Ist und soll: Das Areal rund um das Hotel Intercontinental, wie es jetzt aussieht.

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Hier ein Rendering mit dem Turm des Anstoßes. Das Siegermodell des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld zeigt Wohnturm und belebte Erdgeschoßzone mit integriertem Eislaufverein.

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Graz kann, Dresden darf nicht mehr: Mit guter und gezielter Planung sei moderne Architektur auch mit Welterbe-Status möglich (im Bild die "Bubble", das Kunsthaus Graz), sagen die einen.

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Die Politik hätte umsichtiger agieren müssen, sagt die Dresdner Tourismus-Stadträtin.

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Hallstatt wehrt sich, Innsbruck wollte nicht: Die Unesco betone und bewahre zu stark den musealen Charakter eines Ortes, kritisieren Politiker hier wie dort.

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Eine lebendige Stadt müsse sich aber auch entwickeln dürfen – das sei mit dem Welterbe-Status nur sehr schwer möglich.

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Rund ums Hotel braust der Autoverkehr, im Wienflussbett donnert die U-Bahn dahin, und hinter der leise dahingammelnden Mauer entlang der Lothringerstraße wird seit kurzem auf sommerlichem Kunststoff Hockey gespielt. Das wird auch für längere Zeit so bleiben. Vor zwei Wochen nämlich drückte die zuständige Wiener Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) auf die Stopptaste.

Der Plan, das Hotel Intercontinental umzubauen, den Wiener Eislaufverein zu sanieren und einen Wohnturm mit Luxusappartements zu bauen, muss ruhen. Man wünsche sich eine "Nachdenkpause", wie es aus dem Stadtratsbüro heißt. Plan B muss her. Wie in einer Presseaussendung Anfang der Woche bekannt wurde, sei dies jedoch keineswegs das "Aus", sondern lediglich "ein zusätzlicher Arbeitsschritt vor der öffentlichen Auflage der Pläne".

Vassilakou traf ihre Entscheidung just einen Tag, nachdem bekannt geworden war, dass auch die grüne Basis gegen das Projekt ist. Offiziell berief sich die Politikerin aber auf ein, wie sie sagte, "sehr negatives Gutachten" des Fachbeirats. Eines der Kernargumente darin: Turm und Unesco-Weltkulturerbe passen nicht zusammen. Jedenfalls nicht dort, am Rande der Wiener Innenstadt, auf der Linie des ehemaligen Glacis.

Wider die Verturmung

"Es gibt in Wien seit rund zehn Jahren eine aggressive Stadtentwicklung, die sich unter anderem in einer auffälligen Vertikalisierung der Stadt manifestiert", sagt Wilfried Lipp, Präsident von Icomos Austria. Der International Council on Monuments and Sites (Internationaler Rat für Denkmalpflege), wie die NGO mit ganzem Namen heißt, berät die Unesco und ist unter anderem für das Monitoring jener Denkmale zuständig, die auf der Liste des Weltkulturerbes stehen.

"Die Verturmung rund um die Wiener Innenstadt, so auch das geplante Projekt neben dem Hotel Intercontinental, ist mit den Grundsätzen des Weltkulturerbes und den damit verbundenen Sichtachsen wie etwa dem Canaletto-Blick nicht vereinbar", sagt Lipp.

"Man muss sich entscheiden, was man will. Entweder man hält sich an die Werte des Weltkulturerbes und achtet auf die visuelle Integrität der Stadt, oder man verliert die Auszeichnung. Und es gibt berechtigten Anlass zur Sorge." Diesen äußerte die Icomos bereits in einem Rohbericht im März. Darin senkte sie den Daumen, Widerspruch zwecklos.

Von 10. bis 20. Juli tagt das Unesco-Welterbekomitee in Istanbul. Auch Wien steht auf der Agenda. Man wolle überprüfen, ob die aktuellen Entwicklungen rund um das Areal so bedrohlich seien, dass man das Weltkulturerbe "Historisches Zentrum von Wien" auf die rote Liste setzen werde. Vassilakou nimmt insofern mit ihrer Entscheidung, die Reißleine zu ziehen, dem Komitee auch Wind aus den Segeln.

Pech für das Projekt. Der Eigentümer des Hotel Intercontinental, Investor Michael Tojner (Wertinvest), wollte das aus den 1960er-Jahren stammende, unter Denkmalschutz stehende "Interconti" sanieren, ebenso den Eislaufverein, er versprach, Trainingsplätze für die vereinseigenen Eishockeyspieler zu errichten, dazu eine unterirdische Turnhalle für das gegenüberliegende Akademische Gymnasium und eine Passage zwischen Lothringerstraße und Heumarkt mit Geschäften und Cafés.

