STANDARD: Sind Sie angesichts des Ausgangs der Bundespräsidentenwahl erleichtert? Eine gewisse Sympathie für einen der beiden Kandidaten war ja erkennbar.

Heinz Fischer: Ich hätte mit keinem Wahlausgang ein Katastrophenszenario verknüpft. Österreich ist eine reife Demokratie. Aber Sie haben recht: Ich bin mit dem Wahlausgang sehr zufrieden.

Nach zwölf Jahren endet die Amtszeit von Bundespräsident Heinz Fischer. Er wird auch ohne die prunkvollen Arbeitsräume gut leben können, sagt er. Ans Autofahren werde er sich gewöhnen müssen.
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STANDARD: Gibt es in der Hofburg eigentlich ein Raucherkammerl, oder darf es sich der neue Bundespräsident herausnehmen, auch in den Amtsräumen zu rauchen?

Fischer: Er hat schon in diesem Raum geraucht, als er noch nicht Bundespräsident war, und ich nehme an, dass er das erst recht tun wird, wenn er in Amt und Würden ist.

STANDARD: Was sagen Sie zu den Unregelmäßigkeiten, die bei der Wahl aufgetreten sind und den Wahlausgang auch ein wenig im schiefen Licht erscheinen lassen?

Fischer: Das ist in höchstem Maße unerfreulich. Aber ich habe bis zum Beweis des Gegenteils nicht den Eindruck, dass es dabei darum gegangen ist, das Wahlresultat zu verzerren oder einen Kandidaten in rechtswidriger Weise zu bevorzugen. Das war einfach ein unakzeptables Nichteinhalten klarer Rechtsvorschriften.

STANDARD: Was kann oder soll man Ihrer Meinung nach ändern, um einen reibungslosen Ablauf der Wahl sicherzustellen? Macht ein zentrales Wählerregister Sinn?

Fischer: Ich halte die Forderungen nach einem zentralen Wählerregister für sehr berechtigt. Das ist beim heutigen Stand der Technologie sicher erstrebenswert.

STANDARD: Im Wahlkampf war viel von den Befugnissen des Bundespräsidenten die Rede. Braucht es da eine Reform? Sind die Machtbefugnisse, auch wenn sie weitgehend theoretischer Natur sind, zu weitreichend?

Fischer: Ich habe in den zwölf Jahren, in denen ich Bundespräsident war, immer den Standpunkt vertreten, dass unsere Verfassung sehr vernünftig ist und dass ein Bundespräsident, der die Absicht hat, dem Land zu dienen und dem Sinn der Verfassung gerecht zu werden, weder zu viel noch zu wenig Macht hat. Weder die Behauptung, der Bundespräsident ist nur ein machtloser Frühstücksdirektor, noch die Behauptung, der Präsident ist ein heimlicher Autokrat und Tyrann, hat in den sieben Jahrzehnten der Zweiten Republik irgendeine Berechtigung gehabt. Ein verantwortungsvoller Bundespräsident kann mit dieser Verfassungslage sehr gut arbeiten. Aber es mag schon sein, dass eine Diskussion über zwei oder drei Punkte geführt werden sollte.

STANDARD: Welche Punkte sprechen Sie da an?

Fischer: Es geht einerseits um die Rolle des Bundespräsidenten beim Abschluss von Staatsverträgen, aber es geht auch um Minibefugnisse, die sinnlos sind. Der Bundespräsident muss etwa unterschreiben, wenn der Präsident oder die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs auf Urlaub gehen wollen.

STANDARD: Sie müssen den Urlaubsantrag genehmigen?

Fischer: Ja. Das ist eine völlig sinnlose Bestimmung.

Fischer: "Eine totale Sicherheit gegen eine Art von Amtsmissbrauch gibt es in der Demokratie nicht."
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STANDARD: Im Wahlkampf gab es auch Befürchtungen, dass ein Kandidat ins Amt kommen könnte, dem man dieses Verantwortungsbewusstsein nicht in diesem Ausmaß zutraut. Es gab Szenarien, in denen man sich ausgemalt hat, wie der Bundespräsident die Regierung entlässt und das Parlament entmachtet.

