteuern entsprach.

Noir berichtet, dass Lojo zusammengezuckt sei, als man ihm mit dem "Hängen" gedroht habe, "aber nicht aus Furcht vor dem Tode, denn dieses Ding kennen da unten kaum die alten Weiber, aber nach der Ansicht der Türkei kommt ein an einem Galgen zu Tode Gekitzelter nicht in den rechten Himmel hinein, sondern muss irgendwo in einem Himmelsvorhaus die Freuden des Paradieses entbehren", so Noir. "Und Hadschi Loja hatte doch schon so viel für seine Seligkeit gethan, dass ihm die erste Classe der himmlischen Freuden sicher schien, wozu hätte er den Koran auswendig gelernt und eine Procession nach Mekka unternommen?"

Tod durch den Strang

Am 27. September wurde Salih Vilajetović alias Hadschi Lojo wegen "des Verbrechens wider die Kriegsmacht des Staates und der öffentlichen Gewaltthtätigkeit durch Erpressung" zum Tode durch den Strang verurteilt. Franz Joseph I. setzte jedoch die Todesstrafe aus. Stattdessen kam Hadschi Lojo nach Theresienstadt in den Kerker, wie später Gavrilo Princip. Dort blieb er fünf Jahre. Die Rückkehr nach Bosnien war ihm verwehrt, doch er konnte seinen Wohnsitz wählen und ging nach Mekka. Dort wurde er angeblich als Held begrüßt. Sein jüngerer Sohn Muhammad zog nach Syrien, Hadschi Lojos Frau Fatima mit ihrer Tochter Aisha nach Istanbul.

Heute passt Hadschi Lojo nicht mehr so recht als Held in die Ikonografie von Sarajevo. Denn nach dem jüngsten Krieg (1992–1995) und der Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina sind die meisten Bosniaken eher pro-österreichisch gestimmt. Der Verteidiger des Islams in Bosnien wird heute höchstens von religiösen Eiferern verehrt. In Sarajevo ist ein kleines Gässchen auf einem Hügel nach dem hageren Mann benannt. Nach einigen der anderen "Aufständischen", die von den Österreichern gehängt wurden, wurden in Sarajevo größere Straßen benannt. Darunter: die Gebrüder Mulić, Avdo Jabučica und Mešo Odobaša. Wer der große Verteidiger von Sarajevo 1878 war, der die Österreicher das Fürchten lehrte, weiß in seiner Heimatstadt heute kaum jemand mehr. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 29.5.2016)