"Der einzige Weg, legal nach Österreich zu kommen, um hier Asyl zu beantragen, wird jetzt radikal zurückgeschraubt. Das ist bedauerlich", sagt Wolf Szymanski.

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Bis 2002 war der Jurist Wolf Szymanski als Sektionschef im Innenministerium für Asyl- und Fremdenrecht verantwortlich, das Asylrecht kennt er als Gesetzeskommentator auch heute wie wenige andere. Der frühere Polizist sagt im STANDARD-Interview, er glaube nicht, dass durch den großen Flüchtlingsandrang im Vorjahr die innere Sicherheit in Gefahr ist.

STANDARD: Wie beurteilen Sie das neue Asylgesetz?

Szymanski: Die beiden Professoren, die das Gutachten für die Bundesregierung erstellt haben, auf dem das Gesetz basiert, waren kreativ. Sie sind eigentlich gefragt worden, ob es eine Obergrenze geben darf. Die Frage, ob es ein Ermächtigungsgesetz geben darf, hat ihnen niemand gestellt. Sie haben eigentlich vorauseilenden Gehorsam praktiziert und haben gesagt: Dass man eine Obergrenze einzieht, geht nicht, aber wir haben diesen Artikel in den EU-Verträgen, und den lesen wir so, dass man EU-Sekundärrecht links liegenlassen kann. Es wird jetzt die Frage sein, was der EuGH dazu sagt – und wer den EuGH anruft, ob das zum Beispiel die Kommission tut.

STANDARD: Österreich ist ein reiches Land, ist es da nicht ein Hohn, den Notstand auszurufen?

Szymanski: Interessant wird sein, ob jetzt sofort eine Verordnung kommt oder ob man abwartet, bis wir 37.500 haben. Im Gesetz stehen ja überhaupt keine Kriterien.

STANDARD: Sehen Sie aktuell eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit?

Szymanski: Nein. In bestimmten Bereichen ist die Verwaltung zwar aktuell sehr in Anspruch genommen, aber die innere Sicherheit sehe ich nicht bedroht.

STANDARD: Wird es in der Praxis funktionieren, die Grenze abzuschirmen?

Szymanski: Das hängt davon ab, was die Slowenen sagen. Die Italiener regen sich ja schon auf. Es wird davon abhängen, wie die Nachbarstaaten damit umgehen, und vor allem davon, wie viele Leute man zurückschickt. Aber so viele Ankünfte, wie wir im September gehabt haben, bewältigen wir mit diesem System auch nicht. Davon bin ich überzeugt. Aber mittlerweile wurde an der Balkanroute ja ohnehin die Zugbrücke hochgefahren.

STANDARD: Werden Asylsuchende jetzt besonders riskante Fluchtwegen wählen müssen?

Szymanski: Ja, diese These hat viel für sich. Die Maßnahmen tendieren dahin, das Schlepperbusiness florieren zu lassen.

STANDARD: Liegt die Überforderung des Asylsystems auch darin, dass die Behörden schlecht ausgestattet sind?

Szymanski: Ich glaube, auch wenn man noch so viele Teams in den Asylbehörden schafft: Asyl ist mit Massen nicht zu bewältigen.

STANDARD: Wie damit umgehen?

Szymanski: Man hätte das viel eleganter und mit weniger Aufregung bewältigen können, und zwar mit der EU-Richtlinie über Massenfluchtbewegungen. Österreich hat diesen Mechanismus für die Bosnien-Flüchtlinge eingesetzt.

STANDARD: Das ist ein befristetes Aufenthaltsrecht. Schafft das nicht wieder neue Notlagen?

