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Asylverfahren dauern oft zu lange. Das Rechtssystem ist immer wieder unter Druck.

Foto: REUTERS/Dalder

Zunehmend sieht es so aus, als würde sich Migration dem Recht entziehen – gleich einer Naturkatastrophe, an die die Redeweise von "Flüchtlingsströmen", "-wellen" und "-fluten" nicht zufällig erinnert.

Tatsächlich fordert Migration das Recht heraus: Während Zuwanderung für die einen ein Kostenfaktor ist, hoffen andere, Migranten würden künftig unsere Sozialsysteme finanzieren. Oft wird befürchtet, dass Ausländer die Gesundheitssysteme ausbeuten. Zugleich erwarten wir, dass sie unsere Altenpflege aufrechterhalten. Am Arbeitsmarkt erscheinen uns Migranten bald als Konkurrenten, bald als wertvolle Humanressource. Kulturell sind sie schlicht die "Anderen": Ihre Sprache und Lebensgewohnheiten irritiert die einen, andere finden das bereichernd. Migration in ihrer Vielfalt zu regeln, also Chancen zu nützen, ohne Risiken zu übergehen, ist schwierig. Zuerst muss die Politik hier klare Entscheidungen treffen. Dann kann das Recht differenziert festlegen, unter welchen Voraussetzungen Menschen einreisen und bleiben dürfen und wann ihr Aufenthalt zu beenden ist.

Zwang ist begrenzt wirksam

Recht wird mit Zwang durchgesetzt, er stößt bei Migration jedoch an Grenzen. So kann ein Staat die Einreise eines Menschen zwangsweise verhindern, aber was soll geschehen, wenn Tausende über die Grenze gehen? Theoretisch kann man zwar, wie eine deutsche Politikerin gefordert hat, "notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen", praktisch wird das aber kein zivilisierter Staat tun. Auch Abschiebungen können aus vielen Gründen misslingen: Wenn nicht feststellbar ist, woher ein Migrant kommt, wenn kein Staat ihn übernimmt, wenn der Abzuschiebende untertaucht oder wenn die Abschiebung von vornherein gegen Grundrechte verstößt.

Selbst wo Zwang wirksam ist, kann er nicht ohne Weiteres ein positives Verhalten hervorbringen. Das zeigt sich bei der Integration. Sie erschöpft sich nicht in der Selbstverständlichkeit, dass Migranten gleich wie Inländer Gesetze befolgen. Darüber hinaus erwarten wir zum Beispiel auch, dass Migranten unsere Sprache lernen. Das oft geforderte Deutschgebot auf Schulhöfen wäre aber nicht nur grundrechtswidrig, sondern auch undurchführbar: Soll man etwa Strafen für jedes fremdsprachige Wort verhängen und Spitzel auf Schulhöfen einsetzen? Meist ist es auch grundrechtswidrig, Migranten auszuweisen, nur weil sie nicht Deutsch sprechen können. Das Fremdenpolizeigesetz droht dies zwar allgemein an, im Einzelfall machen die Behörden damit aber kaum je ernst – da dieses Vorgehen grundrechtswidrig wäre. Neuerdings wird erwogen, Asylberechtigten die Mindestsicherung zu entziehen, wenn sie nicht Deutsch lernen. Das ist rechtlich zulässig und durchführbar, setzt aber eine ausreichende Zahl leistbarer Deutschkurse voraus. Solange es daran fehlt – und hier ist noch viel zu tun –, bleiben auch solche Normen leere Drohungen.

Jedes System hat seine Grenzen

An Grenzen stößt Migrationsrecht schließlich aus Ressourcengründen, vor allem bei der Fluchtmigration. Dort schwanken die Antragszahlen enorm, sodass Behörden kaum je angemessen ausgestattet sind. Zudem erwerben Asylsuchende schon mit der Antragstellung Aufenthalts- und Leistungsrechte, auch wenn ihr Antrag letztlich erfolglos bleibt. Deshalb sollten Asylanträge rasch erledigt werden. Wegen der unsicheren Sachlage, der Sprachprobleme und der riskanten Entscheidungssituation brauchen Asylverfahren aber Zeit. So dauern diese Verfahren – unabhängig von ihrer realen Dauer – immer zu lang und werden oft nur krisenhaft bewältigt.

Rechtsordnungen unter Stress

Aus all diesen Gründen setzt Migration Rechtsordnungen unter Stress: Sie kann massenhaft auftreten und muss rasch und mit hohem administrativem Aufwand bewältigt werden, sofern sie sich dem Zugriff der Behörden nicht überhaupt entzieht. So zeigt das österreichische Migrationsrecht auch deutliche Stresssymptome: Der Gesetzgeber ändert es viel zu häufig und zu hektisch. Teils erlässt er Vorschriften, die – wie die Ausweisung wegen mangelnder Deutschkenntnisse – praktisch kaum vollzogen werden, teils nimmt er in Kauf, dass Vorschriften verfassungs-, völker- oder unionsrechtswidrig sind. Manchmal sind seine Änderungen sogar kontraproduktiv, weil sich Behörden ständig auf eine neue, immer noch verworrenere Rechtslage einstellen müssen: All das verlangsamt Verfahren, statt sie zu beschleunigen.

Scheitert das Recht an Migration also zwangsläufig wie an einer Naturkatastrophe? Keineswegs. Migrationsrecht ist zwar stets defizitär, deshalb muss man sich aber nicht mit jedem Defizit abfinden. Der Staat tut zunächst gut daran, Migration nicht als Krise zu verstehen, sondern als eine normale Gegebenheit, die er zum Nutzen der Gesellschaft ordnen kann. Sodann hilft gegen Stress zu akzeptieren, was kaum zu ändern ist: Völker-, unions- und verfassungsrechtliche Vorgaben und auch die Einsicht, dass Zwang nicht immer weiterhilft. Diese Begrenzungen bergen freilich auch Chancen: Das Unionsrecht mag den Steuerungsspielraum der Nationalstaaten beschränken, zugleich liegt es auf der Hand, dass große Fluchtbewegungen nur unionsrechtlich zu bewältigen sind. Auch Zwang ist nicht ohne Alternative: Migration lässt sich teilweise sogar wirkungsvoller mit Information und Geld steuern. So kann frühzeitige Information bei Einreisewilligen falsche Erwartungen abbauen. Finanzielle Unterstützung erleichtert schon jetzt freiwillige Ausreisen. Ebenso würden leistbare Sprachkurse die Integration eher fördern als leere Sanktionsdrohungen. Ein Stück weit müssen wir dem Recht aber auch zugestehen, dass es, derart unter Druck gesetzt, zunächst taumelt, versucht und irrt und erst nach und nach die "richtigen" Lösungen findet. (Magdalena Pöschl, 1.6.2016)