Schuld ist das Wetter – es war zu perfekt. Der vorige Sommer war heiß; im August frischte Regen die Weinberge auf, und zur Erntezeit reiften die Trauben wieder in der Sonne. Das Traumwetter jedes Winzers ließ schon damals einen guten Jahrgang erwarten.
Bei den ersten Proben der "Primeur-Weine" lief den Experten anfangs April bereits der Rebsaft im Mund zusammen. "Der Jahrgang 2015 hat so exquisite Tannine wie 2001, eine so feingliedrige Struktur wie 1998 und schmeckt am Gaumen so aromatisch wie 2005", schwärmte die aufstrebende 34-jährige Bordeaux-Meisterin Stéphanie de Boüard-Rivoal von Château Angelus.
Mitte Mai mutmaßten die ersten Weinhändler, dass die Preise um zehn bis 15 Prozent über denen des Vorjahrs liegen dürften. 2014 war ein korrekter Jahrgang gewesen, etwas besser als die mageren Jahre 2011 bis 2013.
Spitzenweine gut 25 Prozent teurer als im Vorjahr
Jetzt zeigt sich, dass diese ersten Annahmen für den jüngsten Jahrgang noch zu vorsichtig waren. Wie die Londoner Weinbörse Liv-ex (London International Vintners Exchange) in ihrem neusten Blogeintrag schreibt, "beschleunigt sich der Schritt der Primeur-Kampagne 2015 stark". Die Topmarken des Bordelais bringen ihren Wein – der noch immer in den Fässern reift – im Durchschnitt 25 Prozent teurer in den Handel als 2015. Und das will etwas heißen bei den ohnehin stolzen Preisen, die Weinliebhaber für Produkte aus dem renommiertesten Rebgebiet der Welt zahlen.
Im östlich von Bordeaux gelegenen Sektor Saint-Emilion sind die Zuschläge noch höher. Château Canon setzt den Flaschenpreis nun zum Beispiel auf 60 Euro; das sind 56 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im Rebgebiet Pomerol beträgt die Hausse vereinzelt 36 Prozent, im Médoc 32 Prozent. So zahlt man für einen Château Smith Haut Lafitte (Pessac-Léognan) nun ebenfalls 60 Euro.
Beste Qualität seit 2010
Diese stolzen Preise widerspiegeln laut ihren Machern die seit fünf Jahren unerreichte Weinqualität. Der Weinexperte Neal Martin vergleicht die Ernte von 2015 mit den Spitzenjahrgängen 2009 und 2010. Im Zuge des 25-prozentigen Preisanstiegs für den neusten Bordeaux-Jahrgang steigen an den Weinbörsen auch die Preise für ältere Rotweine dieser Gegend.
Ausdruck des guten Geschäftsgangs in Bordeaux ist auch das neue Weinmuseum, das Bürgermeister Alain Juppé vergangene Woche eröffnet hat. Die 81 Millionen Euro teure Cité du Vin befindet sich in einem karaffenförmigen Bau und soll das neue Wahrzeichen der Stadt werden. Jährlich werden bis zu eine halbe Million Besucher erwartet.
Kritik an Pestizideinsatz im Bordelais
In letzter Zeit mussten sich die Winzer allerdings auch gegen Vorwürfe wehren, sie setzten zu viele Pestizide ein. Laut Medienberichten werden die Rebberge auch in Spitzengebieten wie dem Médoc bis zu 18-mal im Jahr damit besprüht. Insgesamt kommen im Bordelais jedes Jahr 2700 Tonnen Pestizide zum Einsatz. Das entspricht einer zehnmal intensiveren Nutzung als in der französischen Landwirtschaft.
Der Vorsteher des mächtigen Berufsverbands der Bordeaux-Wein, Bernard Farges, hat nun erklärt, er sei für die "Verminderung oder gar das Ende der Pestizide" in den Weinbergen. Labor- und Feldtests sind im Gang. (Stefan Brändle aus Paris, 7.6.2016)