Einen passenderen Termin hätte es für Österreichs Ex-ÖBB-Chef und nunmehrigen Kanzler Christian Kern als ersten Auslandstermin kaum geben können: Als Ehrengast durfte er an der offiziellen Premierenfahrt durch den neuen Gotthard-Basistunnel teilnehmen – umgeben von Promipolitikern wie Deutschlands Angela Merkel, Italiens Matteo Renzi, Frankreichs François Hollande.
"Wir schaffen damit im Zentrum Europas eine Grundlage für eine erfolgreiche Verkehrs- und Transportzukunft", strich der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Amman die Bedeutung des mit 57 Kilometern längsten Tunnels der Welt hervor. Eine Aussage, die Kern eloquent aufgriff: "Verkehrspolitik ist heute keine nationale Sache mehr, sondern eine europäische Angelegenheit. In dem Sinne danke ich den Schweizern, die uns da so mutig vorausgegangen sind."
Kürzere Reisezeit
Die Reisezeit sparende Röhre soll in erster Linie dem europäischen Transitverkehr dienen: 70 Prozent der alpenquerenden Güter werden nach Berechnungen der Credit Suisse CS von den Beneluxstaaten und Deutschland nach Italien und umgekehrt geliefert; der Innerschweizer Güterverkehr von der Deutsch-Schweiz ins Tessin macht dagegen nur gerade zwölf Prozent der heutigen Warenströme aus.
"Anders als in den Nachbarländern hat die Bahn in der Schweiz wegen der gesetzlich verankerten Verlagerungspolitik eine gute Position", sagt CS-Ökonom Simon Hurst. "Fast 70 Prozent der alpenquerenden Güter werden hierzulande auf der Schiene transportiert." In Österreich sei es rund ein Drittel und in Frankreich gar nur jede siebte Tonne, die auf der Schiene transportiert werde. Die moderne Tunnelbahn könne dazu beitragen, noch mehr Güterverkehr von der Straße wegzubekommen, so der CS-Experte.
Anschlussstrecken noch nicht bereit
Doch das wird noch Jahre dauern. Denn zum einen sind die benötigten Anschlussstrecken in Süddeutschland, am Monte Ceneri im Südtessin und in Norditalien noch nicht bereit; zum anderen braucht es den frühestens 2021 fertiggestellten, 37 Kilometer langen Bahntunnel Terzo Valico durch die nördlichen Apenninen, um die Häfen von Genua, La Spezia und Vado Ligure ans norditalienische Bahnnetz anzuschließen. Und auch die Kapazitäten der ligurischen Häfen selber müssen vergrößert werden.
Geschieht dies nicht, werden die Containerschiffe aus Asien via Suezkanal nach Europa nicht in den italienischen Häfen gelöscht, sondern dampfen weiter bis nach Rotterdam, und die für Italien bestimmten Güter werden dann via Gotthardbahn wieder auf einem ökologisch absurden Umweg nach Süden geschickt. (Klaus Bonanomi aus Bern, 1.6.2016)