Recep Tayyip Erdoğan bei seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorates der Universität Kocaeli.

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In der Türkei ist eine seit längerem schwelende Diskussion über ein angeblich falsches Uni-Diplom Recep Tayyip Erdoğans wieder aufgeflammt.

Dabei handelt es sich nicht nur um eine akademische Debatte, die Frage hat vielmehr eine konkrete rechtliche Komponente: Sollte Erdoğan keinen Uni-Abschluss haben, könnte ihn das die Präsidentschaft kosten. Denn zu den Voraussetzungen für die Kandidatur um das Präsidentenamt gehört laut Paragraf 101 der türkischen Verfassung neben dem vollendeten vierzigsten Lebensjahr, der türkischen Staatsbürgerschaft, einem Parlamentsmandat oder zumindest einer möglichen Wählbarkeit zum Parlamentsabgeordneten auch eine abgeschlossene Hochschulausbildung.

In seinem offiziellen Lebenslauf behauptet der türkische Präsident, 1981 an der Fakultät für Wirtschafts- und Handelswissenschaften der Universität Marmara ein Studium abgeschlossen zu haben – ein Institut, das in dieser Form gar nicht existiert. 1982 entstand aus der Zusammenlegung verschiedener Institute, unter anderem der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, die Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften.

Schon vor der Wahl im Jahr 2014 tauchte die Frage nach Erdoğans Diplom erstmals auf. Ein Mitglied der Nationalistenpartei MHP forderte, Erdoğans Kandidatur nicht zuzulassen, weil seine angegebene Ausbildung nur auf einem dreijährigen, und nicht wie gesetzlich vorgeschrieben auf einem vierjährigen Lehrgang basiere. Die Archive der Marmara-Universität sollen jedoch vor der Präsidentschaftswahl geschlossen gewesen sein, sodass eine Überprüfung nicht möglich gewesen sei.

Die Nachrichtenseite "Diken" fragte bei den Gegenkandidaten Erdoğans bei seiner Wahl im August 2014 nach, und sowohl der Parteivorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, als auch Ekmeleddin İhsanoğlu von der MHP bestätigten, dass sie vor der Wahl ihre Diplome vorlegen mussten.

Sadi Güven, der Chef der Wahlbehörde YSK, teilte laut "Diken" auf Nachfrage, ob auch Erdoğan sein Diplom vorgelegt habe, lediglich mit: "Ich habe keine Antwort auf Ihre Frage." Die Wahlbehörde hatte zuletzt auch eine Anfrage des ehemaligen Chefs der Richtervereinigung YARSAV, Ömer Faruk Eminağaoğlu, zurückgewiesen, dass nach Erdoğans Diplom gesucht werden sollte, um seine Eignung für das Präsidentenamt zu überprüfen.

Ein von der Universität veröffentlichtes Diplom schürte weitere Fragen nach der Authentizität, da der Name des Instituts nicht mit Erdoğans eigenen Angaben übereinstimmte.

Vergangenen Freitag teilte schließlich der Rektor der Marmara-Universität, Mehmet Emin Arat, in einer Stellungnahme mit, dass Erdoğan ein Absolvent seiner Universität sei und die Vorwürfe unfair und substanzlos seien. Erdoğans Sprecher İbrahim Kalın äußerte sich am Mittwoch zu den Vorwürfen: "Was wird von uns erwartet? Sollen wir Millionen Kopien des Diploms verteilen?" (Michael Vosatka, 10.6.2016)