Die jüngsten Umfragen deuten auf ein Patt hin. Triumphierend sprechen die EU-Feinde davon, Premier David Cameron und seine Alliierten im Kampf für Großbritanniens Verbleib in der EU befänden sich "in blinder Panik". Die halbstündige Befragung des Regierungschefs durch das Studiopublikum des Kommerzsenders ITV erbrachte dafür am Dienstagabend keinerlei Hinweise. Im dunkelblauen Maßanzug präsentierte sich der Konservative konzentriert, entschieden und höflich, von Nervosität keine Spur. Mit dem schwierigen Thema Immigration ging Cameron so um, wie sich jemand verhält, wenn die Realität ihn widerlegt hat: ein wenig Entschuldigung, ein wenig Erklärung – die britische Wirtschaft produziert mehr Jobs als die Eurozone zusammen – und dann weiter zum Lieblingsthema: der Gefährdung des britischen Wohlstands durch den Brexit.

Zu besichtigen war ein Politik- und TV-Profi mit exzellenten Beratern. Freilich hatte es Cameron auch leicht. Sein Auftritt im TV-Studio folgte auf Nigel Farage. Der Ukip-Vorsitzende demonstrierte wieder einmal, was ihm zum Spitzenpolitiker fehlt. Zu schnell springt seine Jovialität um in aggressives Knurren, zu gönnerhaft wirkte er vor allem bei Fragen jüngerer Frauen. Bedenken über die wirtschaftlichen Folgen des EU-Austritts wischte er beiseite mit der hübschen Aussage, eine Nation bestehe nicht nur aus dem Bruttoinlandsprodukt. So richtig das ist – es klingt nach der Aussage eines Mannes, der nie Geldsorgen hatte und auch in Zukunft, entweder als hochbezahlter EU-Abgeordneter oder als Cheerleader des englischen Nationalismus, nicht haben wird. So lassen sich die schwankenden Wechselwähler und vor allem -wählerinnen nicht auf die Brexit-Seite ziehen.

Bewährt hat sich aus Camerons Sicht also die Entscheidung, direkten Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Dass die Konservativen Boris Johnson und Michael Gove nun lauthals das Duell mit ihrem eigenen Parteichef und Premierminister fordern, dem sie im Februar noch eine Absage erteilt hatten, deutet eher auf Panik im Brexit-Lager hin. (Sebastian Borger, 8.6.2016)