ORF-"Report"-Moderatorin Susanne Schnabl-Wunderlich (links) und "Falter"-Redakteurin Barbara Tóth.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien – "Falter"-Redakteurin Barbara Tóth und ORF-"Report"-Moderatorin Susanne Schnabl-Wunderlich sind am Montag mit zwei der renommiertesten heimischen Journalismuspreise ausgezeichnet worden. Tóth wurde mit dem Kurt-Vorhofer-Preis für Printjournalismus geehrt, Schnabl erhielt den Robert-Hochner-Preis für Fernsehen bzw. Radio. Die Preisverleihung fand in der Präsidentschaftskanzlei der Wiener Hofburg statt. Hier sind die Reden der Preisträgerinnen im Wortlaut:


Susanne Schnabl-Wunderlich:

"Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, geschätzte Kollegen und Kolleginnen, liebe Familie,

Robert Hochner und die 'ZiB 2'. So endeten regelmäßig meine mehr oder weniger langweiligen Oberstufen-Schultage in einer kleinen Kärntner Bezirksstadt. Zum Tagesausklang der Blick hinaus in die Welt und der Blick auf das, was unsere Gesellschaft maßgeblich prägt: die Politik. Und dabei, beim Zuschauen, hab ich viel gelernt bzw. beobachtet, was mir damals noch nicht so bewusst war, nämlich wie kritische Öffentlichkeit funktioniert: sachlich, faktenorientiert, unaufgeregt, auf Augenhöhe, at it’s best. Plötzlich beginnen die Gedanken im elterlichen Wohnzimmer zu kreisen, es wird diskutiert – spätabends – vor dem Fernseher.

Mit Robert Hochner und seit Robert Hochner hat sich der öffentlich-rechtliche Journalismus verändert, emanzipiert. Seine journalistische Grundhaltung gilt seither als Maßstab, sich keiner Meinung gemein machen, sondern kritische Distanz allem und jedem gegenüber – ohne wenn und aber.

Und dennoch sind wir seit geraumer Zeit mehr denn je mit der Frage unserer "Glaubwürdigkeit" konfrontiert. Die Skepsis gegenüber uns, dem was wir tun, den klassischen Medien, die ist da – befeuert von und in den sozialen Netzwerken – und sie lässt sich nicht einfach wegdiskutierten.

Durch Algorithmen generiertes Weltbild

Da formiert sich, da existiert eine kritische Öffentlichkeit. Das ist ja grundsätzlich begrüßenswert, die Deutungshoheit in einer Demokratie nicht nur einigen wenigen zu überlassen. Aber was, wenn sich diese Öffentlichkeit in einer Parallelwelt bewegt, gebaut auf dem Fundament von Gerüchten, Spekulationen, Verschwörungen, Anwürfen und Diffamierungen? So ein Weltbild ist da schnell konstruiert. Dazu braucht es keine Zeitungen, Gespräche mit anderen, Radio- Fernsehinterviews und Berichte oder schnell ein paar Fakten googeln, um sich eine Meinung zu bilden. Nein, es braucht nur einen Klick, und fertig ist das meist stromlinienförmig durch Algorithmen generierte Weltbild auf Facebook; meist eine Selbstbestätigung, das immer wiederkehrende Echo der eigenen Meinung. Schwarz-Weiß, die gegen uns, und fertig. Dabei geht es selten um die Suche nach der Wahrheit, sondern mehr um die Erregung von Aufmerksamkeit, die härteste digitale Währung. Aber das geht ans Existenzielle des Miteinanders, der Demokratie, die nun einmal auf öffentliche Räume angewiesen ist.

Wir können und müssen dem nur eines entgegensetzen und anbieten: Fakten, gründliche Recherche, Sachlichkeit, Tiefe und vor allem Breite, einen allumfassenden Blick, der sich nicht von 140 Zeichen in einer Blase einengen lässt; die Nabelschau also verlassen, nicht ausschließlich Treiber und Agent von Sensationen oder gar Polit-Spins, Schwarz-Weiß-Geschichten, "Gut gegen Böse" sein. Ja, Journalismus braucht die Zuspitzung und starke Bilder, aber es geht dabei um Qualität, die den Dialog, die Auseinandersetzung widersprechender Ansichten, die Pluralität abbildet, fördert und garantiert. Kurzum: Es liegt an uns Journalisten, in einer globalisierten, immer komplexeren und zugleich fragmentierten Welt die Grauschattierungen zwischen Schwarz und Weiß, die vielen bunten, oft leisen Perspektiven abseits der lauten digitalen Echokammer herauszuarbeiten.

