Bekannt wurde der Lehrersohn 2000, als er die globalisierungskritische NGO Attac-Österreich mitbegründete. Im April brachte die Abbildung Christian Felbers als Erfinder der Gemeinwohlökonomie in einem Lehrbuch Ökonomie-Professoren auf die Barrikaden: Er stand in einer Reihe neben Karl Marx, Maynard Keynes und anderen Kapazundern.

Über den Dächern von Wien: Christian Felber, laut Eigendefinition ein "moderner Aufklärer".
Foto: Regine/Hendrich

STANDARD: Sie haben ja Schuhe an.

Felber: Ich geh nicht immer barfuß.

STANDARD: Aber jeden Tag ein Mal?

Felber: Mittlerweile öfter; in Veranstaltungspausen etwa oder im Park.

STANDARD: Warum tun Sie das?

Felber: Die Füße wünschen sich das: Kontakt mit dem Boden, mit Erde, Luft und Sonne.

STANDARD: So erdverbunden?

Felber: Ja, ich bekenne mich auch zu Pachamama (Göttin Erdmutter; Anm.), habe mich schon mit 15 Jahren als Erdbewohner und nicht als Österreicher bezeichnet.

STANDARD: Zu Ihrem Österreich-Begriff will ich noch kommen. Sie machen in Ihren Vorträgen auch gern Kopfstände. Paradoxe Intervention, um die volle Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen?

Felber: Ich zeige damit Ganzheitlichkeit, dass wir nicht nur kognitive und intellektuelle, sondern auch emotionale und physische Dimensionen haben. Und der Kopfstand signalisiert, dass vieles kopfsteht in unserer Welt: Etwa, dass die Wirtschaft Ziele und Mittel verwechselt. Und sicher werden die Leute dadurch aufmerksamer. Manchmal kommt jemand nach dem Vortrag zu mir und sagt: "Der Kopfstand war super."

STANDARD: Sie bekamen jüngst Aufmerksamkeit von 100 Ökonomen. Die forderten, dass Ihr Foto aus einem Schulbuch entfernt wird, das Sie als Vertreter der Gemeinwohlökonomie in einer Reihe mit Karl Marx, Maynard Keynes, Friedrich August von Hayek und Milton Friedman zeigt. Es heißt, das war Ihnen peinlich? Sie sind weder Ökonom, noch Wissenschafter.

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Über das Verhältnis von Karl Marx zu seinen Füßen ist nichts überliefert. Laut Felber "haben schöne Männer ein gutes Verhältnis zu ihren Füßen".
Foto: Reuters/MICHAEL CRABTREE

Felber: 135 Ökonomen sind es inzwischen. Peinlich ist es für die Empörten, die das ganze Buch aus dem Verkehr ziehen wollten. Die Gemeinwohlökonomie bekam dadurch Aufmerksamkeit. Ich fand meine Erwähnung im allerersten Moment unpassend und überraschend, aber gleichzeitig hat es mich amüsiert. Die Aufregung zeigt, dass sich die Wirtschaftswissenschaft in die falsche Richtung entwickelt, weil sie die Multiperspektivität ignoriert, die die Autoren aufzeigen wollten. Die Mainstream-Wirtschaftswissenschaft stellt dadurch heute bereits mehr eine Gefahr für die Gesellschaft dar, als sie Mehrwert bringt. Ich hätte vorgeschlagen, eine Ahnengalerie von klassischen Ökonomen zu zeigen und eine Galerie mit Vertretern alternativer, pluraler Ansätze. Da hätte auch die Gemeinwohlökonomie Platz gehabt.

STANDARD: Sagt Ihnen der Text "Nuclear threats cool your jets/Concentrate on your countries’ debts" etwas?

Felber: Höre ich zum ersten Mal.

STANDARD: Das singt der Lehrer und Rapper Binar Sen, Sohn von Ökonomie-Nobelpreisträger Amartya Sen. Letzterer beschäftigt sich mit Armuts- und Wohlfahrtsökonomie, mit ihm werden Sie jetzt überklebt.

Felber: Sen schätze ich sehr.

STANDARD: Wissen Sie, dass Sie wegen des Lehrbuchs Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ wurden? 45 Fragen.

Felber: Nein. 45 Fragen? Da muss wer arbeitslos sein.

STANDARD: Die FPÖ zog die Anfrage dann aber wieder zurück. Sie hatte sie an den Außenminister gestellt.

