Eine Plakatwand in Cali im Distrikt Valle de Cauca zeigt Fotos von Bürgerkriegsopfern. Die Bilanz bisher: 220.000 Tote, sechs Millionen Vertriebene.

Foto: AFP / Luis Robayo

Elba Fuentes hat viele Menschen sterben sehen in den 14 Jahren, in denen sie Krankenschwester für die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) war. Doch der Krieg ließ nur wenig Gefühle zu, das Adrenalin der Gefechte trieb sie immer weiter.

Hinzu kam die ideologische Unterweisung der kommunistischen Rebellen. "Das war Gehirnwäsche", erinnert sie sich. 26 Jahre jung war die vierfache Mutter, als sie in den Krieg zog. "Zuerst brachten sie mir Verletzte ins Hospital. Dann baten sie mich, wegen der Sicherheitsprobleme raus in ihre Lager zu kommen. Und ehe du dich versiehst, steckst du drin." Wer ausstieg, galt als Deserteur und musste um sein Leben fürchten. Eine Tochter kämpfte ebenfalls mit gegen rechte Paramilitärs und die Kriegsmaschinerie des Staates. Drogengelder fütterten die einen und die anderen. 220.000 Tote, sechs Millionen Vertriebene. In einem halben Jahrhundert Krieg wurde das Leid für die Kolumbianer zur Normalität.

Jetzt steht die untersetzte 51-Jährige im Haus der Erinnerung in Medellín vor schwarzen Bildschirmen mit Fotos aus dem Krieg und kämpft mit den Tränen. Nun, wo der Frieden zwischen Regierung und Farc in greifbare Nähe rückt, ist Zeit zum Innehalten.

Neun Millionen Bürgerkriegsopfer sind in Kolumbien registriert. Das ist statistisch gesehen jeder Fünfte. Die Aussöhnung der Gesellschaft und die Wiedereingliederung der ehemaligen Kämpfer – Schätzungen zufolge haben die Farc noch 8.000 Mann unter Waffen – wird eine der Nagelproben der Nachkriegszeit. Gelingt dies nicht, kann der Frieden blutiger werden als der Krieg. Negativbeispiele in Mittelamerika und Afrika haben es vorgemacht.

Besuch in der Gedenkstätte

"Es schmerzt, dass ich zum ganzen Leid beigetragen habe", sagt Fuentes. Sie ist zusammen mit anderen ehemaligen Kämpferinnen in die Gedenkstätte gekommen. Frauen, die oft erbitterte Gegner waren, denn auch Kämpferinnen der rechten Paramilitärs sind darunter. Frauen, die in den Krieg zogen und ihre Jugend opferten. Manche taten es, um der Armut zu entkommen, andere aus Liebe, wieder andere aus Idealismus. Die wenigsten aus ideologischer Überzeugung.

Doch aus Feinden können Partner werden. Die Gruppe, mit der Fuentes das Museum besucht, wird von einer Psychologin betreut und ist Teil des Wiederein-gliederungsprogramms. "Viel sprechen, der Wahrheit ins Gesicht sehen, viel vergeben", resümiert Fuentes ihr Patentrezept zur Rückkehr ins normale Leben.

Fast 58.000 Kämpfer haben in den vergangenen 13 Jahren die Waffen niedergelegt. Nicht alle hatten einen Beruf und eine Familie, sondern mussten mühsam zivile Umgangsformen und einen neuen Beruf erlernen. Es gilt Vorurteile einer Gesellschaft abzubauen, die ihnen nur zähneknirschend eine zweite Chance gibt.

Medellín, einst mörderischste Stadt der Welt, nimmt bei der Vergangenheitsbewältigung eine Vorreiterrolle ein. Das Bürgerkriegsmuseum ist Teil davon; mit seiner Planung wurde schon vor vier Jahren begonnen – mitten im Krieg. Vielleicht muss man so tief in die Barbarei fallen wie Medellín, bevor man den Ausweg sucht. "Diese Gedenkstätte hilft uns, den Krieg zu verstehen und ihn hinter uns zu lassen", sagt die resolute Museumsdirektorin Lucia González. "Wie konnten wir als Gesellschaft nur so viel Gräuel tolerieren?"

Die Unfähigkeit einer machistischen, hierarchischen Gesellschaft, Konflikte friedlich zu lösen, ist eine Antwort; und die Intoleranz einer Oligarchie, die Kolumbien noch bis zur Verfassung von 1991 als Land der katholischen, hellhäutigen Nachfahren der spanischen Eroberer definierte und weder Mischlingen noch Indigenen oder Schwarzen Rechte zugestand, ist ein weiterer Grund.

Volk gegen Elite

Inzwischen kommen viele Schulklassen ins Museum, aber die politische und wirtschaftliche Elite vermisst González. In den Kreisen der Macht sind viele von der Richtigkeit des Krieges gegen den linken Klassenfeind überzeugt – oder haben mit ihm viel Geld verdient. Die einflussreichen Gegner des Friedensprozesses, angeführt von Ex-Präsident Alvaro Uribe, werden auch nach der bald erwarteten Unterzeichnung des Abkommens keine Ruhe geben. Deshalb sei es so wichtig, dass das Volk und nicht die Elite den Frieden gestalte, sagt González.

Präsident Juan Manuel Santos, ein liberaler Visionär, ist selbst Teil der Elite und kennt die Gefahren und die mächtigen Friedensgegner gut. 2018 läuft sein zweites und letztes Mandat aus. Deshalb hat er schon während der seit 2012 laufenden Verhandlungen Fakten geschaffen: Seine Regierung begann widerrechtlich angeeigneten Grundbesitz (acht Millionen Hektar) zurückzugeben und initiierte Rücksiedlungsprogramme für Vertriebene sowie Aussteigerprogramme für ehemalige Kämpfer. Die Opfer, ein internationales Novum, durften bei den Verhandlungen ihre Anliegen einbringen.

Auch in der heiklen Frage der juristischen Verantwortung einigten sich die Verhandlungsdelegationen auf Neuland: Es wird weder eine Generalamnestie noch Massenprozesse geben. Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden von Sondergerichten abgeurteilt; untere Chargen können nach einem Geständnis zu "alternativen Strafen der Wiedergutmachung" verurteilt werden. Dazu gehört zum Beispiel der Bau von Schulen und Krankenhäusern in Kriegsgebieten.

Modellbeispiel für andere

Doch nicht alles läuft nach Plan: Die Landrückgabe, die Entminung und der Wiederaufbau laufen nur schleppend, die geplante Sonderjustiz wird in der Öffentlichkeit harsch kritisiert.

Die Vorstellung, dass die kommunistischen Guerrilleros in einem Land, in dem noch nie eine linke Partei regierte, Bürgermeister und Abgeordnete stellen könnten, ist der Elite ein Gräuel. Doch wenn das kolumbianische Modell funktioniert, könnte es weltweit ein Beispiel für erfolgreiche Konfliktbewältigung werden. Das hofft jedenfalls die Uno. "Wir brauchen ein Erfolgserlebnis, ein Vorbild für die Welt", sagt Fabrizio Hochschild, bis vor kurzem Uno-Koordinator in Kolumbien.

Zumindest die Wiedereingliederung macht Hoffnung: Einer Studie der Stiftung für Friedensideen zufolge schaffen 76 Prozent der Teilnehmer die Rückkehr ins zivile Leben. (Sandra Weiss aus Medellín, 31.5.2016)