Fischer: Ich gehe davon aus, dass ein vom Volk gewählter Bundespräsident, ein vom Volk gewähltes Parlament und eine das Vertrauen des Bundespräsidenten und des Parlaments genießende Bundesregierung verantwortungsvoll und vernünftig handeln. Eine totale Sicherheit gegen eine Art von Amtsmissbrauch gibt es in der Demokratie nicht, weder beim Bundespräsidenten noch bei Regierungsmitgliedern. Auch das Parlament könnte theoretisch seine Macht missbrauchen, und dennoch wird man nicht darüber nachdenken, wie man die Macht des Parlaments beschränkt.

STANDARD:Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der Sie nach einer Wahl den Chef der stimmenstärksten Partei nicht angeloben würden?

Fischer: Das war bei Bundespräsident Thomas Klestil im Jahr 2000 der Fall, er hat den Chef der drittstärksten Partei zum Bundeskanzler gemacht. Das hat heftige Reaktionen ausgelöst, viele sagen, das war unerfreulich, aber es hat stattgefunden. Es kann also niemand sagen, dass das unvorstellbar ist. Aber der Obmann der stimmenstärksten Partei war bei mir immer die erste Überlegung bei der Regierungsbildung.

STANDARD: Im Wahlkampf haben die Präsidentschaftskandidaten Eierspeise gekocht und im Fernsehen Witze erzählt. Wurde das Amt dadurch beschädigt?

Fischer: Das Amt ist nicht beschädigt worden, aber ich hätte das nicht gemacht.

STANDARD: Warum nicht?

Fischer: Ich will einen gewissen Stil einhalten, und damit hätte ich dem widersprochen.

STANDARD: In einem Video für Facebook haben Sie Kinder auf einem Sofa in der Hofburg hüpfen lassen, Sie treten auch selbstironisch auf. Wie lustig darf ein Bundespräsident sein?

Fischer: Lustig darf er schon sein, er soll Sinn für Humor haben, aber er darf sich nichts vorschreiben lassen, weil andere es als lustig empfinden.

STANDARD: Wie lustig finden Sie es, wenn andere Sie persiflieren, wie etwa die Kabarettisten Stermann und Grissemann?

Fischer: In einer Demokratie gibt es dazu nicht nur das Recht, sondern man muss damit auch locker umgehen.

STANDARD: Ihr "Guten Morgen"-Gruß hat bereits Kultstatus.

Fischer (verbeugt sich): Guten Morgen!

STANDARD: Keiner der Kandidaten von SPÖ und ÖVP hat es in die Stichwahl geschafft. Ist die Zeit von Rot und Schwarz damit zu Ende?

Fischer: Das waren sehr gravierende Niederlagen, sowohl für SPÖ als auch ÖVP, es hat auch Konsequenzen gegeben. Aber von einem Ende dieser Parteien kann deshalb keine Rede sein. Wenn ich an die 127-jährige Geschichte der Sozialdemokratie denke, da hat es schon viel gravierendere Niederlagen, entsetzliche Rückschläge und Illegalität gegeben. Eine Wahlniederlage ist unangenehm, schmerzhaft, aber in vielen Fällen auch heilsam.

STANDARD: Es heißt, das sei nun die letzte Chance der Regierung. Was wäre aus Ihrer Sicht das dringlichste Anliegen, das jetzt umgesetzt werden müsste?

Fischer: Das erfolgreiche System der sozialen Marktwirtschaft hat nach 70-jähriger Tätigkeit Abnützungserscheinungen. Die Globalisierung und die Entwicklung der Finanzmärkte haben dazu geführt, dass Marktwirtschaft im Jahr 2016 nicht so funktionieren kann wie 1976. Das Flüchtlingsproblem und die Wirtschafts- und Finanzkrise haben die regierenden Parteien sehr viel Kraft gekostet. Es gibt aber auch Abnützungserscheinungen innerhalb des Landes. In Österreich ist das die zu starke Blockadepolitik zwischen den Parteien, teilweise aber auch zwischen Bund und Ländern. Da ist ein Regierungswechsel eine große Chance, wo neue Ideen und neue Gesichter viel bewirken können. Ich bin sicher, dass Kanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner bei dieser Chance zupacken und sie nicht vorbeigehen lassen.

"Das waren sehr gravierende Niederlagen, sowohl für SPÖ als auch ÖVP. Es hat auch Konsequenzen gegeben", sagt Fischer zur Präsidentschaftswahl.
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STANDARD: Warum haben Sie diese Blockaden nicht stärker thematisiert und sich für Gespräche hinter der Tapetentür entschieden?

