Oesterheld produzierte 160 Comicreihen.

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Héctor Germán Oesterheld, Francisco Solano López, "Eternauta". € 41,10 / 392 Seiten. Avant-Verlag, Berlin 2016

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Schnee in Buenos Aires – das gibt es um einiges seltener als einen Staatsstreich in der Hauptstadt Argentiniens. So beschreibt es Estela Schindel treffenderweise in ihrem Nachwort zur deutschen Ausgabe von El Eternauta. Es ist aber kein außergewöhnliches Wetterphänomen, das in einer kalten Winternacht des Jahres 1963 über Buenos Aires hinwegfegt. Die Schneeflocken bringen den Tod, sie ersticken jedes Leben in ihrer täuschend sanften Pracht und löschen auf einen Schlag nahezu die gesamte Menschheit aus.

Die Geschichte des Eternauta, des Ewigreisenden, beginnt in einer biederen Mittelklasse-Gegend in Vincente López, einem Vorort von Buenos Aires. Ein Einfamilienhaus reiht sich an das andere, die Gärten sind gepflegt, die Straßen sauber. Es ist Zufall, dass Juan Salvo, seine Familie und seine Freunde, die gerade zu Besuch sind, nicht in die weiße Falle tappen. Rechtzeitig bemerken sie die fatale Wirkung des Schnees und basteln sich Schutzanzüge, bevor sie sich aus dem Haus wagen. Schnell stellt sich heraus, dass die Schneeflocken nur der Anfang einer außerirdischen Invasion sind, die im Zentrum von Buenos Aires ihre Basis hat.

Während die Toten im Comic "Eternauta" quasi im Schnee konserviert werden, also sichtbar bleiben, verschwanden zehntausende Argentinier spurlos in den Händen der Junta.
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Das Bild des Protagonisten in seiner Montur, die einem Taucheranzug ähnelt, hat in Argentinien ikonografischen Status. Das dystopische Science-Fiction-Comic El Eternauta von Héctor Germán Oesterheld (Szenario und Text) und Solano López (Zeichnungen) gehört zu den populärsten und wichtigsten Werken Argentiniens. Eigentlich würde die Story selbst, die zwischen 1957 und 1959 als Serie in der Zeitschrift Hora Cero erschien, genug hergeben, um die Leser einigermaßen aufzuwühlen. Durch den Hintergrund des Autors, der (vermutlich) 1978 Opfer der argentinischen Militärdiktatur wurde, bekommt das Ganze aber noch eine viel tragischere Dimension.

Plädoyer für den Widerstand

Héctor Oesterheld, geboren 1919 als Sohn eines deutschen Auswanderers und einer spanischen Mutter, war mit geschätzten 160 Comicreihen, die in Zusammenarbeit mit Größen wie Hugo Pratt entstanden, einer der produktivsten und bedeutendsten Comicautoren Lateinamerikas. Er dürfte schon früh ein politischer Mensch gewesen sein. Ins Kreuzfeuer gerät er spätestens, als er 1968 mit dem Zeichner Alberto Breccia eine Comic-Biografie Che Guevaras veröffentlicht, deren Vertrieb von der Regierung unterbunden wurde. In den 1970er-Jahren schließt er sich der peronistischen bewaffneten Organisation der Monotoneres bei und zeichnet einschlägige politische Comics in den Zeitschriften der Bewegung.

Sein Eternauta, von Anfang an ein Erfolg, wird von den Linken als Plädoyer für den Widerstand gegen die Diktatur gelesen. Eine experimenteller angelegte Fortsetzung ruft direkt zum Kampf gegen die faschistoiden Invasoren auf. Die Parabel auf den Staatsterror im eigenen Land ist offensichtlich. Alle seine vier Töchter, die ebenfalls im Untergrund für die Revolution kämpfen, verschwinden eine nach der anderen, werden gefoltert und getötet, dann ist er selbst dran. Nur seine Frau Elsa und zwei ihrer Enkelkinder überleben den Terror.

Wenn man in diesem Wissen den erstmals auf Deutsch vorliegenden, fast 400 Seiten umfassenden Sammelband Eternauta liest, kommt einem alles vor wie eine fast prophetische Parabel auf das Unglück, das über Argentinien im Allgemeinen und auf das Leben des Héctor Oesterheld im Speziellen hereinbrach. Wie die Schneefälle kamen die Schergen der Diktatur meist lautlos. Doch während die Toten im Comic quasi im Schnee konserviert werden, also sichtbar bleiben, verschwanden zehntausende Argentinier spurlos in den Händen der Junta. Der selbsterklärte "schmutzige Krieg" begann 1976, vor nunmehr 40 Jahren, mit einem Militärputsch und dauerte bis 1983 an. Nach wie vor gibt es keine Hinweise auf den Großteil der Desaparecidos.

Auch Juan Salvo, der Protagonist von El Eternauta, verschwindet gewissermaßen – nämlich in der unendlichen Einöde des Universums, gefangen zwischen den Zeiten und Welten. Doch von Anfang an: Salvo (das spanische Verb "salvar" heißt übrigens "retten") wird Teil einer Gruppe von Überlebenden, die sich bewaffnen und beschließen, den völlig unberechenbaren und offensichtlich hoch überlegenen Gegnern (genannt schlicht "ellos", also "sie") Widerstand zu leisten. Seine Frau Elena und seine Tochter Martita lässt er im Haus zurück, im Bewusstsein, dass es hier nicht um das Schicksal seiner Familie, sondern um das der Menschheit geht.

