Wien – "Mit dem Interesse habe ich nicht gerechnet", stellt Richterin Elisabeth Reich verwundert fest, als sie ihren Blick durch den Saal 102 des Wiener Landesgerichts schweifen lässt. Nicht nur Journalisten und Gerichtskiebitze sind hier – jeder einzelne Sitzplatz ist besetzt, an den Wänden lehnen dichtgedrängt die Zuhörerinnen und Zuhörer.
Der Grund des Interesses an dem Prozess um Fahrraddiebstahl, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung an einem Polizisten ist der Zweitangeklagte. Renato S. ist nämlich besser unter seinem Künstlernamen Puber bekannt und wurde im Sommer 2014 zu 14 Monaten teilbedingt verurteilt, da er in ganz Wien seinen Schriftzug auf Wände gesprüht hat.
Diesmal sind der 29-jährige Schweizer und der Erstangeklagte Manuel W. hier, da sie in der Nacht des 12. April ein Rad gestohlen haben sollen und S. sich bei seiner Festnahme gewehrt hat.
Am Vortag besoffen
Erstangeklagter W. bekennt sich zum Diebstahl nicht schuldig. "Wir waren am Vortag so besoffen, dass Renato sein Rad wo abgestellt hat, da er es nicht mehr heimschieben wollte", erzählt der sechsfach Vorbestrafte, der zuletzt in der Sicherheitsbranche gearbeitet hat.
"Er hat den Schlüssel im Suff verloren, also sind wir in der nächsten Nacht das Rad dann suchen gegangen, und ich habe meinen Bolzenschneider mitgenommen, damit wir die Kette aufkriegen." – "Wieso haben Sie einen Bolzenschneider?", wundert sich die Richterin. "Gute Frage. Aber ich habe den schön öfter gebraucht – alleine mein Rad habe ich schon dreimal aufgezwickt." – "Interessant, ich habe noch nie einen gebraucht." – "Jetzt habe ich eh keinen mehr." – "Ja, weil er bei uns liegt."
In der Tatnacht habe man jedenfalls Pubers Rad gesucht. "Es war ein billiges Hollandrad", erinnert sich der Erstangeklagte. "Ich habe dann eines gesehen, von dem ich dachte, das ist es." Er setzte den Bolzenschneider an und beschädigte die Kette, S. machte ihn dann aber darauf aufmerksam, dass es gar nicht sein Rad sei.
Zwei Typen auf Rädern
Man fand schließlich das richtige. "Dann sind zwei Typen auf Rädern vorbeigekommen und haben uns nach dem Weg gefragt. Die sind mir komisch vorgekommen, ich habe gedacht, das sind Sprayer." Waren sie nicht, sondern zwei Streifenpolizisten, denen die Sache verdächtig vorgekommen ist. Sie riefen Verstärkung, schließlich kamen drei Polizeiautos, und W. und S. wurden festgenommen.
Puber soll sich dabei gewehrt haben und einem Beamten eine Prellung des rechten Daumens zugefügt haben, wie Verteidiger Nikolaus Rast amüsiert ausführt. S. hält das für möglich: "Die waren voll aggressiv. Als ich auf dem Rücken gelegen bin, habe ich mich gewehrt. Vielleicht habe ich dabei einen getroffen."
Dass er trotz Waffenverbots Besitzer eines Pfeffersprays und eines Klappmessers ist, erklärt er so: "Ich habe nicht gewusst, dass ein Pfefferspray eine Waffe ist, das habe ich zur Sicherheit dabei." Und das Messer? "Ich war am Donaukanal sprühen und hatte das Butterfly wegen der Dosen mit."
Billiges Vehikel
Verteidiger Rast macht eine Bemerkung, die Reich nicht von der Hand weisen kann – denn das angeblich gestohlene Rad war ziemlich schäbig. "Wenn ich in der Nacht ein Rad stehlen will, suche ich mir doch was Besseres!", merkt Rast an. Selbst einer der Polizisten gibt als Zeuge an, dass das Vehikel "nicht besonders hochpreisig ausgeschaut hat".
Vom Diebstahlsvorwurf werden beide schließlich freigesprochen. Reich hat zwar offensichtlich Zweifel, aber: "Ihre Geschichte war gut, man kann sie nicht widerlegen", sagt sie fröhlich. Puber fasst dagegen für die anderen Delikte zehn Monate unbedingt aus. Da der Staatsanwalt keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 31.5.2016)