Spekulationen über eine Aussetzung des Rücknahmeabkommens für Flüchtlinge von 2014 durch die Türkei halten am Montag an. Zwei türkische Tageszeitungen – "Akşam" und "Sabah" –, die die Positionen der Regierung in Ankara verlautbaren, hatten am Wochenende unter Berufung auf Quellen im türkischen Außenministerium berichtet, dass die Türkei das Abkommen ausgesetzt hätte als Reaktion auf die Verschiebung der Visaliberalisierung für türkische Bürger.

Der Sprecher des Ministeriums, Tanju Bilgiç, wollte dies auf Anfrage des STANDARD nicht bestätigen oder dementieren. Bilgiç verwies auf einen für Dienstagvormittag geplanten Fernsehauftritt von Außenminister Mevlüt Çavuşoglu. Der Minister könnte bei dieser Gelegenheit die Entscheidung über das Rücknahmeabkommen bekanntgeben, so hieß es.

In Brüssel gab eine Kommissionssprecherin zu Mittag an, die Kommission hätte keine Kenntnis von einer Suspendierung des Rücknahmeabkommens. Das Abkommen sei seit 2014 in Kraft, sagte Tove Ernst, dies gelte mittlerweile auch für die Klausel über die Rücknahme von Angehörigen dritter Staaten durch die Türkei. Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan habe das entsprechende Gesetz am 20. Mai unterzeichnet. Allerdings müsse noch überprüft werden, ob die Türkei tatsächlich alle Bestimmungen des Abkommens vollständig umsetze.

Zusammenhang mit neuem Flüchtlingsabkommen

Das Rücknahmeabkommen mit der Türkei ist Teil der Übereinkunft zur Visaliberalisierung. Es handelt sich nicht um das Flüchtlingsabkommen, das die EU mit der Türkei im vergangenen März schloss, obwohl es politisch und rechtlich in einem Zusammenhang damit steht. Eine Bedingung Ankaras für das Flüchtlingsabkommen, bei dem Migranten von den griechischen Inseln zurück an die türkische Küste gebracht werden, war die schnellere Aufhebung des Visazwangs für türkische Bürger bei Reisen in die EU. Dies sollte zuerst 2017, dann im Oktober dieses Jahres und schließlich Ende Juni geschehen. Von den 72 Punkten im Forderungskatalog der EU-Kommission für die Visaliberalisierung erfüllte Ankara aber einige wenige Punkte bisher nicht, darunter die Reform des Antiterrorgesetzes in der Türkei. Dieses ist nach Vorstellungen der EU zu weit gefasst. Staatsangehörige, die im Zuge des Rücknahmeabkommens in die Türkei zurückgeschickt werden, könnte damit unter Umständen ein Verfahren wegen Terrorverdachts drohen, das nach Auffassung der EU nicht gerechtfertigt wäre.

Erdoğan und seine Regierung lehnen bisher eine Reform des Antiterrorgesetzes ab. Der neue türkische EU-Minister Ömer Çelik berät diese Woche mit Kommissionsvertretern über einen möglichen Ausweg. Eine Suspendierung des Rücknahmeabkommens als Antwort auf die Verschiebung der Visaliberalisierung erscheint aber als plausibler Schritt der türkischen Regierung. Erdoğans Wirtschaftsberater Yiğit Bulut hatte Ende Mai schon mit der Aussetzung gleich mehrerer Abkommen mit der EU gedroht – darunter etwa auch der Zollunion –, sollten die Europäer bei der Visaliberalsierung nicht einlenken. (Markus Bernath, 6.6.2016)