Felber: Vielleicht fürchtet die FPÖ um das Image des Nationalstaats Österreich.

STANDARD: Sie schrieben 1997 vom "Post-Nazi-Österreich", das "einer Truppe verkrüppelter Seelen mit Clubs von Schizophrenen, Neurotikern, Psychopathen, Paranoiden, Depressiven, Selbstmördern" gleiche. Sehen Sie das heute noch so?

Felber: Vor 20 Jahren habe ich es so wahrgenommen, und nichts von dem war falsch. Heute habe ich aber ein breiteres Spektrum und fokussiere auf das Potenzial der Menschen.

STANDARD: Sie wollen Gemeinwohlökonomie als Alternative zu Kapitalismus und Planwirtschaft etablieren. Warum genügt es Ihnen nicht, dass ein Teil der Unternehmer und Manager Ihre Idee umsetzt, die auf Vertrauen, Wertschätzung, Solidarität und Kooperation abstellt?

Felber: Weil das nicht reicht. Laut Spieltheorie setzen sich die durch, die unfair spielen. Die Foulplayer sind rücksichts- und skrupelloser und hauen den Fairplayern eine rein. Fairplayer tun das nicht. Um es bildhaft zu sagen: Es braucht für alle gültige Spielregeln, damit man Fußball spielen kann, ohne dass es Tote und Verletzte gibt.

STANDARD: Gibt es eigentlich einen Unternehmer und Unternehmen, die Sie beeindrucken?

Felber: Viele. Sekem etwa, eine landwirtschaftliche Kooperative in Ägypten; Semco, der weltweit tätige brasilianische Mischkonzern mit demokratischen Entscheidungsstrukturen, der steirische Schokoladenerzeuger Zotter, das Modelabel Göttin des Glücks, die Schuhhersteller GEA, oder der deutsche Outdoor-Ausrüster VAUDE. Allen voran aber die vielen Biobauern, die entgegen den Mainstream versuchen, aus dem Ökosystem etwas Sinnvolles und Gesundes zu produzieren. Es gibt aber auch Banken wie die deutsche Ethikbank GLS Bank, die mich beeindrucken, weil sie es geschafft haben, einen Gegenakzent zum herrschenden System zu setzen und darin zu leben. Das sind Vorbilder.

Einmal am Tag will er entweder tanzen oder barfuß durchs Gras gehen, sagt Tänzer Felber.
Foto: Marc Dufresne/istock

STANDARD: Weil Sie vorhin vom Fußball sprachen. Als Kind und Jugendlicher haben Sie daheim in Mattsee Fußball gespielt. Das wurde Ihnen dann zu kämpferisch?

Felber: Mit 15 habe ich aufgehört. Ich habe damals wahrgenommen, dass wir einander nicht mehr respektierten und absichtlich verletzen, psychisch und körperlich. Man hat einander fertig gemacht, statt einander zu ermutigen und gemeinsam zu lernen. Wird aus Kooperation Konkurrenz, ist es mit dem Spaß vorbei.

STANDARD: Sie wechselten dann in die Leichtathletik. Mehr Spaß?

Felber: 100- und 400-Meter-Lauf. Aber je mehr Wettkampf, desto negativer waren unsere Gefühle, und wir waren froh, wenn wir wieder entspannt trainieren konnten. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich im Linzer Stadion. Da lief ich einmal die 100 Meter ganz allein für mich. Der schönste 100-Meterlauf meines Lebens. Da verstand ich, worum’s mir geht: ums Laufen, nicht um den Wettkampf.

STANDARD: Anderen geht es ums Gewinnen.

Felber: Darf auch so sein. Doch Gewinnen als Ziel ist etwas für Menschen, die stark extrinsisch (von außen; Anm.) motiviert sind. Der Psychologe sagt, ein stabiles Selbstwertgefühl nährt sich aus inneren, nicht äußeren Quellen ...

STANDARD: Sagen Sie oft. Es gibt aber auch stabile Leute, die sich gern matchen, etwa beim Tennis.

Felber: Ausnahmen bestätigen die Regel.

STANDARD: Bei Ihnen klingt das alles so absolut; auch, wenn es um Ihre Gemeinwohl-Werte geht.

Felber: Ich wehre mich gegen Absolutismen jeder Art, versuche, Dinge sehr differenziert darzustellen.

