In welcher Sprache denken Sie?

Foto: der standard/christian fischer

Mit der Mutter telefonieren klingt ungefähr so: "Mama, tu encontraste mi Meldezettel? Debe estar auf dem Regal en el Vorzimmer." Den Eltern jedesmal dabei helfen, ein Formular auszufüllen. Von anderen Kindern immer aufgefordert werden, irgendetwas, meist ordinäres, in "deiner Sprache" zu sagen. Viele, die zweisprachig aufgewachsen sind, werden sich in einer dieser Situationen wiederfinden.

Oft geht das mit dem gelegentlichen unangenehmen Gefühl einher, sich seiner Andersartigkeit zu schämen, wenn man sich in der Öffentlichkeit mit den eigenen Eltern in seiner Muttersprache unterhält. Das geht aber zum Glück mit fortschreitendem Alter vorbei, während viele andere Eigenheiten erhalten bleiben. So kann sich auf einem Einkaufszettel "Mantequilla", "Kurkku" oder "Paradajz" neben "Katzenfutter" und "Leberwurst" finden, ohne dass es einem beim Schreiben überhaupt aufgefallen wäre.

Eine weitere Sprache eröffnet ganze Universen an Wörtern. Manche so schön, dass ihr deutsches Pendant dagegen verblasst. Ein leuchtender "Arcoíris" überstrahlt locker den blassen Regenbogen, ein "Papillon" flattert dem Schmetterling munter davon, und in einem "Retrovizor" lässt sich der Verkehr viel lässiger überblicken als in einem Rückspiegel. Gleichzeitig gibt es aber auch deutsche Wörter, die so einzigartig und unübersetzbar sind, dass man einfach nur glücklich ist, sie verwenden zu können – wie das wunderbare Fremdschämen oder der alles erdrückende Weltschmerz.

Die Sprache der Gedanken

Sprechen beide Elternteile unterschiedliche Sprachen, und lernt man als Kleinkind, parallel beide zu sprechen, so wird sich doch nach einiger Zeit eine dominante Sprache herausbilden. Die Sprache, in der man denkt, in der man träumt, in der einem die Worte zuerst einfallen. Oft genug ist dies nicht die Muttersprache, sondern die des Landes, in dem man lebt. Doch auch starke Emotionen können einen von der einen Sprache in die andere kippen lassen – zum Beispiel Wut. Es kann sehr befreiend sein, laut und deftig zu fluchen, wenn einen dabei niemand versteht.

Sprachliche Vielfalt ist in Österreich durchaus gegeben. Die Zahl der Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, nimmt zu, in Wien haben gar 47,5 Prozent aller Schüler angegeben, eine andere Umgangssprache als Deutsch zu sprechen. Österreichweit sind es 22,3 Prozent. Gleichzeitig gibt es aber auch diejenigen, die den Zugang zu ihrer Muttersprache nie gefunden haben, die sie nie sprechen und schreiben gelernt haben und sich beim Urlaub in der Heimat der Eltern mit den Großeltern nur mit Händen und Füßen verständigen können.

Ihre Erfahrungen?

Was bedeutet Ihnen Ihre Muttersprache? Geben Sie diese an Ihre Kinder weiter beziehungsweise haben Sie das vor? Welche Erfahrungen und Alltagshürden sind Ihnen dabei begegnet? In welchen Situationen haben Sie Angst, dass Ihnen die Muttersprache entgleitet? Welche Vorteile sehen Sie in Ihrer Mehsprachigkeit? (aan, jnk, 10.6.2016)