St. Petersburg – Einmal im Jahr trifft sich Präsident Wladimir Putin in seiner Heimat mit Wirtschaftsbossen aus dem In- und Ausland. Zwar ist Russlands ökonomische Krise noch nicht vorbei, politische Konflikte bleiben. Doch die Zeichen stehen auf Wiederannäherung.

Nach zwei Jahren Streit hoffen Russland und die EU in den Sommernächten von St. Petersburg ihre wirtschaftliche Liebe zu erneuern. Immer wenn die romantischen Weißen Nächte am hellsten und kürzesten sind, hält Präsident Wladimir Putin Hof in seiner Heimatstadt. Vom 16. bis 18. Juni lädt er russische und ausländische Firmenlenker zum Internationalen Wirtschaftsforum (SPIEF) in die nördliche Zarenstadt.

Zwar ist Russlands Vorgehen gegen die Ukraine seit 2014 nicht vergeben und vergessen, Sanktionen der EU und der USA gelten weiter. Trotzdem reist kurzfristig EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an die Newa. Auch Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon kommt und darf sich beim Kremlchef den russischen Freundschaftsorden abholen.

Aufwertung

Und hatte Putin 2015 nur einen EU-Außenseiter zu Gast, den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, kommt diesmal ein politisches Schwergewicht: Italiens Regierungschef Matteo Renzi.

800 ausländische Gäste haben sich angesagt. "Das Interesse wird größer", sagt Cheforganisator Sergej Prichodko. Die Folge: Das SPIEF findet zwar seit 20 Jahren statt, aber so teuer war es noch nie. 1,8 Milliarden Rubel (24,1 Mio Euro) wird die Veranstaltung auf dem Messegelände nahe dem Flughafen Pulkowo kosten.

Dabei ist die russische Wirtschaftskrise – ausgelöst durch fehlende Reformen, niedrige Ölpreise und Sanktionen – noch nicht vorbei. Aber Putin und seine Regierung haben die Parole ausgegeben: Die Talsohle ist durchschritten. Der Ölpreis, an dem das Wohl und Wehe der russischen Wirtschaft hängt, hat sich von den Tiefständen um den Jahreswechsel etwas erholt. Im ersten Vierteljahr schrumpfte die Wirtschaft noch um 1,2 Prozent zum Vorjahresquartal. Das ist nicht mehr der Einbruch von 3,7 Prozent, den Russland 2015 erleben muste.

Sanktionen vor Verlängerung

Auch die Sanktionen habe das Land weggesteckt, sagen russische Fachleute. "Anzeichen eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs sind nicht zu beobachten", schreibt der Experte Sergej Schelin von der Agentur Rosbalt. Die Strafmaßnahmen der EU stehen zur Verlängerung an. Kommissionschef Juncker kommt mit einer doppelten Botschaft nach St. Petersburg. Absehbar werden die Sanktionen verlängert, weil Russland weiter nichts für Frieden in der Ostukraine tut. Aber die EU streckt die Hand aus, um wieder mit Moskau ins Geschäft zu kommen.

Putin wolle mit Juncker nach Möglichkeiten der Kooperation jenseits bestehender Konflikte suchen, sagt Kremlsprecher Dmitri Peskow. Und auch der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft fordert einen Strategiewechsel der EU. Die Sanktionen sollten nicht erst am Ende des Minsker Friedensprozesses für die Ukraine aufgehoben werden, sondern bei Fortschritten schrittweise schon vorher, betont der Vorsitzende Wolfgang Büchele.

Fehlende Innovationen

Der Schaden westlicher Sanktionen für Russland sind weniger die Zehntelprozentpunkte, die sie das Bruttoinlandsprodukt BIP kosten. Aber Russland werde durch die Sanktionen abhängiger von China, schreibt Schelin. Auch sei das Land vom Fortschritt westlicher Technologie abgeschnitten. Moskauer Gegenmaßnahmen wie Importverbote für EU-Lebensmittel schützten einheimische Firmen – doch ohne Konkurrenz lieferten diese schlechte Qualität zu überhöhten Preisen.

Stichworte Ukraine, Syrien, Konfrontation mit der Nato: Wie Putin in den nächsten Jahren seine Großmachtpolitik und eine wirtschaftliche Gesundung unter einen Hut bekommen will, ist noch nicht klar. Ex-Finanzminister Alexej Kudrin soll für den Kremlchef ein Programm für die Zeit nach der Präsidentenwahl 2018 entwerfen.

Doch Ende Mai wagte der altgediente Liberale Kudrin anzumerken, es würde helfen, wenn Moskau "die geopolitische Spannung verringert". Da erwiderte Putin nach Angaben von Zeugen barsch, Russlands Souveränität sei nicht verhandelbar. Er werde sie verteidigen, "solange ich Präsident bin und bis ans Ende meines Lebens".

Umstrittene Pipelines

Außenpolitik betreibt Moskau gern auch mit seinen Gasleitungen. Die Vereinbarung zum Bau von Nord Stream 2, einer weiteren Ostseepipeline von Russland nach Deutschland, war die Sensation beim Forum 2015. Interessant wird, was Matteo Renzi dazu sagen hat. Der Mann aus Rom will die Ukraine-Sanktionen lockern, damit punktet er in den Augen des Kremls. Aber er kritisiert Nord Stream 2 und hat sich deshalb auch schon mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel angelegt. Gazprom-Chef Alexej Miller will sein Projekt auf dem Forum verteidigen.

Putin gibt sich bei Pipelines vor dem Forum großzügig. Man könne auch über die eigentlich verworfenen Projekte South Stream und Turkish Stream durch das Schwarze Meer wieder reden, sagte er.

Merkel will langfristig gemeinsamen Wirtschaftsraum

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) strebt langfristig einen gemeinsamen Wirtschaftsraum der EU mit Russland an. Man müsse an einer schrittweisen Umsetzung arbeiten, sagte Merkel am Freitag in Berlin vor der Stiftung Familienunternehmen mit Hinweis auf eine frühere russische Idee.

"Gute Wirtschaftsbeziehungen sind in unser aller Interesse", sagte sie in Anwesenheit des russischen Botschafters in Deutschland. Merkel betonte zudem, dass die im Ukraine-Russland-Konflikt verhängten EU-Sanktionen "kein Selbstzweck" seien. Sie könnten wieder aufgehoben werden, wenn Russland die Verpflichtungen aus dem Minsker Friedensabkommen für die Ukraine umsetze.

Man befinde sich derzeit in einer "sehr intensiven Phase", um die Umsetzung dieses Abkommens voranzubringen. Es gebe immer noch eine sehr fragile Lage in der Ostukraine. Deshalb fänden intensive Gespräche sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine statt. "Meine Hoffnung ist, dass wir ein klares Stück vorankommen im Juni." Die EU will Mitte des Jahres die Russland-Sanktionen zunächst um weitere sechs Monate verlängern. Allerdings betonen sowohl die deutsche Regierung als auch die G-7-Staaten stärker als früher, dass man die Sanktionen schrittweise auch wieder lockern könne, wenn Russland seinen Verpflichtungen nachkomme. (APA, Reuters, 10.6.2016)