STANDARD: Konkret zu Ihrer Gemeinwohl-Idee. Die Dornbirner Sparkasse zum Beispiel legt eine Gemeinwohlbilanz. Daraus geht hervor, dass sie 2013 beim Punkt "ethischer Umgang mit Kunden" 30 Prozent erreichte. Woran würde ich das als Kundin merken?

Felber: Sie drücken Ihnen in erster Linie keine Produkte rein und nehmen Ihr Feedback ernst. Ich habe von meiner Bank jahrelang Werbeanrufe bekommen, obwohl ich das nicht wollte und auch mitgeteilt habe. Als ich erstmals einen kleinen Überziehungsrahmen gebraucht hätte, bekam ich den nicht, obwohl mein Konto immer im Plus war. So etwas macht eine Gemeinwohlbank nicht.

STANDARD: Zu welcher Bank sind Sie gewechselt?

Felber: Zu keiner, ich warte auf unsere Gemeinwohlbank. Das Girokonto sollten wir im Frühling 2017 anbieten können.

STANDARD: Noch zu Ihren Werten. Gesetzt den Fall, eine Bank hält sich an alle Gesetze, Vorschriften und Richtlinien und vergibt auch keine unethischen Kredite, also zu Beispiel an Waffenhändler. Warum reicht das nicht, dass sie in Ihren Augen eine "gute" Bank ist?

Felber: Weil das Gesetz von der Schattenbank bis zur Steueroase, vom Hochfrequenzhandel bis zur Nahrungsmittelspekulation derzeit zu vieles duldet. Wir schlagen deshalb eine Charta für Gemeinwohlorientierung von Banken vor.

STANDARD: Das sind aber eben alles von Ihnen definierte Werte …

Felber: … alle unsere Vorschläge liegen auf der Linie zentraler Verfassungswerte. Und wir fordern, dass sie demokratisch abgestimmt oder eben nicht umgesetzt werden sollen.

STANDARD: Sie sagen, in der Wirtschaft müsse es zugehen "wie in einer gelungenen Beziehung". Was ist eine gelungene Beziehung?

Felber: Eine Beziehung gelingt, wenn man einander zuhört, sich gesehen, erkannt, wertgeschätzt fühlt. Respekt ist unabdingbar, da sind wir wieder beim Fußball. Man kann beim Fußballspielen den Respekt wahren, im eigenen und gegenüber dem anderen Team. Für mich ist es ein höchstes Ärgernis, wenn ein Fußballer nicht gefoult wird, aber versucht, alle zu überzeugen, dass er gefoult wurde.

STANDARD: Ich schaue gern Fußball, weil da immer so viele Männer weinen. Etwa als jetzt die Spanier gegen die Spanier verloren, bei der Champions League in Mailand.

Kurz danach flossen heiße Tränen: Atletico Madrid verlor in der Champions League gegen Real Madrid. Felber interessiert "Kommerzfußball" aber nicht.
Foto: APA/AFP/FILIPPO MONTEFORTE

Felber: Ich interessiere mich nicht für Kommerzfußball. Aber Sie haben Recht: Am Fußballplatz schaffen es auch Männer, Gefühle zu zeigen. Wenigstens beim Fußball weinen Männer. Noch besser wäre es, wenn sie es auch im Gespräch könnten. Ich bin in Kreisen unterwegs, in denen Männer weinen können, weil das dort als Stärke und nicht als Schwäche gesehen wird.

STANDARD: Sie lehnen "Kommerzfußball" ab? Was ist das Gegenteil davon?

Felber: Fußball als Spiel, in dem es nicht ums Geld geht und auch nicht primär ums Gewinnen. Beim Spiel werden Glückshormone frei, im Wettkampf geht es vor allem nur ums Ergebnis, daher kommt Stress ins Spiel und macht das Spiel tendenziell zunichte.

STANDARD: Weil wir grad bei den Spaniern waren. Ihre Gemeinwohl-Ideen kommen im Ausland besser an als hier, vor allem in Spanien.

Felber: Spitzenreiter derzeit: Baden-Württemberg. Da wurde das Gemeinwohl ins Regierungsprogramm genommen und ein Landesbetrieb wird gemeinwohlbilanziert. Heureka!

STANDARD: In Österreich nennen Kritiker Sie bestenfalls Traumtänzer. Wie erklären Sie die Skepsis?

