Unten rauscht die Brandung, oben schlängeln sich Autos die Küstenstraße entlang. Irgendwo bimmeln die Glocken grasender Schafe, und wer den Blick zum Himmel wendet, sieht vielleicht einen Mönchsgeier über der Steilküste kreisen. Mallorca bietet intensive Erlebnisse, auch spiritueller Natur. Das wusste im Mittelalter schon ein Mann, der die christliche Kirche revolutionieren und die Moslems bekehren wollte: Ramon Llull, oder Raimundus Lullus, wie er im deutschen Sprachraum heißt. Die Insel begeht dieses Jahr das 700. Todesjahr des Denkers und Laientheologen, mit Konferenzen, Führungen und einer Heiligsprechung, die das Bistum von Mallorca in Rom vorantreibt.

An der Westküste gründete Lullus im Jahr 1276 das kleine Kloster Miramar. Doch Lullus hat an vielen Orten der Insel gedacht, geschrieben und gepredigt. Im Kloster La Real bei Palma zum Beispiel schrieb er ab 1265 seine ersten Bücher. Auf dem Tafelberg Randa bei Algaida hatte er seine ersten Eingebungen. Und im Kloster Miramar bei Valldemossa lernten Mönche Arabisch. Eine neue Themenroute führt zu all diesen Stätten.

Algaida
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Geschrieben hat Lullus über Moral und Logik, über sein Leben, seine Gottesvorstellung oder den Religionsdialog. Für das Volk schrieb er als einer der Ersten überhaupt auf Katalanisch, für die Gelehrten in Europas neu gegründeten Universitäten auf Latein. Lullus hat rund 270 Werke hinterlassen. Um sein Gedankengut zu verbreiten, reiste er nach Nordafrika, ins heutige Italien, nach Frankreich oder in andere Mittelmeerregionen.

Antoni Alzamora ist Pfarrer in Santa Eulària. Die Kirche im Stadtzentrum von Palma ist die älteste der Insel. "Es ist belegt, dass Ramon Llull hier getauft wurde", sagt Alzamora und zeigt auf ein Taufbecken in einem Seitenaltar. Lullus wurde 1232 in Palma geboren und gehörte dort zur ersten Generation der Christen nach der Reconquista. "Er war der einzige Sohn eines einflussreichen Mannes, dem Vater gehörten große Ländereien auf der Insel. Es gibt heute noch Leute, die wissen, wo die Familie ihren Besitz hatte", erzählt Alzamora.

Mallorca im Wandel

In seiner Autobiografie Vita coëtanea überliefert Lullus viele Informationen über seine Zeit. Mallorcas Gesellschaft war damals im Wandel, Juden und Moslems wichen den neuen Christen, auf dem spanischen Festland herrschten teilweise noch die Kalifen des Al-Andalus. Bis zu seinem 30. Lebensjahr führte Lullus ein Leben in Luxus, stand König Jakob II. nahe, wurde sogar dessen Berater. Doch dann soll ihm in der Santa-Eulària-Kirche Christus am Kreuz erschienen sein. Fortan wollte er sein Leben Gott widmen, Ungläubige bekehren. Ein muslimischer Sklave unterrichtete ihn in Arabisch, islamischer Philosophie und Theologie.

Valdemossa
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Neun Jahre später begann er mit seinem Hauptwerk, der Ars Magna. Es ist eine Sammlung philosophischer und theologischer Begriffe, die Lullus definierte und miteinander kombinierte. Auf diese Weise wollte er den Religionsdialog erneuern. Bislang stützten sich Philosophen und Theologen nur auf ihre Schriften – Bibel, Koran oder Talmud. Dabei verwickelten sie sich in Glaubensdiskussionen, ohne sich anzunähern.

Den Scholastikern missfiel dieser Ansatz. Das Buch kam auf den Index verbotener Bücher. Dennoch erweckt es bis heute Interesse. Mehr als 2.000 Wissenschafter haben sich im Verlauf der Jahrhunderte mit seinem Werk beschäftigt, wie die Universität in Barcelona errechnet hat.

Heilsamer Unterkiefer

Lullus starb 1316, vermutlich während der Überfahrt von Tunis nach Mallorca. Unklar ist bis heute, ob er an Altersschwäche oder an den Folgen von Übergriffen aufgebrachter Muslime starb. Die katholische Kirche wertet Lullus' Tod als Märtyrertod, und die Mallorquiner taten das jahrhundertelang ebenso. Sein Grab in der Kirche Sant Francesc in Palma war früher eine Pilgerstätte. Die Menschen nahmen dort Öl aus den Lampen und rieben sich damit ein. Lullus' Unterkiefer wurde Kranken nachhause gebracht.

Palma
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Der Palmesaner Historiker Gaspar Valero beschäftigt sich seit Jahren mit Lullus: "Die Verehrung war auf Mallorca tief verwurzelt, hatte geradezu patriotische Züge", sagt er, "Lullus verlieh uns in der Welt Bedeutung." Bis heute ist der Denker ein Inselpromi. Schulen und Bibliotheken tragen seinen Namen, so gut wie alle Mallorquiner kennen ihn. "Sein Leben wurde mit Anekdoten geschmückt, es wurde zum Abenteuerroman", sagt Valero. Das Werk verstünden dagegen nur die Wenigsten: "Es ist zu komplex, um im Sommer auf dem Strand darüber zu plaudern." (Brigitte Kramer, 14.6.2016)