Den Eislaufplatz wollte man als öffentlich genutzten Raum ganzjährig bespielen, als lebendige Verbindung bis hin zum benachbarten Konzerthaus. Den Planern schwebte eine Art "The Rock" vor. Und tatsächlich, ein bisschen klingt das alles nach der Rockefeller Plaza in New York.

Sämtliche Auflagen der Stadt Wien – wie etwa Durchführung eines kooperativen Verfahrens, Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs, Vorlage einer Wirtschaftlichkeitsrechnung und Einräumung von Nutzungsrechten für die Stadt – wurden erfüllt. Alles wäre gut gewesen. Der Eislaufverein war dafür, ebenso der Bezirksvorsteher des dritten Bezirks.

Wäre da nicht der 73 Meter hohe Stein des Anstoßes gewesen, der hinter dem Interconti platziert worden wäre und das bestehende Hotel um 34 Meter überragt hätte. Der Verkauf der Luxusapartments im Turm hätte das Gesamtprojekt mitfinanzieren sollen.

Ein Teil davon wäre in den historischen Canaletto-Blick hineingeragt. Das ist jene Ansicht von "Wien, vom Belvedere aus gesehen", die der venezianische Maler Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, 1758 bis 1761 malte. Sie gilt noch immer als das Maß aller Welterbe-Dinge. Nun denkt man also nach.

Ein Wien, das es nie gab

Nachgedacht wird, nach einem fast schon ideologisch geführten Streit, dabei auch über Grundsätzliches: Braucht Wien das Label "Weltkulturerbe"? Ist es notwendig, um historisch Wertvolles vor der Zerstörung zu schützen, oder verhindert es bloß die Entwicklung einer modernen Stadt? Ist dieser Status der stete Versuch, eine konservierte Stadt zu schaffen, die es so nie gab? Orson Welles hat diese Frage 1968 auf seine Weise beantwortet: "The Vienna that never was is the grandest city ever." Der Spruch hängt im Wien-Museum.

Norbert Kettner, Direktor des Wien-Tourismus, sagt, für sein Geschäft sei die Auszeichnung der Unesco nicht spielentscheidend. Wien sei so oder so eine im Tourismus top etablierte Stadt. "Der Denkmalschutz ist für Wien immens wichtig. Aber er darf nicht museal und konservatorisch verstanden werden."

Auch der Wiener Historiker und Stadtforscher Peter Payer zeigt sich ob des Weltkulturerbes ambivalent und differenziert: "Ich halte die Nachdenkpause beim Intercont-Projekt für eine gute Sache, weil hier eine ziemlich heftige Diskussion über die Grundsätze der Stadtplanung entflammt ist", so Payer.

"Natürlich wünsche ich mir, dass das Weltkulturerbe für die Wiener Innenstadt weiter bestehen bleibt. Es wäre ein großer Verlust, diese Auszeichnung nicht mehr zu haben. Doch wenn das Weltkulturerbe bedeutet, dass es wie unter einem Glassturz kategorisch alles verunmöglicht, dann wird man die Sinnhaftigkeit überdenken müssen."

Die Unesco wurde nur zwei Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet und kümmert sich seitdem um die völkerübergreifende Förderung von Wissenschaft, Bildung und Kultur. Das sogenannte Weltkulturerbe besteht seit 1972 und basiert auf einer von 190 Staaten und Gebieten ratifizierten Welterbekonvention.

Zu den ersten schützenswerten Stätten, die in die Liste aufgenommen wurden, zählen etwa die Felsenkirchen von Lalibela (Äthiopien), die Altstadt von Quito (Ecuador), die Altstadt von Krakau, der Aachener Dom, aber auch Naturschätze wie die Galapagosinseln und der Yellowstone-Nationalpark in den USA. Heute umfasst die Liste mehr als 1000 Denkmäler in 161 Ländern – davon an die 800 Kulturstätten und 200 Naturdenkmäler. Neun davon befinden sich in Österreich.

Viele Regulative

"Ich verstehe die Ernennung zum Unesco-Weltkulturerbe in Ländern, in denen Kulturstätten in Gefahr sind und entsprechend geschützt werden müssen", erklärt die Wiener Architektin Marta Schreieck. In Asien und Afrika gebe es Schätze, über die die Unesco mit Fug und Recht wache.