Felber: Der Prophet im eigenen Land ... Wobei ich mich nicht als Propheten sehe, sondern als Visionär, modernen Aufklärer, Wirtschaftsreformer, der ganzheitlich über Ökonomie nachdenkt.

STANDARD: Wir sind unaufgeklärt?

Felber: Wir sind zum Teil aufgeklärt. Ich meine Aufklären im Sinne von: klarer sehen. Ich sehe tiefer in die Dinge als andere ...

STANDARD: Vielleicht tun Sie das nicht und ziehen nur andere Schlüsse aus dem, was Sie sehen?

Felber: Aber ich werde von vielen eingeladen mitzuteilen, was ich sehe. Die Bezeichnung Visionär finde ich übrigens passender als Aufklärer – ich stehe ja nicht zwischen Fichte und Goethe.

STANDARD: Obwohl: 1999 brachten Sie einen Gedichtband heraus: "Von Fischen und Pfeilen". Daraus geht hervor, dass Sie sich einsam fühlten als Kind daheim in Mattsee. So schlimm?

Felber: Es gab bei mir und noch viel stärker in meiner Umgebung das dominierende Empfinden der Angst. Die Angst vor Konsequenzen fürs Menschsein, Freisein, Authentischsein. Es herrschte tiefste Unfreiheit. Heute sehe ich es immer noch so – lebe aber die Freude und die Lust am Menschsein. Ich sage Ja zum Leben.

STANDARD: Aus Mattsee kam 1951 sogar ein Bundespräsidentschaftskandidat: Burghard Breitner.

Felber: Der Arzt?

STANDARD: Ja. Glauben Sie eigentlich, dass der Zuspruch für FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer auf Gesinnung beruht?

Felber: Nein. Der entsteht aus dem fehlenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, wachsender Ungleichheit, schwindender Demokratie. Darauf kann rechtsradikale Gesinnung gut aufsetzen. Ohne diese Entwicklung wäre die FPÖ eine marginale Größe.

STANDARD: Leute, die Sie kennen, sagen, Sie hätten stets neue Ideen, die Arbeit machten die anderen. Umsetzer sind Sie keiner?

Felber: Bei den drei Initiativen, die ich gegründet habe – Attac, Gemeinwohlbank und Gemeinwohlökonomie – war und bin ich in den operativen Gremien. Beim Bankprojekt war ich Obmann des Gründungsvereins, jetzt bin ich im Aufsichtsrat der Genossenschaft. Ich arbeite 60 Stunden in der Woche – so viel zu meinem Umsetzungsbeitrag –, aber ich möchte auch gut leben, viel tanzen und Stress minimieren.

STANDARD: Ihr Tanzstil heißt Contact Improvisation. Sie sagen, einer der zielführendsten Wege zum Glücklichsein sei "artgerechtes Bewegen". Was ist artgerecht?

"Artgerechtes Bewegen" wie es sich Felber als Start für jedes Meeting vorstellen könnte.
Foto: wikipedia/CIJam

Felber: Wenn Menschen sich übereinander wutzeln, berührungsintensiv bewegen, wenn hundert Leute gleichzeitig in einer Jam tanzen: Das ist zutiefst artgerecht. Wenn ein Tag so beginnt, wird er gut.

STANDARD: Man kann aber leider nicht jeden Tag mit 100 Leuten tanzend beginnen.

Felber: Why not? Jede Tagung, jedes Meeting könnte das Einstiegsritual beinhalten, dass alle miteinander tanzen. Wenn sie wollen.

STANDARD: Die Erste-Group-Hauptversammlung mit Tanz-Jam?

Felber: Super. Da werde ich Erste-Aktionär. Und die Rendite wird sekundär.

STANDARD: Was gehen Sie als Nächstes an? Eine Gemeinwohl-Uni?

Felber: Eine Universität, die sich nicht in Disziplinen aufsplittert. Jetzt geh ich aber erst einmal zum Tanztraining: einmal pro Tag tanzen oder barfuß durchs Gras gehen.

STANDARD: Wie Richard Gere in "Pretty Woman".

Felber: (summt den Soundtrack "It Must Have Been Love") Schöne Männer haben ein gutes Verhältnis zu ihren Füßen.

STANDARD: Guter Schlusssatz. Aber passt er zur letzten Frage? Worum geht’s im Leben?

Felber: Darum, sich selbst zu finden und erdverbunden zu werden. (Renate Graber, 4.6.2016)