Die Stimme von Alexandre Anderson de Souza hallt zwischen den Frachtschiffen wie in einer Kathedrale wider. Er steht in seinem kleinen Boot aus Aluminium, ein Modell, das die meisten Kleinfischer verwenden, und zeigt auf die toten Fische rund um die Eisa-Schiffswerft, wo alte Frachter zu Öltankern umgebaut werden. Immer wieder taucht ein blasser Fischbauch aus dem Meereswasser auf, das bis in die Werft hinreicht und die rostigen Stahlriesen umspült. Die Fischbäuche sind für de Souza Beweise, dass die Guanabarabucht vor Brasiliens Großstadt Rio de Janeiro vergiftet ist und mit ihr seine Lebensgrundlage.

In der Ferne lässt sich die ikonische Christus-Statue Rios erkennen, gleich daneben der Zuckerhut und davor die Rio-Nterói-Brücke, hinter der die olympischen Segelwettbewerbe stattfinden werden. Doch die Skyline der Metropole verschwindet zunehmend hinter der schwimmenden Skyline aus Stahl in der Bucht. Der 45-jährige de Souza ist Vorsitzender der Kleinfischervereinigung Ahomar und fährt Patrouille vor den großen Raffinerien mit dem grün-gelben Logo des brasilianischen Öl- und Gasriesen Petrobras.

Die Chemikalien aus der Werft schwemmt es in die offene See.
Foto: Bianca Blei

Schwermetalle und Schmierfette

Dabei lenkt der Mann mit dem jugendlichen, dunklen Gesicht sein kleines Boot von einer Ölplattform zum nächsten Gasterminal und rund um die großen Tankschiffe, die dazwischen liegen. "Die roten Schiffe sind aus Nigeria und haben Naturgas geladen", erklärt de Souza: "Die schwarzen Schiffe sind voller Propangas und stammen aus São Paulo." Dazwischen schwimmen immer wieder verschiedenfarbige Chemikalienteppiche wie ein giftiges Schaumbad. Die Lacke der Schiffe würden Schwermetall ins Wasser schwemmen, die Fische vergiften. Rund um die Raffinerien sind es Schmierfette, die illegal ins Wasser geleitet werden, erzählt der 45-Jährige, der einer von 5.000 verbliebenen Fischer in der Bucht ist – 18.000 haben laut de Souza in den vergangenen Jahren aufgegeben.

Auf Patrouille gehen die Fischer seit vier Jahren. Ihrer Meinung nach haben die zuständigen Behörden versagt. Das ICMBIO – das Institut, das für die Schaffung und Aufrechterhaltung der Naturparks zuständig ist – sowie das IBAMA – das brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare Ressourcen, dem auch die Umweltpolizei unterstellt – hatten nichts gegen die Umweltverschmutzungen unternommen.

Alexandre Anderson de Souza engagiert sich seit 2003 für die Natur in der Guanabarabucht.
Foto: Bianca Blei

Hunderte Anzeigen eingebracht

Stattdessen wurden den Fischern Ausreden wie fehlendes Personal oder Benzin aufgetischt. Wenn die Behörden am Meer waren, wollten sie nichts Illegales bemerkt haben. Mit Fotos und Videos dokumentierten die Fischer schließlich selbst die Umweltvergehen und zeigten sie an. Hunderte Anzeigen haben er und seine Kollegen der Fischervereinigung Ahomar bereits bei den Behörden eingebracht. Mehr als hundert Prozesse sollen es gewesen sein, die sie wegen Umweltdelikten und Bedrohungen – auch gegen sie selbst – angestrebt haben. De Souza erzählt von Erfolgen wie etwa einer 40-tägigen Blockade einer Baustelle für eine Gaspipeline, einer geschlossenen Deponie oder dass die Baustelle des Erdölkonzerns BP per Gerichtsurteil verlegt werden musste.

Bereits seit 2003 engagiert sich de Souza gegen die großen Konzerne. Zuerst war es der Kampf gegen die Frachtschiffe, die rücksichtslos über die Boote der Kleinfischer gefahren waren, nun geht es um die Chemikalien. Für die Kosten der Patrouille kommen die Fischer noch immer selbst auf, doch mittlerweile wurde ihnen ein neues Aluminiumboot von einem pensionierten Kollegen geschenkt und ein Motor von einer NGO zur Verfügung gestellt. Außerdem werden sie sowohl vom ICMBIO als auch von IBAMA als Kooperationspartner anerkannt und schulen teilweise die Mitarbeiter der beiden Institute im Kampf für die Natur.