In Europa jedoch gebe es ohnehin viele Regulative, wie Schutzzonen, Altstadtgesetze und Denkmalschutzverordnungen. Schreieck: "Generell bin ich der Meinung, dass das Weltkulturerbe in wirtschaftlich und kulturell hochentwickelten Ländern abgeschafft werden könnte."

Gemeinsam mit ihrem Partner Dieter Henke kam Schreieck selbst schon einmal in die Unesco-Bredouille. Beim kürzlich eröffneten Erste-Campus neben dem neuen Wiener Hauptbahnhof musste die Kubatur überarbeitet werden, obwohl das Projekt der Bauordnung und den Flächenwidmungsplänen entsprach.

Der Grund: Vom Unteren Belvedere aus gesehen hätte man in den Dachzwickeln des Oberen Belvedere ein Stückchen des obersten Geschoßes des Erste-Campus gesehen. Das hat der Unesco nicht gefallen. "Deswegen mussten wir das Haus um sieben Meter niedriger machen", so Schreieck. "Ist das nicht absurd?"

Nicht überall sieht man den Unesco-Schutz als Geschenk. Innsbruck verzichtete darauf, in die Liste aufgenommen zu werden. Der Innsbrucker Tourismusverband hatte den Antrag "hinter dem Rücken des Gemeinderats" gestellt, wie sich der zuständige Stadtrat Gerhard Fritz (Grüne) heute noch mit Ingrimm erinnert. Der Gemeinderat hatte das Aufnahmeverfahren 2004 im letzten Augenblick gestoppt, da man unter anderem fürchtete, wegen Zaha Hadids aufsehenerregender Bauten (Bergisel-Schanze, Hungerburgbahn) Schwierigkeiten zu bekommen.

"Den konservatorischen Charakter der Welterbekonvention und die falsche Sicht auf die Stadtentwicklung sehe ich nicht im Einklang mit den Innsbrucker Stadtplanungszielen", so Fritz. "Wir haben gotische Passagen, darüber wurden Paläste mit Renaissance-Erkern gebaut, daneben finden wir etwas Barockes. Innsbruck hat kein homogenes Innenstadt-Ensemble."

Dass dieses Nebeneinander von Baustilen und kulturgeschichtlichen Epochen funktioniere und dabei zeitgenössisches Bauen zulasse, dafür sorge bereits das 2003 novellierte und überaus strenge Stadtkern- und Ortsbildschutzgesetz. Fritz: "Das ist völlig ausreichend."

In Graz steht zwar ein Großteil der historischen Innenstadt unter Unesco-Schutz, allerdings wird das Weltkulturerbe hier nur in den seltensten Fällen herbeizitiert. "Der Weltkulturerbe-Titel ist in Graz nicht sehr präsent", sagt Architekt Hans Gangoly. "Wir haben ohnehin das Grazer Altstadt-Erhaltungsgesetz und einen sehr gut funktionierenden Denkmalschutz."

Kein Planungsinstrument

"Das Weltkulturerbe kann ein vertieftes, verstärktes Bewusstsein für den historischen Wert der Stadt schaffen", so Gangoly. "Aber als Planungsinstrument ist das Erbe nicht geeignet. Um die Stadt zu planen, muss man nicht den Unesco-Stempel aus der Schublade ziehen." Dazu genüge es, auf der Verwaltungsseite gute, strikte und konsequente Architektur- und Stadtplanungskompetenzen hinter sich zu wissen.

Daran, scheint es, dürfte es in Wien bisweilen mangeln. Anders ist das politische Hickhack, wie denn die Unesco-Vorgaben nun auszulegen seien – und die damit verbundenen Unklarheiten -, nicht zu erklären. Es ist nicht das erste Mal, dass in Wien planlos manövriert wird.

Ähnliches geschah rund um den Neubau des Bahnhofs Wien Mitte, der nach langem Hin und Her statt in die Höhe in die Breite gebaut wurde. Der einstmals im Museumsquartier geplante Leseturm fiel 1995 einer Allianz aus Kunsthistorikern, Bürgerinitiative und "Krone" zum Opfer – die Wiener City erlangte erst 2001 Welterbe-Status.

Der ehemalige Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ) hat damit seine liebe Not. Er kritisiert Icomos scharf als einen sich selbst erneuernden Verein, der eigenmächtig und selbstherrlich demokratisch gefällte Entscheidungen torpediere. "Wäre London als Ganzes Unesco-Weltkulturerbe, hätte man den Financial District nicht bauen können", sagt Schicker im Gespräch mit dem STANDARD. Das sei auch sein Lösungsvorschlag für Wien: "Reduzieren wir das Weltkulturerbe auf bestimmte Gebiete. Dann kann man sich städteplanerisch bewegen."

