Jerusalem – Weil sie mit einer Tora-Rolle an der Jerusalemer Klagemauer betete, ist eine führende jüdische Frauenrechtlerin am Dienstag festgenommen worden. Lesley Sachs, Vorsitzende der "Frauen von der Mauer" (Neshot HaKotel) wurde nach Angaben der Gruppe in der Früh an der heiligsten Stätte des Judentums abgeführt, als sie das Gelände mit der Tora-Rolle verließ.
Nach zwei Stunden wurde Sachs wieder freigelassen. Die Polizei erklärte, Sachs sei für ein Verhör festgehalten worden. Sie sei wieder auf freien Fuß gekommen, nachdem sie sich verpflichtet habe, der Klagemauer fernzubleiben. Eine Sprecherin von "Frauen von der Mauer", Shira Pruce, bestritt diese Vereinbarung. Pruce verurteilte das Vorgehen der israelischen Polizei als "Einschüchterung" und "Schikane".
Für gleiche Gebetsrechte
Sachs sei wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" festgenommen worden, obwohl sie ruhig und ohne besondere Vorkommnisse mit etwa 80 Mitgliedern der Gruppe gebetet habe, hieß es in einer Erklärung der "Frauen von der Mauer". Die Polizei habe als Grund für Sachs' Festnahme erklärt, sie habe eine Tora-Rolle in den für Frauen reservierten Teil der Klagemauer geschmuggelt.
Um die Frauenrechte an der Klagemauer (Westmauer), einer Stützmauer des Tempelbergs in der Altstadt von Jerusalem, gibt es seit Jahren heftigen Streit. Aufgrund der vom orthodoxen Großrabbinat erlassenen Regeln dürfen Frauen und Männer dort nur getrennt beten. Frauen ist zudem das Vorlesen aus den heiligen Schriften und das Singen von Psalmen untersagt. Viele Jüdinnen verlangen aber gleiche Gebetsrechte an der Klagemauer.
Feministische Protestaktion
Im Jänner hatte die israelische Regierung als Kompromiss die Einrichtung eines dritten Sektors an der Klagemauer beschlossen. Dort sollen Frauen und Männer künftig gleichberechtigt gemeinsam beten dürfen.
Die beiden ultraorthodoxen Parteien, die in der Regierungskoalition vertreten sind, rückten aber von ihrer Zustimmung wieder ab und blockieren die Umsetzung des Vorhabens. Dies bildet den Hintergrund der aktuellen Protestaktionen der Feministinnen im Frauenbereich an der Mauer. (APA, Update 8.6.2016)