Stil kann man ja nicht einfach so lernen. Oder verordnen. Das macht die Ankündigung "Neustart mit neuem Stil" für neue Regierungen seit jeher schwierig. Auch wenn es natürlich gut klingt, irgendwer vergisst dann schon einmal, dass eine Presseaussendung selten eine Lösung bringt, dass in ein offenes Mikrofon nicht gleich hineingesprochen werden muss. Leichter Unmut wird so schnell groß, vor allem beim aus der Ära Faymann bekannten Thema Asyl-Obergrenze.

Bundeskanzler Christian Kern hat nun also seinen ersten Regierungsknatsch – und das über Parteigrenzen hinweg. Willkommen in der Regierung.

In der Sache, so Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, verstehe er Kern, anders als sein Ministerkollege Wolfgang Sobotka, der gleich einen "Linksruck" fürchtet. Doch die "Sache" ist das eigentliche Problem.

Seit Jänner hat die Regierung sich eine Obergrenze vulgo einen Richtwert auferlegt. 37.500, das ist die Zahl, die Österreich heuer an Asylwerbern aufnehmen will. Und hier gehen die Meinungen auseinander: Sind jene Menschen, für die laut Dublin-Verordnung andere EU-Staaten zuständig sind, mitzuzählen oder nicht?

Diese inhaltliche Frage ist entscheidend dafür, ob beziehungsweise wann heuer die Obergrenze erreicht wird. Und deren Erreichen würde massive Probleme mit sich bringen: Wie funktioniert der Notstand eigentlich? Ist die Obergrenze EU-rechtskonform? Und für Kern persönlich: Will er als Kanzler diese Politik durchsetzen?

Für die Volkspartei ist die Grenze der heilige Gral der Zusammenarbeit mit der SPÖ. Geht es nach ihr, kann hier nichts aufgeschnürt werden. Da fährt die Eisenbahn drüber. Und auch die SPÖ drohte unter Faymann an der Frage zu zerbrechen. Kern kann eine erneute Grundsatzdebatte in der Asyldiskussion nicht brauchen, auch wenn er inhaltlich anderer Meinung ist. Sein Vizekanzler wird das "ähnlich sehen", wie Reinhold Mitterlehner neuerdings nach Kerns Einlassungen zu sagen pflegt.

Die Ankündigung einer Obergrenze war ein Fehler, der sich realpolitisch nur schwer umsetzen lässt. Menschen werden auch danach nach Österreich kommen und in Österreich betreut werden. Eine komplette Abschottung ist weder wünschenswert noch praktikabel. Und die Frage, was mit dem 37.501. Asylwerber passiert, konnte bisher nicht schlüssig beantwortet werden. Hier zeigt sich ein Grundproblem der Regierungspolitik: Politik kann nicht nur Lösungen versprechen, sie muss auch solche vorschlagen, die in der Realität halten.

Wie das Beispiel Asyl zeigt, wir der neue Stil schnell durch alte "Lösungen" eingeholt. Da fällt dann mancher rasch in eingefahrene Rollen zurück. Es wird beim Asylrecht, aber auch bei der Wirtschaft und der Bildung noch spannend sein zu sehen, wie Kern mit den Zwischenrufern aus der Koalition umgeht. Mit dem Erbe der Regierung Faymann wird Christian Kern in jedem Fall noch viel Freude haben. (Sebastian Pumberger, 1.6.2016)