Fischer: Das öffentliche Kritisieren hätte dazu geführt, dass der Bundespräsident sofort in die parteipolitischen Auseinandersetzungen hineingezogen worden wäre. Das hätte dem Amt nicht genützt. Die öffentliche Äußerung ist vielleicht prestigefördernd, führt aber gleichzeitig zur Formation von Gegenkräften und reduziert die Wirkung des Bundespräsidenten. Wenn ich ohne Presse ein heikles Thema mit einem Regierungsmitglied bespreche, gibt es ganz andere Möglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass ein Bundespräsident, der – jetzt sag ich ganz despektierlich – ständig den Mund offen hat, nicht das erreicht, was er erreichen will.

STANDARD: Gibt es einen Ratschlag an den Amtsnachfolger, wie er das Amt anzulegen hat?

Fischer: Ich habe zu Professor Van der Bellen eine seit Jahrzehnten bestehende gute Gesprächsbasis. Ich werde ihn so gut ich kann informieren, welche Erfahrungen ich gemacht habe. Aber aus dem gerade erläuterten Grund wird das nicht über die Medien erfolgen. Ich fahre demnächst nach Slowenien aus Anlass der 25-jährigen Unabhängigkeit. Da werden nach derzeitigem Stand auch der deutsche und der italienische Bundespräsident dabei sein. Ich habe meinen Nachfolger eingeladen mitzureisen, das wird er tun. Das wird eine angenehme und nützliche Gelegenheit sein, die ersten persönlichen Kontakte mit ausländischen Staatsoberhäuptern zu knüpfen, bevor er noch vereidigt ist, aber auch um Einblick in dieses Arbeitsfeld zu nehmen und erste konkrete Erfahrungen zu sammeln.

STANDARD: Ein Einführungskurs?

Fischer: Wir sind ja nicht Lehrer und Schüler, aber es ist eine Geste des Vertrauens und eine Geste für einen harmonischen und reibungslosen Amtsübergang.

STANDARD: Das klingt sehr nett.

Fischer: Ist es auch.

STANDARD: Was wird Ihnen besonders abgehen, wenn Sie im Juli das Amt abgeben?

Fischer: Die sympathischen Redakteure und Redakteurinnen des Standard.

STANDARD: Sonst gar nichts?

Fischer: Dann kommt noch manches anderes.

Die Sommerfrische wird Fischer als Privatmann wieder an der Hohen Wand verbringen.
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STANDARD: Werden Ihnen die prunkvollen Amtsräume fehlen – oder sind Sie froh, dass Sie diesen Prunk hinter sich lassen können?

Fischer: Nein, ich habe mich hier nach kurzer Anlaufzeit absolut wohlgefühlt, das leugne ich nicht. Aber ich schätze mich selbst so ein, dass ich auch ohne das leben kann. Das Wichtigste ist, dass meine Privatsphäre, meine Wohnung nach meiner Tätigkeit als Bundespräsident, während meiner Tätigkeit als Bundespräsident und vor meiner Tätigkeit als Bundespräsident absolut die gleiche ist.

STANDARD: Und die Sommerfrische?

Fischer: Wird von Mürzsteg wieder zur Hohen Wand zurückkehren. Die Hohe Wand ist nur ein Mini-Mürzsteg, aber sie hat mir als Nationalratspräsident und als Minister genügt und wird mir auch als Altbundespräsident genügen.

STANDARD: Sie haben als Präsident das Telefonieren nicht verlernt, können nach eigenen Angaben sehr gut einkaufen, wie schaut es mit dem Autofahren aus?

Fischer: Ich bilde mir ein, dass ich früher nicht nur ein leidenschaftlicher, sondern ein wirklich guter Autofahrer war. Jetzt hat mich mein Sohn gefragt, ob ich mich noch sicher fühle, wenn ich hinter einem Lenkrad sitze. Diese Frage kann ich ihm im Augenblick noch nicht beantworten.

STANDARD: Wie lange ist es her, dass Sie das letzte Mal selbst gefahren sind?

Fischer: Als Bundespräsident bin ich praktisch nicht gefahren, jedenfalls nicht mehr als 50 Kilometer.

STANDARD: Wird Ihnen der Bruno Aigner abgehen? Der war jetzt mehr als 40 Jahre an Ihrer Seite.

Fischer: Und ich an seiner. Der Bruno, die Astrid, meine Sprecherin, und die Susanne, meine Büroleiterin, die sind ja nicht aus der Welt, weil ich nicht mehr Bundespräsident bin. (Lisa Kogelnik, Michael Völker, 2.6.2016)