Wien – In Österreichs Volksschulen beherrschen neue Herausforderungen den Alltag. Immer mehr Kinder sprechen zuhause etwa eine andere Sprache als Deutsch. Der diese Woche präsentierte Nationale Bildungsplan fordert außerdem das Festlegen von Mindeststandards in den ersten Schuljahren und eine neue Didaktik, die mehr auf das einzelne Kind eingeht. Angesichts der neuen Aufgaben für die Volksschule empfiehlt das Expertenpapier auch eine "Ausweitung der Lernzeit", sprich: mehr Stunden in der Schule für Kinder unter elf.
Im internationalen Vergleich verbringen Österreichs Volksschulkinder tatsächlich wenig Zeit im Klassenzimmer: Mit 705 Stunden pro Jahr liegt Österreich deutlich hinter dem OECD-Durchschnitt von 794 Stunden – gibt allerdings pro Schüler deutlich mehr Geld aus.
Verschränkte Form "klar zu favorisieren"
Doch einfach zwei Mal die Woche eine Stunde Sachunterricht anzuhängen, wäre auch nicht ideal, schreiben die Studienautoren. Sie empfehlen Ganztagsschulen, in denen Lern- und Spielphasen abgewechselt werden. Zwar bieten mehr als zwei Drittel der österreichischen Volksschulen Nachmittagsbetreuung an, aber nur weniger als ein Prozent in eben dieser "verschränkten Form". Die sei "hinsichtlich des Ausgleichs von Nachteilen und der Bildungsgerechtigkeit allerdings pädagogisch klar zu favorisieren".
Das tun auch Elternvertreter. Eine Erhöhung der Stundenzahl in der Volksschule ist für sie derzeit zwar kein Thema. Man wehrt sich aber auch nicht dagegen, heißt es aus dem Büro des Verbandes der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen. "Unser Thema ist nicht: mehr oder weniger Stunden – sondern noch besserer Unterricht", sagt ein Sprecher des Verbands. Und besser lernen würden Kinder in verschränktem, ganztägig organisiertem Unterricht. Damit würden mehr Unterrichtsstunden allerdings ohnehin zwangsläufig einhergehen. Priorität habe aber das Abarbeiten der aktuellen Reformpakete.
Mehr Stunden: Ja, aber
Bei Paul Kimberger, Vorsitzender der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer, stößt die Forderung nach mehr Unterrichtszeit in der Volksschule auf offene Ohren. Schon vor Monaten habe er angeregt, dass in den ersten beiden Volksschulklassen von zwei Lehrern gleichzeitig unterrichtet wird. Schließlich wisse man, dass die Pädagogen "mit einem Entwicklungsunterschied von bis zu drei Jahren" konfrontiert seien und "diese Heterogenität nicht schaffen". Wo Defizite sind, brauche man mehr Stunden. Deshalb fühlt sich Kimberger vom Bericht bestätigt und erachtet individuelle Ansätze als notwendig: "Es gibt Kinder, die mit dem Angebot, das wir jetzt haben, leicht auskommen", sagt er.
Andere müsse man früher und besser fördern – "Stichwort: Unterrichtssprache Deutsch". Die Extrastunden sollen nach Bedarf eingesetzt werden und nicht alle Schulen über einen Kamm scheren. Stellen Lehrer fest, dass zusätzliche Förderung vonnöten ist, soll man sie zur Verfügung stellen, sagt Kimberger. Ob die Volks- auch eine Ganztagsschule sein soll, will Kimberger den jeweiligen Standorten überlassen. Immerhin wüssten die Eltern und Lehrer vor Ort, was am besten für die Kinder ist – und wo Bedarf nach ganztägiger Betreuung herrscht. Von "Zwangsmaßnahmen" hält Kimberger jedenfalls nichts.
Unterstützung gefordert
"Beschämend" findet der Lehrergewerkschafter außerdem die Position, die Österreich beim Vergleich in Sachen Unterstützungspersonal einnimmt: "Sogar in der Türkei ist das Verhältnis besser als in Österreich." Dringend notwendig seien mehr Schulpsychologen und -sozialarbeiter, zusätzlicher Bedarf herrsche wegen der Flüchtlingskinder in den Schulklassen. (Sebastian Fellner, 28.5.2016)