Christoph Keese forciert mit Axel Springer digitale Geschäftsmodelle. An die Kraft von Papier glaubt er dennoch: "Es wird immer einen Markt für gedruckte Tageszeitungen und Magazine geben."

Foto: Axel Springer

STANDARD: In einem STANDARD-Interview 2010 haben Sie auf die Frage, ob sich die Gratiskultur im Internet noch stoppen lässt, geantwortet: "Ich kenne leider niemanden, der das weiß und beantworten kann." Können Sie diese Frage jetzt, sechs Jahre später, beantworten?

Keese: Die Gratiskultur ganz stoppen zu wollen ist wahrscheinlich weder machbar noch wünschenswert. Rein werbefinanzierte Angebote kann es durchaus geben. Wichtig ist, eine funktionierende Zahlkultur zu etablieren. Dabei sind in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden. Die erfolgreichen Bezahlmodelle bei bild.de und welt.de ermutigen uns, diesen Weg weiterzugehen. Mittlerweile setzten schon über 100 deutsche Zeitungsverlage auf Bezahlmodelle. Einige davon hatten das vor ein paar Jahren noch ausgeschlossen. Auf Dauer wird es vermutlich so sein wie im Fernsehen – mit Bezahlfernsehen und kostenlosen Sendern.

STANDARD: "Bild.de" hat 310.000 User, die für exklusive Inhalte auf "Bild Plus" zahlen. Wird das Portal einmal komplett hinter einer Bezahlschranke verschwinden?

Keese: Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Bei jedem einzelnen Artikel wird entschieden, ob er kostenlos oder im Abo angeboten wird. Viele Befürchtungen, die anfangs geäußert wurden, haben sich nicht bestätigt. Heute ist klar: Zahlen schreckt Menschen nicht davon ab, Artikel zu lesen. Im Gegenteil. Was einen Preis hat, hat einen Wert.

STANDARD: Welche Artikel animieren zum Zahlen? Nachrichten, Society oder Sport?

Keese: Das lässt sich nicht pauschal sagen und ändert sich auch. Die Stärke des Modells ist, dass es sich flexibel handhaben lässt. Die Redaktion entscheidet jeden Tag aufs Neue. Vor Einführung von Bezahlmodellen wurde vermutet, dass Leser nur für exklusive Inhalte zahlen würden. Das hat sich nicht bewahrheitet. Es kommt weniger auf die Exklusivität einer Geschichte an, als auf den Ton, in dem sie erzählt wird. Das Wie ist mindestens so wichtig wie das Was. Durch das Wie kann man sich von der Konkurrenz unterscheiden, auch wenn das Thema überall auf der Welt kostenlos verfügbar ist.

STANDARD: Auch bei einer nüchtern gehaltenen Meldung der deutschen Nachrichtenagentur dpa?

Keese: Das würde ich bezweifeln. Aber eine Geschichte, die auf einer dpa-Meldung aufbaut und eigene Recherchen in der besonderen Sprache und Haltung der Redaktion hinzufügt, findet ihr Publikum auch in Zahlmodellen.

STANDARD: Je reißerischer die Überschrift, desto besser die Verkaufszahlen?

Keese: Nein, so funktioniert das nicht. Zahlmodelle belohnen Qualität. Sie stellen ein langfristiges Verhältnis zwischen Medium und Publikum her. Wer ein Abo abgeschlossen hat, setzt auf Verlässlichkeit. Gerade das schafft Platz für Kreativität. Natürlich muss man Appetit auf eine Geschichte wecken. Das bedeutet aber nicht, dass man ins Unseriöse abgleitet. Man kann das vielleicht mit Trailern von Kinofilmen vergleichen. Die haben alle ungefähr die gleiche Länge, aber es gibt sehr unterschiedliche Erzählformen, mit denen das Interesse geweckt wird. Dass es reißerische Trailer gibt, heißt nicht, dass alle Trailer reißerisch sind. Im Journalismus darf man keine übertriebenen Erwartungen wecken. Ein Artikelanriss, die Titelseite einer Zeitung, das Cover einer Zeitschrift – das sind immer auch Produktversprechen. Diese Versprechen sollten eingelöst werden.

STANDARD: Schreibt bild.de schwarze Zahlen?

Keese: Ja, bild.de ist profitabel. Es lohnt sich, nicht allein auf Anzeigen zu vertrauen, sondern auch Vertriebserlöse zu erzielen. Medien sollten sich nicht allzu abhängig von Anzeigen machen. Das macht sie leichter erpressbar. Zwei Standbeine sind besser als eines. Nichts macht so unabhängig wie viele Leserinnen und Leser, die für die Arbeit der Redaktion zahlen.

STANDARD: Die verkaufte Auflage der "Bild"-Zeitung liegt aktuell bei zwei Millionen Exemplaren. Vor fünf Jahren waren es noch drei Millionen. Wie lange wird es die gedruckte "Bild" noch geben?

Keese: Noch sehr lange. Das gilt für alle Zeitungen. Sie werden länger leben, als viele Auguren glauben. Wir glauben an Papier. Es wird immer einen Markt für gedruckte Tageszeitungen und Magazine geben. Nur wird er weitaus kleiner sein als früher. Das an sich ist aber nicht schlimm, denn etwas Aufregendes, Neues ist hinzugekommen: die Digitalisierung. Sie bietet fantastische Möglichkeiten für Journalismus. Es gibt allen Grund, zuversichtlich zu sein. Wir haben uns vorgenommen, die Idee der Zeitung vom Medium Papier zu emanzipieren. Die Idee der Zeitung ist viel größer als das Bedrucken von Papier. Es geht um die verantwortliche Absenderschaft von Information, Kommentar und Unterhaltung – das ist Zeitung, ganz gleich, ob sie auf Papier oder elektronisch erscheint. Verlage stellen sich strategisch am besten so auf, dass es egal wird, ob der von ihnen produzierte Journalismus digital oder auf Papier verbreitet wird. Wir sind auf dem besten Weg dorthin.