Aus dem Redaktionsalltag

Das ist fordernd, und ja, das ist anstrengend und braucht einen langen Atem. Ich will Ihnen dazu kurz aus meinem, unseren Redaktionsalltag erzählen: Es war der 15. September 2015. Seit Tagen kamen zehntausende Menschen über die österreichische Grenze, und, wie wir nunmehr neun Monate später wissen, waren es Hunderttausende, die durch Österreich reisten. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir in der "Report"-Redaktion nicht all umfassend – frei nach Rudolf Augstein – "sagen, was ist". Wir konnten nur fragen, was ist? Und all die Fragen der Bevölkerung, getragen von Hilfsbereitschaft bis hin zu tiefster Unsicherheit, aufgreifen und nach vielen möglichen Antworten suchen. Das war die Idee Robert Wiesners und einer großartigen Redaktion: der Österreich-"Report" am 15. September. Während der Vorbereitungen auf diese Sendung und auch exakt ein halbes Jahr später, als wir denselben Fragen noch einmal in einer hundertminütigen Hauptabendsendung nachgingen, musste ich immer wieder an ein Zitat von Ingeborg Bachmann denken, an das "Denken" selbst, "das noch nicht um eine Richtung besorgt ist", sondern nur eines will: "Erkenntnis".

Also nachfragen in alle Richtungen, ohne wenn und aber. Sachlich bitte nicht mit langweilig zu verwechseln. Natürlich soll die Aufmerksamkeit auf unserer Seite sein. Nicht vorgeben, zu wissen, was ist, wenn sich noch alles im Fluss Befindliche eben nicht klar und präzis einordnen lässt. Und vor allem dranbleiben, immer wieder nachfragen, wenn die ersten lauten Schlagzeilen längst verhallt und vergessen sind.

Pluralität in den Redaktionen

Dafür brauchen wir – gerade im Hinblick auf die nächsten, den ORF betreffenden entscheidungsreichen Monate – die besten, die kritischsten, unabhängigsten, kreativsten und verantwortungsbewusste Köpfe. Pluralität in den Redaktionen, die braucht es mehr denn je. Mehrstimmigkeit, um die Breite der Gesellschaft abzubilden, zu garantieren. Distanz jedem und allem gegenüber. Der Unabhängigkeit stets verpflichtet. Das ist unser Geschäftsmodell, und die Währung dazu ist unsere Glaubwürdigkeit. Und es braucht mehr denn je Transparenz. Unser Job ist es zu erklären, aber auch wir sollten uns unserem Publikum erklären, warum wir etwas tun und warum eben nicht, kurzum, wie kritische Öffentlichkeit – abseits von Likes und Shitstorms – funktionieren soll und kann.

Clarissa Stadler hat über ihren verstorbenen Mann Robert Hochner geschrieben: "Er war ein großer Journalist, weil er kein Besserwisser, sondern ein Mehrwisser war. Und er hat bewiesen, dass man mit Wachsamkeit und Kritik der Wahrheit ein Stück näher kommt."

"Mehrwisser", das sollten unsere Zuseher und Zuseherinnen nach jeder Sendung sein im Vertrauen, der Wahrheit mit und durch uns ein Stück näher gekommen zu sein. In diesem Sinne sage ich Danke für diese Auszeichnung, die ich in Demut und als Ansporn entgegennehme.

Und lassen sie mich bitte noch ein persönliches Dankeschön aussprechen: Danke an meine Familie, insbesondere an meine Eltern, die selbstständiges Denken und kritisches Hinterfragen – nicht nur am Küchentisch – stets forderten und förderten. Dir, lieber Nicola, weil Geschwister dafür die besten Sparringspartner sind. Vor allem dir, lieber Thomas, für deinen unverblümten, klaren, weiten Blick fernab jeder Blase. Und danke, liebe Kathi Zechner, für die Möglichkeit und das Vertrauen, den kritischen Fragen jenen Platz zu geben, den sie brauchen."


Die Rede von Barbara Tóth im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Herr Bundeskanzler, Liebe Kolleginnen und Freundinnen, Liebe Familie.

Dieser Preis macht demütig und stolz. Demütig, weil ich mich einreihen darf unter vorbildliche Persönlichkeiten, darunter alleine drei Kollegen des "Falters": Armin Thurnher, Florian Klenk und Sibylle Hamann. Stolz, weil ich meines Wissens nach die erste Journalistin bin, die diesen Preis bekommt und deren erste Muttersprache nicht Deutsch war.

Es ist zur guten Tradition geworden, dass die Preisträgerinnen des Kurt-Vorhofer-Journalistenpreises ihre kurze Rede auch dafür nutzen, etwas Grundsätzliches zum Journalismus in Österreich zu sagen. Auch ich möchte das tun – verbunden mit einem Danke an jene Menschen, ohne die ich heute Abend hier nicht stehen würde. Denn dieser Preis zeichnet zwar mich aus, aber er gebührt mehreren.

Kritischer Politikjournalismus

Danken möchte ich deshalb zu allererst der Redaktion des "Falters", allen voran Florian Klenk und Armin Thurnher. Ich schätze meine journalistische Heimat dafür, dass sie sich als Redaktion und als Thinktank gleichermaßen versteht. Mal sehen, was die Zukunft bringt, aber in den vergangenen Jahren wäre ein Politikjournalismus unendlich lähmend gewesen, der sich nur auf das Rezensieren und Bewerten des von der Politik Angebotenen beschränkt. Im "Falter" konnte ich diesen kritischen und konstruktiven journalistischen Ansatz leben. Wir schauen genau hin, aber wir denken auch mit, manchmal auch vor. Das ist sehr, sehr viel wert und in Österreich alles andere als selbstverständlich.