Beim Vorrücken in Richtung des Zentrums von Buenos Aires wird immer deutlicher, mit wem es die Erde zu tun hat. Zuerst muss es die Gruppe mit Riesenkäfern aufnehmen, die mit fatalen "Strahlenwerfern" ausgerüstet sind. Als sich die Widerstandskämpfer in einem Stadion formieren, werden sie von Halluzinationen in den Wahnsinn getrieben. Danach trifft die immer weiter dezimierte Gruppe auf die "Manos", die "Hände", eine menschenähnliche Spezies, deren Mitglieder allesamt eine völlig identische menschliche Gestalt haben. Mit ihren langen Reihen an Fingern, die sich über ihre Arme ziehen, fernsteuern sie die Käfer und haushohe Ungetüme mit gozillaartiger Zerstörungskraft namens "Gurbos" – sowie in "Roboter-Menschen" verwandelte Kriegsgefangene.

Es entwickelt sich ein aufreibender Kampf, in dem die winzige Gruppe an Überlebenden trotz aller Rückschläge bis ins Zentrum der Invasion vordringt. Am Ende bleibt aber nichts anderes als der Rückzug und die Flucht, die schließlich in einer Falle endet. Juan Salvo landet letzten Endes als einsamer Zeitreisender, als "Eternauta", in einem unentwirrbaren Geflecht aus Paralleldimensionen, verzweifelt auf der Suche nach seiner Familie und seiner verlorenen Existenz.

Während das US-Comic dieser Zeit vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gerade ein goldenes Science-Fiction-Zeitalter erfuhr, in dem die Fronten zwischen guten Menschen und bösen Außerirdischen ganz klar abgesteckt waren, werden die Aliens in El Eternauta differenzierter charakterisiert. "Sie", die wahren Gegner, stehen für das unvorstellbar Grausame, sind aber nicht sicht- und fassbar. Alle anderen Eindringlinge, von den "Händen" abwärts, sind von "ihnen" versklavte Völker, Handlanger, die mit perfiden Methoden gefügig gemacht wurden und sich eigentlich nichts anderes als Freiheit wünschen.

Nicht ein fremder Planet oder eine utopische Welt ist der Schauplatz des Geschehens, sondern die Straßen von Buenos Aires, so wie sie zum Großteil heute noch existieren. Man kann die Route der Kämpfer auf dem Stadtplan verfolgen, vom Fußballstadion River Plate über die Avenida del Libertador, die Plaza Italia, die Avenida Santa Fé bis ins Zentrum auf die Plaza del Congreso. Unweit davon, auf der Plaza de Mayo, demonstrieren die Mütter der Verschwundenen der Militärdiktatur, die Madres de la Plaza de Mayo, noch heute jeden Donnerstag dafür, dass die Morde restlos aufgeklärt werden.

Jenseits von Gut und Böse

Auch die Protagonisten heben sich von dem zu der Zeit üblichen Repertoire ab. Es sind keine epischen Superhelden mit wundersamen Kräften, sondern ganz normale Männer aus den verschiedensten sozialen Schichten: der mittelständische Juan Salvo, sein intellektueller Freund Favalli, der Physiker ist, der Gießer Franco. Durch Zufall werden sie auf einen Haufen gewürfelt, nie besteht Zweifel, dass sie an einem Strang ziehen. Es ist nicht nur ihr Hausverstand, der sie weiterbringt, sondern vor allem ihr Gerechtigkeitssinn und solidarisches Denken, das Hintanstellen egoistischer Interessen gegenüber dem kollektiven Überleben, so aussichtslos es auch erscheinen mag.

Das klingt alles pathetisch und ist es stellenweise auch. Je brenzliger die Situation, desto platter werden die Dialoge, für die Reflexion des Geschehens bleiben nur wenige Verschnaufpausen. Allein aufgrund des ursprünglichen Serienformats ergeben sich Redundanzen, über die sich aber in der Hitze des Gefechts hinwegsehen lässt. Auch das traditionelle Frauenbild bleibt in den 50er-Jahren verhaftet und gibt den drei weiblichen Figuren, die vorkommen, wenig bis keinen Spielraum. Die Männer geben sich demgegenüber überraschend emotional, was sich in den eindringlichen Zeichnungen von Solano López widerspiegelt, die vor allem bei den Close-ups ihre volle Stärke entfalten.

Es ist diese Emotionalität hinter der brutalen Geschichte, die Zärtlichkeit gegenüber den Figuren, die einen so starken Reiz ausübt. Oesterheld versetzt die Erzählung ein paar Jahre in die Zukunft, Anfang der 1960er. Dass er selbst fast zwanzig Jahre später auf grausamste Weise seine Familie und sein Leben verliert, konnte er nicht voraussehen. Sehr wohl aber hatte er ein Gespür für den gesellschaftlichen und politischen Nährboden, aus dem die letzte, tödlichste Militärdiktatur Argentiniens erwuchs.

Schauer laufen einem über den Rücken, wenn man am Ende des Buches liest: "Wird es zu verhindern sein, wenn man all das veröffentlicht, was der Eternauta mir erzählt hat? Wird es möglich sein?" Oesterhelds Frau Elsa, sie starb am 22. Juni 2015, ließ der Mord an ihrer Familie nie los. Sie war eine der federführenden Aktivistinnen auf der Plaza de Mayo, erzählte unermüdlich immer wieder ihre Geschichte, um Gerechtigkeit zu finden. Hoffentlich nicht ganz so vergeblich wie der Eternauta. (Karin Krichmayr, 13.6.2016)