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Ein Kopfstand will gelernt sein, sonst drohen Verletzungen.

Foto: REUTERS/Kevin Lamarque

Kopf stehen liegt im Trend: Auf der Foto-Plattform Instagram kann man andere dabei bewundern, wie sie sich am Strand, im Park, im Wohnzimmer und sogar auf dem Dach eines Hochhauses kopfüber in Szene setzen.

"Der Boom der sogenannten Umkehrhaltungen ist seit einigen Jahren beachtlich", sagt Viktoria Ecker vom Wiener Yogastudio Doktor Yoga. Das sei auch in ihrem Studio bemerkbar: "Kaum ein Workshop ist so gut gebucht wie meine Handstand- und Kopfstand-Workshops", so Ecker. Auch auf Youtube gibt es zahlreiche Anleitungen dazu.

In einem Artikel in der New York Times wurde jüngst gemutmaßt, dass der Boom wohl darauf zurückzuführen ist, dass sich solche Fotos in den sozialen Netzwerken besonders gut zum Angeben eignen.

Einstauchungen und Bandscheibenvorfälle

So einfach, wie sie bei Profis aussehen, sind die Übungen aber nicht. Der Wiener Orthopäde Steven Moayad rät zur Vorsicht: "Wenn man ungeübt ist, dann kann es durch eine falsche Belastung zu einer Einstauchung der Halswirbelsäule kommen." Oder, in Ausnahmefällen, gar zu Schlimmerem: Moayad behandelt auch einige Patienten mit Peitschenschlagsyndrom – einer Weichteilverletzung in der Halswirbelsäule, die typischerweise bei Auffahrunfällen auftritt.

Seine Patienten waren jedoch nicht in einen Unfall verwickelt. Sie haben Kopfstände geübt. Auch Bandscheibenvorfälle oder Knochenbrüche können auftreten, wenn der Körper das Gleichgewicht nicht halten kann. Daher sollten Kopf- und Handstände anfangs nur unter Aufsicht geübt werden.

Dennoch: "Richtig ausgeübt und mit guter Körperspannung sind Hand- und Kopfstand eine gute Sache", sagt Moayad. Körperspannung sei besonders im Bauch- und Beckenbereich wichtig, um die Körpermitte zentriert zu halten. Außerdem sei es wichtig, die Schulterblätter kräftig nach unten zu ziehen und in den Beinen zumindest bis zu den Knien die Spannung zu halten.

Vorübungen wichtig

Das schafft nicht jeder auf Anhieb. "Ein Handstand ist koordinativ sicher eine Herausforderung", so Moayad. Als Vorübung empfiehlt der Orthopäde, die Bauch- und Rückenmuskulatur zu trainieren. Etwa, indem auf einem Sitzball balanciert wird.

Denn einmal ganz abgesehen von den schönen Fotos für Instragram soll es auch einen gesundheitlichen Nutzen geben. Die einen berichten von einem Energieschub. Andere von der totalen Entspannung oder einer erhöhten Konzentrationsfähigkeit.

Studien dazu sind dünn gesät, sagt der Physiologe Andreas Rössler von der Meduni Graz. Der Körper reagiert aufs Kopfstehen jedenfalls nach den Gesetzen der Schwerkraft.

Blut folgt Schwerkraft

Etwa ein Zehntel des Blutvolumens fließt also in den Kopfbereich. "Aber der Kopf ist sensibler als die Zehen, in die das Blutvolumen beim Stehen fließen würde", so Rössler. Würde der halbe Liter Blut ungehindert ins Gehirn rinnen, dann würde dort der Druck ansteigen und Blut aus den Gefäßen austreten. "Die Folge wären Ödeme oder Schwellungen", so der Physiologe.

Daher verfügt das Gehirn über Autoregulationsmechanismen: Gefäße im Eingangsbereich des Gehirns machen daher zu und ermöglichen damit einen konstanten Blutdruck, so der Physiologe. Das Gesicht wird bei vielen Menschen nun rot.

Auch die Lunge wird beeinflusst: In normaler, aufrecht stehender Position ist es der untere Bereich der Lunge, der stärker durchblutet ist. Im Kopfstand dreht sich das – der Schwerkraft sei Dank – um: "Die Regionen, die im Normalfall nicht gut durchblutet werden, haben also plötzlich eine bessere Sauerstoffaufnahme", so Rössler. Darin sieht der Physiologe auch viele der angeblichen positiven Wirkungen von Kopf- oder Handstand begründet: "Aus der Lunge kommt ein richtiger Sauerstoffschub."

Kopfstehen bei Migräne

Eine weitere Erklärung für das gute Gefühl, von dem viele nach dem Kopfstand berichten, sieht Rössler im Hormonhaushalt: Dadurch, dass bestimmte Hirnareale während der Übung schlechter durchblutet werden, werde weniger vom Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Außerdem gäbe es Migränepatienten, deren Symptome durch regelmäßiges Kopfstehen gelindert werden.

Geeignet ist die Position aber nicht für alle: Schwangeren wird davon eher abgeraten, ebenso wie Menschen mit Arthrose oder Bandscheibenvorfällen sowie bestimmten internistischen Vorerkrankungen.

Mit Konsequenz und Motivation sind sowohl Kopf- als auch Handstand von jedem gesunden Menschen zu erlernen, sind sich die Experten einig. Wobei ersterer für die Halswirbelsäule eine größere Belastung darstellt. Im Juni wird Viktoria Ecker wieder einen Kopf- und Handstandworkshop unterrichten: "Die Umkehrhaltungen haben Suchtpotenzial", sagt sie. "Sie machen einfach Spaß."

Und wer's braucht, bekommt für schöne Fotos davon online auch noch Likes. Auch das fühlt sich gut an. (Franziska Zoidl, 5.6.2016)