Welterbe-Status aberkannt

Die Gesamtschau auf eine historisch gewachsene Stadt bringe nichts, meint Schicker mit Hinweis auf die "Kulturlandschaft Dresdner Elbtal", die ihren Welterbe-Status durch den Bau einer Autobahnbrücke 2009 verlor. Die Aberkennung war eine Sensation. Seit Bestehen des Unesco-Welterbes 1972 sei erst einmal ein Denkmal (2007 im Oman) von der Liste gestrichen worden.

Dresdens Aus war eine europäische Premiere. "Unter der Aberkennung des Welterbes hat Dresden aber lange nicht so gelitten wie unter Pegida", sagt sieben Jahre später die grüne Stadträtin Christiane Filius-Jehne zum STANDARD.

Das Agieren der damaligen Politik hält Filius-Jehne dennoch für falsch: "Man kann nicht internationale Verträge unterschreiben und, wenn es einem nicht mehr passt, plötzlich 'Skandal' rufen." Die gesamte CDU-Prominenz von Sachsen, von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf abwärts, habe damals "die Hacken in den Boden gerammt". Alles in allem, urteilt die Stadträtin, sei der Brückenbau – auch im Hinblick auf die Verkehrsentwicklung – falsch gewesen.

Ganz andere Probleme hat der Hallstätter Bürgermeister Alexander Scheutz (SPÖ). Scheutz ärgert sich über einen besorgten Brief des Icomos-Vertreters wegen des ehemaligen Salinen-Amtshauses. Das barocke Gebäude am Ortsrand des Weltkulturjuwels gammelt seit Jahren vor sich hin. Die Gemeinde habe kein Geld, es zu sanieren, verschiedene Nutzungsmöglichkeiten seien gescheitert.

Nun gibt es einen Interessenten, der aus dem Amtshaus gerne ein Hotel machen würde. Rentabel ist das für ihn freilich nur mit einem modernen Anbau. Diesen jedoch will die Unesco nicht akzeptieren. Und das, obwohl die HTL gleich unterhalb gerade einen modernen Anbau bekommen habe. Scheutz: "Ein Ort muss sich entwickeln können, wir können doch nicht in einem Freilichtmuseum leben!"

Genau das ist auch die Befürchtung von Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien (AZW) und dezidierter Gegner der Unterschutzstellung der Wiener Innenstadt seit der ersten Stunde. "Man soll sich entscheiden, ob die Innere Stadt in Wien ein Museumsbezirk ist – oder aber das pulsierende Zentrum von Österreich. Beides zusammen geht nicht." Wien habe bereits einen gut funktionierenden Denkmalschutz und ein etabliertes Altstadterhaltungsgesetz. "Wer braucht da noch die Unesco?"

Oder, wie es der Wiener Stadtplaner Erich Raith, Professor an der TU Wien und Verfasser zahlreicher Untersuchungen zum Glacis, formuliert: "Über alles eine Schutzstrategie drüberzustülpen – das wird nicht funktionieren. Man kann eine Zeitlang bei einem Druckkochtopf den Deckel draufhalten, aber irgendwann wird er explodieren." Wien wächst. Und zwar rasant. Umso wichtiger sei es, sich damit zu arrangieren und gemeinsam Wege zu finden – auch im Dialog mit privaten Investoren.

Die Macht der Investoren

"Das schon", sagt Icomos-Chef Wilfried Lipp. "Aber man kann nicht das Sagen den Investoren überlassen und sich ihnen bei Stadtplanung und Stadtentwicklung beugen, wie das in den letzten Jahren in Wien immer wieder passiert ist. Man braucht einen Orientierungskompass." Wenn die Stadt Wien ihre kulturelle und gesellschaftspolitische Verantwortung wahrgenommen hätte, dann wäre etwa das Projekt rund um das Hotel Intercontinental nicht so eskaliert, meint Lipp.

Wozu also die Unesco? "Um die Stadt als Ganzes zu schützen", erklärt Lipp, "denn mit ein paar Einzelgebäuden kann man das historische Erbe einer Stadt nicht bewahren. Dazu braucht es mehr."

Was wäre, wenn das Weltkulturerbe für die Wiener Innenstadt eines Tages aberkannt würde? "Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn Wien eines Tages nur noch aus Fragmenten besteht und es dann heißt: Der Stephansdom steht eh, die Lipizzaner wiehern noch, und die Sängerknaben haben keinen Stimmbruch. Was regt ihr euch also auf?" (Wojciech Czaja, Petra Stuiber, 28.5.2016)