Athen/Ankara/Rom/Brüssel – Die Zahl der Migranten, die aus der Türkei zu den griechischen Inseln übersetzen, ist von Donnerstag auf Freitag erstmals seit Wochen wieder gestiegen. In den 24 Stunden sind 152 Menschen auf den griechischen Inseln im Osten der Ägäis angekommen. Zuvor waren täglich nur wenige Dutzend Menschen übergesetzt, wie der griechische Stab für die Flüchtlingskrise am Freitag mitteilte.

"Womit das zusammenhängt, können wir nicht sagen", sagte ein Offizier der Küstenwache. Zwischen der EU und der Türkei gilt seit dem 20. März ein Flüchtlingsabkommen: Die EU darf demnach alle Schutzsuchenden, die auf die griechischen Inseln übergesetzt sind und kein Recht auf Ayl haben, in die Türkei zurückschicken.

Bis Samstagmittag gelangten hingegen binnen 24 Stunden nur 15 neue Flüchtlinge von der Türkei zur griechischen Insel Kos, wie der Flüchtlingskrisenstab mitteilte. Dennoch wird die tägliche Entwicklung mit Argusaugen beobachtet. "Wir verfolgen Phänomene wie den Anstieg am Freitag sehr genau", sagte ein Offizier der griechischen Küstenwache der Deutschen Presse-Agentur.

Einen neuerlichen Anstieg schließt der Stab nicht aus. Grund dafür sei das aktuell angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und der EU auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite, berichtete am Samstag die griechische Zeitung "To Proto Thema". Es bestehe die Sorge, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei doch noch platzen könne.

Selbst wenn dies nicht geschehe, könnten weiterhin täglich Hunderte Flüchtlinge ankommen, hieß es in dem Bericht weiter.

Neue "Hotspots" in Italien

Auch Italien bereitet sich auf weitere Neuankünfte vor und will drei "mobile" Hotspots zur Registrierung und Identifizierung von Flüchtlingen einrichten. Diese sollten zusätzlich zu den bereits bestehenden Hotspots in Pozzallo und Trapani auf Sizilien, Lampedusa und Taranto in Apulien aufgebaut werden, heißt es in einem Brief der italienischen Regierung an die EU-Kommission.

Die drei neuen Hotspots mit einer flexibleren Struktur als die bereits bestehenden Registrierungszentren auf Sizilien sollen in Apulien, in der Hafenstadt Reggio Calabria (Kalabrien) und auf Sardinien eingerichtet werden, berichtete die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" am Freitag. Zwei weitere Hotspots sollen, wie bereits angekündigt, in Messina und in Mineo nahe Catania auf Sizilien entstehen. Das Innenministerium wolle sich mit zusätzlichen Hotspots auf eine mögliche, weiter steigende Zahl von Flüchtlingsankünften vorbereiten.

Innenminister will Registrierung am Meer

Der für Migrationsfragen zuständige Staatssekretär, Mario Morcone, kündigte an, dass 1.500 Plätze in sogenannten "Zentren für Identifikation und Ausweisung", abgekürzt CIE, geschaffen werden sollen. Dort sollen Migranten, die kein Recht auf Verbleib in Italien haben, bis zu ihrer Abschiebung festgehalten werden.

Der italienische Innenminister Angelino Alfano hält indes an seinem Vorschlag fest, die Identifizierung der im Mittelmeer geretteten Migranten auf hoher See, also noch vor ihrer Ankunft in Süditalien, vorzunehmen. "Das könnte mithilfe humanitärer Organisationen und der EU-Grenzschutzbehörde Frontex erfolgen", sagte der Innenminister. Die Fingerabdrücke der Migranten sollen an Bord der Rettungsschiffe abgenommen werden.

Hilfe für Afrika

Die italienische Regierung drängt zugleich die EU zu Finanzierungen von Entwicklungsprojekten in Afrika. Das Kabinett verlangt 500 Millionen Euro für Pläne, die Wirtschaftswachstum in Ländern wie Nigeria, Libyen, Äthiopien und Senegal fördern sollen.

Eine neue Weltordnung sei notwendig, und Italien habe die Aufgabe, ein "Pilotprojekt zum Thema Einwanderung" zu entwickeln, erklärte der Mailänder Erzbischof, Kardinal Angelo Scola, im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Denn die Flüchtlingspolitik der EU und der UNO sei "vollkommen gescheitert", so Scola, der auch Österreich unter Verweis auf die von Wien vorangetriebene Schließung der Balkanroute dafür verantwortlich machte.

Scola forderte einen europäischen "Marshall-Plan" zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, wie zuvor auch bereits der österreichische EU-Parlamentarier Heinz Becker (ÖVP). Im Rahmen einer Expertenkonferenz in Brüssel in der vergangenen Woche forderte Becker deshalb 100 Milliarden Euro für einen "Marshall-Plan" für Afrika, um die "Wurzeln" der Migrationskrise zu bekämpfen. (APA, 3.6.2016)