Mit 17 wurde Dominic Schmitz zum Salafisten, drehte Propagandavideos und pilgerte mit Pierre Vogel nach Mekka. Heute wirbt er für einen friedlichen Islam.

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Dominic Musa Schmitz
Ich war ein Salafist

Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt
Econ-Verlag
256 Seiten, 18 Euro

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STANDARD: Die Welt zerbricht sich über die Faszination von Jugendlichen für den radikalen Islam den Kopf. Was macht diese aus?

Schmitz: Zum Teil der Wunsch nach einer perfekten Welt. Oder dass man seinen Geschwistern helfen will, die gequält und umgebracht werden. Den meisten Kids ist gar nicht klar, was sie tun, wenn sie nach Syrien reisen und in einer Welt ankommen, aus der viele zwar schnell wieder rauswollen, aber nicht mehr können.

STANDARD: Wieso konvertieren Deutsche wie Sie, die zuvor nichts mit Religion zu tun hatten, überhaupt zum Islam?

Schmitz: Es ist ein gutes Gefühl, in eine große Familie hineinzukommen, herzlich aufgenommen zu werden. Sehr viel dreht sich um den Gedanken der Umma, der muslimischen Gemeinschaft.

STANDARD: Hätten Sie aber ebenso gut bei einer Sekte oder als Punk auf der Straße landen können?

Schmitz: Ich habe mir mit 17 viele Sinnfragen gestellt, es ging mir also schon um Spiritualität. Wäre ein Buddhist, Zeuge Jehovas oder Jude damals zu mir gekommen, wäre ich aber auch dem gefolgt.

STANDARD: Einige Ihrer Freunde sind nach Syrien gereist. Wie kam es, dass Sie ausgestiegen sind?

Schmitz: Niemand wacht eines Morgens plötzlich als Salafist oder Nazi auf und ebenso wenig verwirft man über Nacht das Weltbild, das man über Jahre aufgebaut hat. Es erfordert Mut und Stärke, sich einzugestehen, dass man auf dem falschen Weg und außerdem ein Arschloch war.

STANDARD: Sie werfen in Ihrem Buch ehemaligen Wegbegleitern Heuchelei vor.

Schmitz: Wie in jeder anderen Ideologie auch gab es Menschen, die lauthals verteufelt haben, was sie im Geheimen selbst getan haben. Wie Nazis Döner essen, kiffen Salafisten oder schlafen mit Frauen. Aber das alleine hat für mich nicht zum Ausstieg gereicht. Ich fand die Menschen heuchlerisch, die Ideologie blieb für mich trotzdem wahr.

STANDARD: Ist Islamismus auch ein Jugendtrend?

Schmitz: Ja, Islamismus ist eine Form der Rebellion und Alternative zum Mainstream. Man verändert Denken und Kleidung, adaptiert arabische Wörter. Viele kommen direkt vom Partymachen, haben von Religion null Ahnung, wissen nicht einmal, wie man betet, wollen aber kämpfen gehen.

STANDARD: Sie halten Vorträge an Schulen. Mit welchen Argumenten lässt sich am ehesten verhindern, dass sich Jugendliche für radikale Ideen begeistern?

Schmitz: Mit einem Argument holt man die nicht ab. Viele Jugendliche wollen geliebt, anerkannt, ernst genommen werden. Ich will niemandem vom Salafismus abhalten, sondern zwei Dinge weitergeben: Dass sie Entscheidungen aus freien Stücken heraus treffen, und nicht weil es in einem Buch steht, das ihnen ansonsten mit der Hölle droht. Und dass sie niemandem damit schaden.

STANDARD: Was sagen Sie, wenn der Verfassungsschutz Sie fragt, was gegen Radikalisierung hilft?

Schmitz: Das Wichtigste ist das Elternhaus, da kann man als Außenstehender nicht eingreifen, dann geht es in der Schule weiter. In Sachen Prävention halte ich den direkten Kontakt für am wichtigsten – am besten mit jemandem, der das alles selbst erlebt hat. Es gibt so viele Menschen, die über den Salafismus sprechen, aber eben nicht aus der Sicht eines Salafisten, das macht es erst authentisch.

STANDARD: Sie sind Muslim geblieben, tragen Ihren damaligen Namen weiter. Haben Sie Positives mitgenommen aus der Zeit?

Schmitz: Ich war ein schwieriger Jugendlicher. Ich bin in vielen Aspekten gewachsen. Das Fasten etwa hat mich dazu gebracht, geduldiger zu werden. Ich bin gastfreundlicher, menschlicher.

STANDARD: Schmerzt es Sie, wenn der Islam als gewalttätige Religion bezeichnet wird?

Schmitz: Ich muss nichts verteidigen. Ich habe in der gesamten Zeit niemandem außer mir selbst geschadet. Muslime müssen sich aber der Diskussion stellen. Es gibt Verse, die sehr kritisch sind. Mir ist heute klar, dass die Texte 1430 Jahre alt sind. (Anna Giulia Fink, 7.6.2016)