Szymanski: Man sagt: Menschen, die zwischen Tag X und Tag Y aus einem bestimmten Gebiet kommen, haben ein Aufenthaltsrecht bis Tag Z. Bei den Bosniern wurde das je um ein halbes Jahr verlängert, bis die einen zurückgekehrt sind und sich die anderen in der bosnischen Community, die es hier ja schon gab, integriert hatten. Ein paar Jahre später hat man dann gesagt: Gut, wer jetzt so lange dageblieben ist, kriegt einen Aufenthaltstitel. Damit war die Geschichte relativ problemlos und ohne Verstopfung des Asylsystems bewältigt. Anfang der 2000er-Jahre hat man nach diesem Vorbild eine EU-Richtlinie gemacht, die sogar einen Verteilungsmechanismus vorsieht, der mit Mehrheit beschlossen werden kann. Dass man das jetzt nicht anwendet, sondern die vielen Syrer durchs Asylsystem schleust, ist völlig unverständlich.

STANDARD: Wie stehen Sie zum EU-Abkommen mit der Türkei?

Szymanski: Die Außengrenzstaaten der EU sind überfordert. Wie auch immer das System, das mit der Türkei ausgehandelt wurde, funktionieren wird – ich ziehe jedes System vor, das die Leute nicht auf die Reise schickt oder ihnen die Möglichkeit gibt, dass sie ohne Schlepper nach Europa kommen. Das ist ein Punkt, den man dem Asyl auf Zeit, das jetzt kommt, vorwerfen muss: Der Familiennachzug ist in Wahrheit der einzige Fall, wo jemand legal nach Österreich kommen kann, um hier Asyl zu beantragen. Dieser einzige Weg wird jetzt radikal zurückgeschraubt. Wenn also jemand mit Schlepper hierherkommt, dann funktioniert der Familiennachzug zwar genauso wie vorher, was aber nicht mehr zugelassen wird, ist, dass er in Ankara zur österreichischen Botschaft geht und sagt, meine Frau hat in Wien Asyl, dass er dann ein Visum kriegt und keinen Schlepper braucht. Das ist bedauerlich. Aber es ist eben so: Immer, wenn man es innenpolitisch benötigt, ändert man im Fremdenrecht etwas.

STANDARD: Die heutigen Schlepper werden bestraft, früher wurden sie als Fluchthelfer gefeiert.

Szymanski: Ja, ich habe irgendwo noch einen Artikel aus der "Kronen Zeitung" von 1986. Da werden ein paar muntere Österreicher gezeigt, die in ihren Autos irgendwelche Vorrichtungen appliziert hatten. So haben sie mehrere Fräuleins, die sie in Prag oder Bratislava kennengelernt haben und wo der primäre Zweck vermutlich nicht die Flucht vor politischer Verfolgung war, über die Grenze gebracht. Die "Krone" hat sie als Fluchthelfer gefeiert. Fluchthelfer sagt man immer dann, wenn sie in das alte Ost-West-Schema des Kalten Kriegs passen. Seit der Ostöffnung heißt es Schlepper. Eine der vielen Sagen rund um das Asylsystem ist, dass Österreich vor 1989 eine tolle Asyltradition hatte. Stichwort Ungarn – die Asylpolitik war damals ein Instrument des Kalten Krieges. Da hat die Staatspolizei die Asylsuchenden über Zustände im Osten ausgequetscht, damit die CIA das auch bald weiß.

STANDARD: Dass das Gros der Asylwerber schlecht ausgebildet ist – ist das auch eine Sage?

Szymanski: Man muss unterscheiden. Zu Ostblockzeiten waren sie gut ausgebildet. Heute ist es gemischt. Sie sind weniger wegen dem, was sie gelernt haben, ein bedeutsames Humankapital als wegen dem, was sie auf sich genommen haben. Von Tschetschenien nach Österreich zu kommen war nicht so furchtbar schwer. Aber von Syrien oder Afghanistan zu kommen ist eine ziemlich schwere und gefährliche Angelegenheit. Einer, der das erstens auf sich nimmt und zweitens auch bewältigt, ist jemand, den Österreich wahrscheinlich gut brauchen könnte. Es wurde ja gesagt, dass die Haltung Angela Merkels sehr viel damit zu tun hatte, dass es jetzt endlich wieder genügend junge Menschen in Deutschland gibt – ganz falsch wird das nicht sein. (Maria Sterkl, 1.6.2016)