Wie Pilze lugen die grauen, blauen und braunen Zelte und Deckenbauten aus dem Wiesengrün hervor. Im Hintergrund rollen dicke Sattelschlepper vorbei, neben ihnen Gastarbeiter, Einkaufsbummler und Urlaubsreisende in ihren Autos. 150 Meter neben dem Autobahnübergang Röszke an Ungarns Grenze zu Serbien lagern etwa 200 Flüchtlinge vor einem Zaun aus Nato-Stacheldraht. Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán hatte die Sperre im vergangenen Herbst entlang der Grenzen zu Serbien und Kroatien hochziehen lassen.
Der reguläre Grenzübergang an der Autobahn, die von Belgrad nach Budapest führt, ist für die Schutzsuchenden und Migranten tabu. Sie haben nicht die Papiere, die sie zur regulären Einreise in das EU- und Schengen-Land Ungarn berechtigen würden. Auf der Wiese neben der Autobahn haben sie sich deshalb niedergelassen, weil der Grenzzaun an dieser Stelle eine Tür hat. Sie führt in eine sogenannte "Transitzone", nach ungarischer Lesart der einzige Ort, wo ein Asylbewerber legal einen Antrag stellen kann.
Flüchtlinge können natürlich auch den Zaun durchschneiden oder darunter durchkriechen, aber dann machen sie sich strafbar, werden vor Gericht gestellt und ausgewiesen. Auf einem anderen Blatt steht freilich, dass die so verfügten Abschiebungen meist nicht durchführbar sind.
Geduld gefragt
In Röszke – und vor einer zweiten "Transitzone" beim Grenzort Tompa – stellen sich jene an, die die ungarische Lesart von Legalität akzeptieren. Sie brauchen viel Geduld. Denn die Tür im Zaun öffnet sich nur für durchschnittlich 15 Flüchtlinge am Tag. Familien mit Kindern werden in der Regel bevorzugt. Es gibt alleinstehende, junge Männer, die hier schon mehr als 20 Tage ausharren.
Die Zustände auf dem Wiesengrund sind haarsträubend. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hat Zelte und Decken gebracht und verteilt Lebensmittel und Trinkwasser. Für Toiletten reicht es nicht. Eine mit Paravents aus orangen Decken umstellte Latrine dient als hygienisch bedenklicher Ersatz. Als der Budapester Methodisten-Pfarrer Gábor Iványi letzte Woche ein mobiles Klo bringen wollte, wurde ihm das von den Behörden verwehrt.
"Mein Mann und ich sind vor drei Tagen angekommen", erzählt die 18-jährige Nilufar aus der afghanischen Hauptstadt Kabul. Seit vier Monaten sind sie unterwegs, zwei Monate verbrachten sie in einem Flüchtlingslager in Athen. "Wir wollen nach Ungarn, wir mögen Ungarn", sagt sie schelmisch. Natürlich will kein Flüchtling oder Migrant in Ungarn bleiben. Doch seit die Balkanroute blockiert ist, haben sie zwei Möglichkeiten: Sie können sich entweder von Schleppern nach Österreich bringen lassen; oder sie können in Ungarn einen Asylantrag stellen und sich dann früher oder später über die weitgehend offenen Grenzen innerhalb des Schengen-Raums absetzen.
Abschottung der Ungarn
Das Elendslager vor der "Transitzone" von Röszke passt in das Konzept der Abschottung und Abschreckung, das die Regierung von Viktor Orbán in der Flüchtlingsfrage verfolgt. Vergleiche mit dem kürzlich aufgelösten griechischen Massenlager Idomeni an der mazedonischen Grenze drängen sich auf. Mit der Sperre der Balkanroute gab es aber dort kein Weiterkommen. In Röszke geht das Tor immerhin noch auf.
"Wir sind vor zwei Wochen aus Idomeni weggegangen", erzählt der Familienvater Ahmed Wisu aus der syrischen Stadt Aleppo. Acht Tage lang ist er mit Frau und zwei Kindern über unwegsame Gebirge durch Mazedonien gewandert. Es galt, den für ihre Brutalität berüchtigten mazedonischen Polizisten nicht in die Arme zu laufen. Wisu hofft, dass sie die Ungarn bald weiterlassen. Der achtjährige Sohn hat auf dem Bein eine große Eiterblase, die Folge einer schlecht verheilten Bombensplitterverletzung. Die ungarischen Behörden wollen die Flüchtlinge immer wieder dazu "überreden", nach Serbien zurückzugehen. Wisu winkt ab. "Die Polizisten in Serbien wollten immer wieder nur Geld" , sagt er.
Treffen der Minister
UNHCR weiß wiederum von rund 100 Fällen, in denen Ungarn Flüchtlinge auf völkerrechtlich illegale Weise nach Serbien zurückgedrängt hat. Die Zustände vor den "Transitzonen" in Röszke und Tompa bezeichnete der UNHCR-Sprecher in Budapest, Babar Baloch, als "schrecklich". Die Behörden müssten ihr Vorgehen "mit dem internationalen Völkerrecht in Übereinstimmung bringen".
In den kommenden Wochen wollen sich die Innen- und Verteidigungsminister aus Ungarn, Österreich und Slowenien treffen, um unter anderem über die Sicherung der Grenze zu Serbien zu sprechen. Bei einem Besuch des österreichischen Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil in Budapest wiederholte sein ungarischer Amtskollege István Simicskó, dass Ungarn keine Flüchtlinge aus Österreich "zurücknehmen wird und kann". (Gregor Mayer aus Röszke und Horgos, 10.6.2016)