Europa will keine Flüchtlinge mehr, davon kann man ausgehen, konstatiert ein Leitartikel in der letzten Zeit.

Der Befund dürfte stimmen. Die Aussicht, zu den Kriegsflüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak noch Millionen Armuts- und Klimaflüchtlinge aus dem Subsahara-Afrika zu bekommen, ist entmutigend. Denn, wertfrei gesprochen, die allermeisten dieser Menschen haben in Europa keine Perspektive. Sie haben überwiegend keine Ausbildung, und ungelernte Arbeiter stellen jetzt schon das Gros der Arbeitslosen in Europa.

Ist das ein Notstand? Im größeren Sinne ja, weil das reiche Europa vom armen Afrika und vom selbstzerstörerischen Vorderen Orient vor eine gewaltige Aufgabe gestellt wird. Ohne in das antihumane und verlogene Geschrei der Rechtspopulisten einzustimmen – es gibt bisher keine Politik, keinen Masterplan, keine Strategie, wie man mit diesem Zustrom umgeht.

Das kleine Österreich, das der Welt aber die Erfindung des Bürokratismus geschenkt hat, weiß aber, wie man mit dem Problem auf lokaler Ebene umgeht: Man bastelt eine politische Definition für den Notstand und gießt das in eine Verordnung, die schön bürokratisch lautet: Wenn zu viele kommen, gilt das Asylrecht de facto nicht mehr.

Das Stellen von Asylanträgen in Österreich soll erheblich erschwert werden. Innenminister Wolfgang Sobotka möchte, dass diese Verordnung möglichst rasch in Kraft tritt. Bundeskanzler Christian Kern, der sich auf eine Debatte über die Definition von Höchstzahlen bei Asylwerbern eingelassen hat, möchte nun offenbar auch den Begriff Notstand relativieren: "Ich bin kein Freund davon, einen Notstand zu konstruieren, wo keiner vorliegt".

Heißt das, der Bundeskanzler findet, die in einer "Regierungsvereinbarung" noch unter Kanzler Faymann festgelegte "Obergrenze" von 37.500 sei noch kein Notstand?

Und, um die Sache etwas breiter anzulegen: Ist es ein Notstand, wenn wieder mehr Flüchtlinge kommen (ab wie vielen?), wenn die Freakbook-Eintragungen auf Straches FB-Seite und die Krawallzeitungen heißlaufen und Asylheime in ländlichen Gegenden angezündet werden?

Die Notstandsverordnung der österreichischen Bundesregierung ist aber auf jeden Fall eine kurzfristige, wohl auch kurzsichtige Übung. Sie verschiebt das Problem zu den südlichen Nachbarn, wie schon die Schließung der Balkanroute. Sie ist bürokratisch, das können wir. Eine ursächliche Behandlung des Wanderungsnotstandes ist sie nicht. Aber um die wird man nicht herumkommen, und Österreich wird seinen Teil dazu beitragen müssen.

Der erste Ansatz ist ja schon da: Europa besticht die Staaten, über die die Flüchtlinge kommen, dass sie sie aufhalten. Das funktioniert schon zwischen Spanien und Westafrika, könnte mit der Türkei funktionieren und wird jetzt mit Ägypten – und am wichtigs-ten – mit Libyen versucht. Der zweite Ansatz geht viel weiter. Hugo Portisch hat ihn in seinem Erinnerungsbuch angerissen: ein EU-Plan für Afrika. Davon ein andermal mehr. (Hans Rauscher, 3.6.2016)