Am Freitag hatten Aktivisten für den Schutz der Netzneutralität demonstriert.

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Die Fixierung der Netzneutralität bleibt auch nach dem EU-weiten Gesetzgebungsprozess mühsam. Nachdem sich Europaparlament, Mitgliedsstaaten und EU-Kommission nach monatelangem Ringen im Herbst auf eine Verordnung geeinigt hatten, lag es an den nationalen Regulierungsbehörden, den Text zu deuten. Denn mit der europäischen Netz- verhält es sich wie mit der österreichischen Neutralität: Prinzipiell ist sie fix vorgeschrieben, in der Praxis kann sie aber alles andere als strikt ausgelegt werden.

Verordnung "nicht optimal"

Am Dienstag hat die österreichische Regulierungsbehörde RTR nun die Ergebnisse des Interpretationsprozesses präsentiert, den die nationalen Organisationen in den vergangenen Monaten durchlaufen haben. Für Johannes Gungl, Geschäftsführer des RTR-Bereichs Telekommunikation und Post, bleibt die Netzneutralität erhalten. Die EU-Verordnung sei in Bezug auf ihre Klarheit zwar nicht "optimal", laut Gungl aber eine "gute Grundlage". Er hebt hervor, dass die Ansprüche der Kunden besser geschützt werden.

Geschwindigkeit: 95 Prozent des Tages

So müssen Provider von Festnetzinternet seit Mai angeben, wie schnell ihr Netz in "95 Prozent eines Tages" ist. Außerdem muss der Vertrag die minimale, die maximale und die beworbene Bandbreite präsentieren. Beim mobilen Internet gilt hingegen die "geschätzte maximale" Bandbreite als notwendige Auskunft.

Damit erhalten Kunden nun Instrumente, um wegen verletzter Gewährleistungsrechte juristisch gegen Provider vorzugehen. Eine derartige Verschärfung hatten Konsumentenschützer schon länger gefordert.

Zero-Rating bleibt erlaubt

Weniger glücklich dürften Konsumentenschützer mit den Regelungen zu Spezialdiensten und Zero-Rating sein. Dabei handelt es sich um zwei Knackpunkte, was Netzneutralität betrifft. Mit Zero-Rating werden Tarife bezeichnet, die gewisse Dienste nicht in den allgemeinen Verbrauch des Datenvolumens einfließen lassen. In Österreich bietet der Mobilfunker "3" ein derartiges Angebot: Das Datenpaket der Kunden wird nicht belastet, wenn sie den Musikdienst Spotify nutzen. Derartige Praktiken sind zwar laut RTR eine "Verletzung des Prinzips der Netzneutralität", bleiben aber unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

So könnte es legitim sein, einen Dienst in den Tarif zu inkludieren, der ein 3-GB-Datenpaket nicht belastet. Drosselt der Mobilfunker nach dem Verbrauch dieses Volumens allerdings den Netzzugang seines Kunden, muss davon auch der Zero-Rating-Dienst betroffen sein. Außerdem darf Zero-Rating nicht zu einer Marktdominanz führen. Die RTR will deshalb "im Einzelfall entscheiden". "Beim Zero-Rating ist ein Weltmarktführer sicher kritischer als ein heimisches Start-up zu sehen", sagt Gungl.

Spezialdienste: Weiter Unklarheit

Als Spezialdienste bezeichnet man beim Thema Netzneutralität wiederum Services, die auf einer Art "Überholspur" vom Provider bevorzugt werden. Die RTR sieht momentan "wenige Anwendungen", die solcherart klassifiziert werden müssen. Prinzipiell gilt, dass die allgemeine Netzkapazität ausreichen muss, um Spezialdienste zu erlauben. Die Überholspur muss also quasi neben den bereits bestehenden Fahrbahnen gebaut werden, es darf zu keiner "Verdrängung des offenen Internets" kommen.

Im Prinzip bleiben damit weiterhin Interpretationsspielräume bestehen. Die Deutsche Telekom hatte bereits überlegt, etwa Gaming-Dienste als Spezialdienste zu deklarieren. Die Richtlinien der Regulierungsbehörden schaffen hier keine Klarheit, weshalb wohl die Gerichte zum Zug kommen werden. So erwartet die RTR dann auch, dass einige Verfahren im Bereich Netzneutralität vor dem Europäischen Gerichtshof landen.

Gerichtsprozesse zu erwarten

In Österreich sieht die Regulierungsbehörde momentan "nur geringe Probleme" bei der Netzneutralität. Sie will nun streng beobachten, welche Neuerungen die Provider als Reaktion auf die EU-Verordnung planen. Ein jährlicher Bericht soll über neue Entwicklungen und Problemfelder informieren. Fixiert sind die Leitlinie der europäischen Regulierungsbehörden allerdings noch nicht: Die Konsultationen laufen bis 18. Juli, Interessierte können sich noch zu Wort melden. Von Datenschützern gab es jedenfalls heftige Kritik – sie rufen dazu auf, gegen die Leitlinie zu protestieren. (Fabian Schmid, 7.6.2016)