Romildo Soares de Oliveira erzählt von den Attacken gegen die Fischer.
Foto: Bianca Blei

Im staatlichen Schutzprogramm

Das Engagement des 45-jährigen Fischers hat ihn zur Zielscheibe gemacht: Polizei, private Sicherheitsleute und Angehörige der Mafia bedrohten sein Leben. Im April 2009 war viermal auf ihn geschossen worden. Deshalb stehen de Souza und seine Frau Daize Menezes de Souza seit 2009 unter Schutz des nationalen Programms für den Schutz von Menschenrechtsaktivisten. Mithilfe der Vereinten Nationen wurden sie zeitweise auch aus ihrem Wohnhaus in eine sichere Unterkunft gebracht. Amnesty International hatte sich im Jahr 2010 sogar in einer "Dringenden Handlung" für die Rechte des Paars und der mehr als 700 Fischer von Ahomar eingesetzt.

Zwar hat de Souza heute keine Beamten der Militärpolizei mehr um sich, doch ein Anruf sollte genügen, um die Einsatzkräfte anzufordern. Sein Kollege Romildo Soares de Oliveira sitzt vor dem Interimshauptquartier von Ahomar in Coroa de São Lourenço, rund 60 Kilometer von Rio entfernt. Interimshauptquartier deshalb, weil sie ihren bisherigen Sitz in einer nahegelegenen Gemeinde nicht mehr nutzen können. Es sollen Anschläge geplant sein. Auch Amnesty fordert deshalb eine ständige Polizeistation neben dem alten Hauptquartier, um die Sicherheit der Menschen zu garantieren.

De Oliveira stolpert fast über seine eigenen Wörter, als er von all den Angriffen auf die Fischer berichtet. Am meisten getroffen habe alle der Tod von Paulo César dos Santos Souza. Er war der Kassier von Ahomar und wurde im Mai 2009 aus seinem Haus gezerrt, verprügelt und vor den Augen seiner Frau und Kinder erschossen. Wer genau die Angreifer waren, ist unklar.

Durch die Olympischen Spiele befürchten die Fischer der Bucht noch mehr Verschmutzung.
Foto: Bianca Blei

Mehr Probleme durch Olympia

Doch nicht nur die Giftstoffe der Öl- und Gasindustrie gefährden die Umwelt. Auch die Abwässer der Haushalte rund um Bucht sind eine Gefahr für die Tier- und Pflanzenwelt. Laut Greenpeace Brasilien fließt das Abwasser von 45 Prozent der Haushalte in dem Gebiet ungefiltert ins Meer. Untersuchungen des staatlichen Umweltinstituts Inea vor Ort haben gezeigt, dass nur acht der 55 entnommenen Wasserproben mit "mittel" klassifiziert werden. Die restlichen Proben waren "schlecht" bzw. "sehr schlecht". Das bedeutet, dass sich Menschen beim Kontakt mit dem Wasser mit Krankheiten infizieren können.

Eigentlich hatte der Bürgermeister von Rio versprochen, zumindest 80 Prozent der Bucht vor Olympia zu säubern. Bald war jedoch klar, dass er das Versprechen nicht einhalten wird. "Es ist keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der fehlenden Transparenz – wohin die Gelder fließen", sagt Fabiana Alves von Greenpeace. Laut Alves wäre es nämlich möglich, die Guanabarabucht noch zu retten.

Die Olympischen Spiele werden die Situation der Fischer der Bucht noch mehr verschlechtern, ist sich de Souza sicher. Die Frachtschiffe vor der Copacabana sollen in den hinteren Teil der Bucht – zu ihnen – umgeparkt werden. Für de Oliveira bezeichnend für die Vorgehensweise der brasilianischen Regierung: "In unserem Land werden die vorderen Zähne weiß gemacht und die hinteren vernachlässigt." (Bianca Blei aus Rio de Janeiro, 7.6.2016)