STANDARD: Die Transformation Axel Springers in ein digitales Medienhaus ist schon seit Jahren im Fluss. Der Großteil der Erlöse fußt auf digitalen Geschäftsfeldern, die aber nicht unbedingt etwas mit Journalismus zu tun haben.

Keese: Das ist auch nicht viel anders als früher. Selbst in den Blütezeiten der Zeitung kam der größte Teil der Erlöse aller Verlage aus Anzeigen- und Rubrikenmärkten. Der kleinere Teil kam direkt von Lesern. Heute ist das genauso, auch bei uns. Nur dass viele Rubrikenmärkte heute unter anderer Marke erscheinen. Springer hat eine überzeugende digitale Transformation absolviert: 60 Prozent der Umsätze, 70 Prozent der operativen Gewinne und etwa 80 Prozent der Anzeigenumsätze kommen aus dem Netz. Der Erfolg unserer Rubrikenportale drängt den Journalismus nicht in den Hintergrund. Drei Viertel der digitalen Gesamtreichweite stammt von journalistischen Angeboten. 44 Prozent unserer Erlöse kommen aus dem Segment Bezahlmodelle, also größtenteils aus Journalismus, und rund 27 Prozent der Ergebnisse. Das ist nicht viel anders als zu den Hochzeiten von Print.

STANDARD: Ein großes Thema sind Adblocker. Bild.de steuert mit technischen Maßnahmen dagegen, indem die Inhalte für Adblocker-User gesperrt werden. Auf der anderen Seite verlieren Sie mit dieser Maßnahme Reichweite. Sind Sie mit den ersten Erfahrungen zufrieden?

Keese: Unsere Initiative gegen Adblocker zeigt Wirkung. Wir gehen rechtlich gegen Adblocker vor und machen unseren Lesern attraktive Angebote. Wir laden sie ein, auf Adblocker zu verzichten. Dadurch konnten wir die Adblocker-Rate um 80 Prozent senken. Die vermarktbare Reichweite von bild.de ist um zehn Prozent gestiegen. Verlage können Adblocker nicht einfach hinnehmen. Journalismus muss bezahlt werden. Leser können nicht erwarten, dass sie weder Geld zahlen noch Anzeigen anschauen. Entweder Leser deaktivieren den Adblocker, oder sie schließen das Spezialabo "Bild Smart" für monatlich 2,99 Euro ab. Dann bekommen sie "Bild Plus" ohne Werbung.

STANDARD: Sie klagen einerseits mit Eyeo den größten Anbieter von Adblockern, auf der anderen Seite fordern Sie User auf bild.de zum Whitelisting auf und fördern damit deren Geschäftsmodell.

Keese: Generell halten wir das Geschäftsmodell der Adblocker für ausbeuterisch. Wenn neben Blacklisting auch noch Whitelisting tritt, ist das besonders verwerflich. Das ist eine Art von Schutzgeldabpressung. Man kann nicht Werbung blockieren mit der Behauptung, Leser vor Werbung schützen zu wollen, und dann hintenherum Geld nehmen, um die Werbung seiner Schutzgeldopfer durchzulassen.

STANDARD: Eine andere juristische Auseinandersetzung ist das Leistungsschutzrecht. Werden Sie jemals Geld von Google erhalten?

Keese: Ja, da sind wir zuversichtlich. Die VG Media, die unsere Rechte vertritt, hat schon Geld bekommen. Zwar nicht von Google, aber von einer anderen Suchmaschine. Hier ist ein signifikanter sechsstelliger Betrag für die Nutzungsrechte eines Jahres geflossen. Das ist erst der Anfang. Der Gesetzgeber hat klar festgelegt, dass Suchmaschinen und Aggregatoren an Verlage zahlen müssen, wenn sie deren Inhalte nutzen. Google verweigert die Zahlung. Also musste die VG Media den Gerichtsweg einschlagen. Das ist ihre gesetzliche Pflicht. Sie darf sich nicht damit zufriedengeben, wenn ein Nutzer sich weigert, für die Nutzung von Inhalten zu zahlen. Der Rechtsweg geht über vier Instanzen. Die erste Instanz liegt mit durchaus ermutigenden Ergebnissen hinter uns. Verwertungsgesellschaften brauchen einen langen Atem. Das ist keine Überraschung, denn das ist in der mehr als 100-jährigen Geschichte der deutschen Verwertungsgesellschaften immer schon so gewesen. Die Gema (Musik, Anm.) nimmt für ihre Künstler fast eine Milliarde Euro pro Jahr ein. So viel wird es bei uns sicher nicht werden, wir werden aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Geld von Google bekommen.

STANDARD: Wann ist es realistisch? Das Gesetz wurde 2013 verabschiedet.

Keese: Wir haben uns immer auf einen langen Rechtsweg eingestellt. Wie lange der dauert, hängt von vielen Faktoren ab. Wir machen unsere Ansprüche rückwirkend auf den 1. August 2013 geltend. Das ist der Zeitpunkt, zu dem das Gesetz in Kraft trat. Wir verzichten nicht auf Geld, auch wenn das Verfahren noch drei oder fünf Jahre dauert. (Oliver Mark, 31.5.2016)