Danken möchte ich zweitens jenen Menschen, die mich in meiner Ausbildung als Historikerin geprägt haben. Oliver Rathkolb, bei dem ich meine Dissertation verfasst habe und von dem ich das Handwerk der Zeithistorikerin gelernt habe, das sich mit meiner Arbeit als politische Journalistin, wie ich meine, perfekt ergänzt. Lieber Oliver, dein Blick auf die Geschichte, das Suchen nach Kontinuitäten und Brüchen statt nach einfachen Erklärungsmustern, sind essenziell für mich.

Gegen Alarmismus und Kulturpessimismus

Danken möchte ich auch Karel Schwarzenberg, mit dem ich das Vergnügen hatte, im Rahmen zweier Buchprojekte viele Gespräche zu führen. Von Ihnen, Herr Schwarzenberg, lernte ich eine Großzügigkeit, eine heitere Gelassenheit gegenüber aktuellen Ereignissen. Sie prägten mich gegen eine gewisse Hysterie und einen Alarmismus, gegen diesen Kulturpessimismus im Allgemeinen, der gerade im letzten Jahr – diesem historischen Jahr mit großen Fluchtbewegungen – viele erfasst hat.

Das ist logisch, große Ereignisse verunsichern, fordern heraus. Aber Aufgabe von uns Journalisten ist es nicht, auf den Erregungskurven mitzusurfen, sondern im historischen Kontext einzuordnen, und dabei eine verlässliche Stimme der Vernunft – wie die Jury es schön formuliert hat – zu bleiben.

Seit kurzem gibt es ein Masterstudium Zeitgeschichte und Medien. Hätte es das 1993, als ich immatrikulierte, gegeben, ich hätte es gewählt. Und ich kann es nur jedem, der politischen Journalismus machen will, empfehlen. Lernen sie Geschichte, Herr Redakteur, dieses Zitat Bruno Kreiskys ist einfach zeitlos.

Frage des Bildungssystems

Danken möchte ich als Drittes – und vorletztes – Franz Küberl und Margit Fischer. Lieber Franz, wir haben ein Jahr gemeinsam für ein Buch recherchiert und haben österreichweit Caritas-Einrichtungen besucht. Durch dich habe ich gelernt, gesellschaftspolitische Themen – immer und zuallererst – als soziale Frage zu analysieren. Ob jemand arbeitslos ist oder schlecht in der Schule, ist keine Frage der Gene, der Hautfarbe oder des Migrationshintergrunds. Es ist eine Frage unseres Bildungssystems und der Ziele, die sich eine Gesellschaft setzt. Liebe Margit, ich durfte bei deiner Biografie mitarbeiten – was du dafür getan hast, um Kindern aus nichtprivilegierten Haushalten den Zugang zur Wissenschaft zu ermöglichen, ist einfach großartig. Gäbe es mehr Menschen wie dich, wäre das für unsere Gesellschaft so wichtig.

Das bringt mich zum Schluss. Mein vierter Dank geht an meine Familie. Es ist anders, wenn man in einem Haushalt aufwächst, wo jedes deutsche Wort, das man nicht kannte, von der Mama im Wörterbuch nachgeschlagen wird – und zwar immer, auch mitten beim Abendessen. Und der Papa parallel dazu in einem Taschenbuch, es hieß "Sag es treffender" nach Synonymen sucht. Das prägt, das sensibilisiert für Sprache und Stil.

Innere Distanz

Es ist auch anders, wenn man – wie ich – eine "gelernte Österreicherin" im wahrsten Sinne des Wortes ist. Ich bin mit einer gewissen inneren Distanz zu diesem Land aufgewachsen, ich habe nicht alles als gegeben hingenommen und nicht nur im Zweifelsfall hinterfragt. Ich habe eine österreichische, eine tschechische, eine ungarische und eine europäische Identität. Mit vielen Bindestrichen. Eine Redaktion, die einem Raum zum Nachfragen und Denken gibt. Eine solide, zeitgeschichtliche Ausbildung als Basis, um aktuelle Politik zu beurteilen. Gelassenheit und Distanz. Die soziale Frage dabei immer im Blick zu behalten. Und die Liebe zur Sprache, eine Art Lebensliebe. Das sind die Zutaten für journalistische Exzellenz, wie ich sie ausüben darf.

Nein, es ist leider nicht selbstverständlich, dass ich als Tochter eines Ungarns und einer Tschechin, die 1969 nach Österreich kamen, diesen wunderbaren Preis bekomme. Menschen mit Migrationshintergrund sind in Österreichs Medienlandschaft nach wie vor zu selten. Redaktionen spiegeln die Diversität Österreichs, das ein Einwanderungsland im Herzen Europas geworden ist, noch viel zu wenig wider. Ich hoffe, das ändert sich bald und ich kann mit meinen Texten auch einen kleinen Beitrag dazu leisten. Dann können wir alle stolz sein." (red, 31.5.2016)