Als Norbert Hofer nach dem ersten Wahlgang weit vorn lag, pries H.-C. Strache die Tugenden der Demokratie. Jetzt, nach der knappen Niederlage in der zweiten Runde, kehrt der Egomane die immer gleichen Anwürfe heraus: Da sei in der Briefwahl getäuscht und betrogen worden, seine Mannen kommen gar mit den billigen Verschwörungstheorien. Sicher haben da die Freimaurer was getrickst, vielleicht sogar die Bilderberger.

Also überlegt die FPÖ eine Anfechtung der Stichwahl. Hätte Van der Bellen sie knapp verloren und würde der Grün-Liberale eine Anfechtung "überlegen", käme Strache ganz sicher mit dem Geldargument: Das koste doch Millionen an Steuergeldern.

Was den Populisten Strache aber besonders wurmt, ist der Van-der-Bellen-Effekt der Briefwahl.

Unregelmäßigkeiten wurden festgestellt, und man wird sie klären. Anfälligkeiten (Beeinflussung beim Ausfüllen in der Wohnung oder die Gefahr der Fälschung von Formularen) sind evident. Man wird sie weiter einschränken müssen.

Die Wahl via Briefpost ist aber eine Konsequenz der Flexibilität der modernen Gesellschaft – Reiselust, Arbeitsstrukturen, urbanes Verhalten kommen zur ursprünglichen Begründung hinzu. Als in Deutschland 1957 die Briefwahl eingeführt wurde, wollte man Kranken, Alten und Behinderten das Wählen erleichtern. Dass ihnen die FPÖ dieses Recht jetzt wieder nehmen möchte, ist eine besondere Pikanterie des Vorstoßes.

Die Frustration der Freiheitlichen hat freilich eine soziologische Ursache. Wir wissen aus den Nach-Wahl-Analysen, dass die Zustimmung zu Van der Bellen nicht nur mit dem Bildungsgrad, sondern auch mit dem diesmal besonders ausgeprägten Stadt-Land-Gefälle wuchs.

Städter sind indes die eifrigsten Briefwähler, schon 2002 erreichte in den größeren deutschen Städten das Wählen per Post einen Anteil von 25 Prozent, genauso viel waren es 2013 in der Bundesrepublik generell. Bei uns in Österreich halten wir bei 14 Prozent.

Landbewohner (höchster Zuspruch für Hofer) sind derzeit noch Briefwahl-Muffel und Urnen-Besucher. Weil man die Städte aber nicht abschaffen kann, muss die Briefwahl weg.

Die FPÖ zitiert gerne die Schweiz als ideale Demokratie. Vor allem deshalb, weil man dort über alles abstimmen kann, selbst dann, wenn die Wahlbeteiligung 50 Prozent nicht erreicht. Das heißt "direkte Demokratie".

Diesmal fallen die Eidgenossen als Argument gegen die Briefwahl leider aus. Sie ist bei unseren westlichen Nachbarn nämlich der Normalfall.

Und man sollte es als Demokrat nicht so weit treiben, dass man – wie im US-Bundesstaat Oregon – die Wahlen nur noch per Post durchführt oder – nicht unattraktiv – per Internet. Im Netz könnte man massiven Betrug derzeit nicht ausschließen.

H.-C. Strache zeigt sich als ein schlechter Verlierer. Das zeigt erneut, dass die Freiheitlichen keine strukturierte Demokratie wollen, sondern die Politik als einen "Markt" betrachten, wo die populistischen Kräfte das Sagen haben. (Gerfried Sperl, 5.6.2016)