Die virtuelle Lernwelt von Festo verbindet virtuelles und reales Lernen.

Foto: Festo

Ein Übungsmodell der Zukunftsfabrik in Scharnhausen, Deutschland.

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Scharnhausen/Wien – Auch wenn hochflexible Produktion bislang nur teilweise Realität ist: Sie verändert, wie in der Produktion gearbeitet wird. Reale und virtuelle Welt kommen einander immer näher. Fabriken und Lieferketten werden zunehmend digitalisiert und vernetzt. Die Fertigungsmaschinen der Zukunft kommunizieren selbstständig miteinander und mit den Produkten, die sie herstellen. Das notwendige Material bestellen sie ebenfalls im Alleingang. Ein Bündel an Entwicklungen, das unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" firmiert. Die Rolle des Menschen in dieser intelligenten Produktion wird wahlweise die des Dirigenten sein, der einschreitet, wenn es Probleme gibt, oder die des Entwicklers, der am Produktionsdesign arbeitet, sagen Experten. Da werden neue Kompetenzen notwendig – das betrifft den Produktionsleiter ebenso wie den Handwerker an der Maschine.

Noch nicht vorbereitet?

Derzeit, das zeigt eine aktuelle Umfrage des Gallup-Instituts im Auftrag von Festo, weiß jedoch rund die Hälfte der Industriemitarbeiter in Österreich nicht, was unter Industrie 4.0 überhaupt zu verstehen ist, oder hat den Begriff gar noch nie gehört. Katharina Sigl, Leiterin der Festo-Tochterfirma Didactic in Österreich, sieht daher Unternehmen in der Pflicht, ihre Mitarbeiter auf veränderte Anforderungen vorzubereiten. "Sie müssen die Menschen auf dem Weg in Richtung Industrie 4.0 mitnehmen." Am besten würden Mitarbeiter im "arbeitsnahen Umfeld" lernen.

Zu diesem Zwecke hat Festo für seine Mitarbeiter im schwäbischen Scharnhausen eine Lernfabrik eingerichtet. Dort sind die Stationen eines realen Produktionssystems als Modell abgebildet. Ein Journalist der deutschen Zeitung "Die Welt" besuchte die Lernfabrik. Er beschreibt eine kleine Anlage, rund vier Meter lang, mit mehreren Schaltschränken und Laufbändern. "Sie ermöglicht den Mitarbeitern in der Produktion, die Aufgaben, die auf sie zukommen, in einfachen, kleinen Schritten zu trainieren. Dann gehen sie 20 Meter weiter an die Anlage und setzen das Gelernte gleich am Arbeitsplatz um", sagt Katharina Sigl.

Möglich sei es auf die Art, mit verschiedenen Technologien zu experimentieren, "zu beobachten, was passiert, und herauszufinden, woran es beispielsweise liegt, dass ein Werkstück einem eine Information nicht liefert." Die Mitarbeiter sollen in der Lernfabrik sowohl Fachwissen erwerben – Programmierung, Datenmanagement – als auch die Kommunikation untereinander trainieren. Fach- wie Führungskräfte nehmen am Training teil. Auszubildende sind ebenfalls eingebunden.

Angebot an Hochschulen

In Deutschland gibt es bereits mehrere solcher Lernfabriken, in Österreich keine. "Da sind wir noch nicht auf dem neuesten Stand der Dinge", kritisiert Sigl. Aber auch die Bildungsinstitutionen sieht sie gefordert, stärker auf das Thema 4.0 zu fokussieren. Sie müssten Curricula modernisieren und neue Studiengänge schaffen.

Die Fachhochschule St. Pölten bietet seit vergangenem Herbst eine einschlägige Ausbildung an: das Bachelorstudium Smart Engineering of Production Technologies and Processes. Es soll Studierende auf die Herausforderungen der vernetzten Produktion vorbereiten, ihr Innovationsdenken fördern. "Teil ist eine Grundlagenausbildung in den mechatronischen Fächern: Maschinenbau, Elektronik, Informatik. Ein starker Fokus liegt auch auf Produktionsprozessen", sagt Thomas Moser, stellvertretender Studiengangsleiter. Die Besonderheit des Angebotes: Es ist als duales Studium konzipiert. Das heißt, dass sich Ausbildung an der Hochschule und Praktika in Firmen abwechseln. "Ähnlich also wie bei einer Lehre, nur auf Hochschulniveau", so Moser.

Angebote, sagt der Experte, der derzeit in einer Studie das Bildungsangebot im Bereich Industrie 4.0 erhebt, gebe es auch an anderen Fachhochschulen: dem Technikum Wien, der FH Campus Wien, der FH Oberösterreich oder dem MCI in Innsbruck. Dem Thema widmen sich zudem die Technischen Unis Graz und Wien. Letztere eröffnete im Herbst vergangenen Jahres die erste 4.0.-Pilotfabrik in der Seestadt Aspern in Wien. Dort sollen Unternehmen und Wissenschafter neue Arten der Produktion erforschen. Rund 20 Unternehmen sind aktuell an derPilotfabrik beteiligt, darunter Atos, Bosch, Festo, Siemens Österreich oder SAP.

Thema 4.0 in der Lehre

Angesichts der vernetzten Produktion müsse sich schließlich auch die Lehrlingsausbildung verändern, sagt Sigl von Festo Österreich. Initiativen – wie etwa der im Mai von der Wirtschaftskammer Niederösterreich abgehaltene Lehrlingswettbewerb für Industrie 4.0 – seien wichtige Initiativen.

Bleibt eine Schwierigkeit bei der Schaffung neuer Bildungsangebote: Momentan ließe sich schwer abschätzen, wie Unternehmen in Österreich das Thema Industrie 4.0 umsetzen werden, so Sigl. Disruptive Neuerungen sieht etwa Friedrich Bleicher, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik an der TU Wien, vor allem in Pilotanlagen bei großen Unternehmen in der Automobilindustrie. (Lisa Breit, 10.6.2016)