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Zu den wichtigsten Erkenntnissen, die für Österreich aus der Bundespräsidentenwahl zu gewinnen waren, gehört, dass arschknapp mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler Angehörige der Schickeria sind. Um auch das diesmal intensiv teilnehmende Ausland an diesen ihm vielleicht dunkel erscheinenden Begriff heranzuführen: Man kann zu Schickeria auch ein Kartell selbsternannter Eliten hinter Van der Bellen sagen, so wie es das freiheitliche Magazin "Zur Zeit" in der Nummer tat, in der die Redaktion noch nicht ahnte, welche Tragik dem knappen Begriff "arschknapp" innewohnen kann. Das Szenario, dass hier nicht einer der ihren in der Hofburg sitzen könnte, sondern mit Norbert Hofer einer, der offenbar – wie der erste Wahlgang zeigte – seine Unterstützung aus dem Volke schöpfen kann, ist für viele ein Brechen von Dämmen.

Das Brechen blieb der Nation erspart, schöpfte doch – wie der zweite Wahlgang zeigte – auch die Schickeria ihre Unterstützung aus dem Volke, was beweist, dass zu einer Umvolkung Ausländer gar nicht erforderlich sind. Dem Verschwörungsredakteur des Blattes wird die Welt leider auch künftig ein Mysterium bleiben, kann er doch nicht mit einer Antwort auf seine Frage rechnen: Wie gehen die Eliten damit um, wenn das Volk nicht so entscheidet, wie es die Eliten erwarten?

Es war dann Mittwoch nach der Wahl, als "Die Presse" eine Redakteurin beauftragte, den FPÖ-Obmann mit Trost zu versorgen. Dem ging es ja gar nicht um den Bundespräsidenten, die Partei hat ohnehin ein anderes Ziel vor Augen. Genauer: Das höchste Amt im Staat innezuhaben war für die FPÖ – vor allem für ihren Parteichef – ohnehin nie das primäre Ziel. Hätte er das früher gesagt, hätten sich seine Freunde auf Facebook nicht so aufregen müssen, dass er sich nur noch mit der Schließung desselben helfen konnte. Und jetzt die Enthüllung: Straches Fokus liegt vielmehr einige Meter weiter. Auf dem Ballhausplatz.

Kanzler der Herzen und Bundespräsident der Herzen

Der Fokus Straches liegt nicht zufällig einige Meter weiter, sondern aus einem triftigen Grund: Nicht umsonst bezeichnet er sich seit Jahren als "Kanzler der Herzen", eine Wahnvorstellung in der Folge jenes Hirnflimmerns, das Arschknappheit so definiert: "Hofer ist und bleibt der Bundespräsident der Herzen". Jetzt bezeichnet sich Strache seit Jahren umsonst als "Kanzler der Herzen", nachdem er sich schon vergeblich zum Bürgermeister der Herzen ausgerufen hatte. Vielleicht setzt er, von Kickl beraten, nur auf den falschen Körperteil, und bringt sich so um den Erfolg.

Die "Kronen Zeitung" wollte am Tag nach der Wahl auf jeden Fall auf der richtigen Seite sein und brachte je eine doppelseitige Reportage mit den Kandidaten. "Sascha, du bist wunderbar!" titelte Conny Bischofberger, aber das war natürlich nicht ihre Meinung, sondern nur das, womit Wahlkampfleiter Lothar Lockl seinen Kandidaten aufmunterte. Ganz anders unmittelbar davor Michael Jeannée, der mit Lieber Norbert Hofer! die Redaktionslinie zeichnete. Zeigten die Fotos Van der Bellen als unverdrossenen Wahlkämpfer, durfte Hofer kuschelweich als der Pinkafelder der Herzen vor die "Krone"-Leser treten, einmal an die Brust von Big Boss H.-C. Strache geschmiegt, dann geküsst von der Tochter, zwischen Tochter und Ehefrau, sowie: Norbert Hofer in der evangelischen Kirche von Pinkafeld und siegessicher mit Tochter Anna-Sophie und Ehefrau Verena. Wo der Heilige Geist und Michael Jeannée walten, hätte eigentlich nichts mehr schiefgehen dürfen. Der rasende Reporter berichtet. 8.30 Uhr: Ihr Händedruck ist fest, Ihr Hemd blütenweiß, Ihr Bungalow schmuck, Ihre präsente Familie entzückend. Ich sitze mit Ihnen am Küchentisch, der gereichte Kaffee schmeckt vorzüglich, das Semmerl dazu kracht. Und Clint Eastwood auf einem Riesenposter an der Wand lächelt sein weltberühmtes Macho-Lächeln. Ihr Lieblingsschauspieler, Herr Hofer? – Mein Lieblingsschauspieler! Klar, wie soll jemand, dessen Hobby Schießen ist, seine Neigung zur dramatischen Kunst sonst ausleben?

Also Jeannée: Ich hab mir gedacht, wenn dieser Norbert Hofer aus Pinkafeld tatsächlich zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt wird, schreibt er, macht er Geschichte. Und wenn ich die paar Sonntagsstunden, in denen dieser Norbert Hofer aus Pinkafeld Geschichte schreibt und macht, mit ihm verbringe, bin ich – ein Teil von Geschichte.

So arschknapp wie an diesem Sonntag in Pinkafeld ist Michael Jeannée noch nie kein Teil von Geschichte geworden. (Günter Traxler, 28.5.2016)