Die Hamburger Elbphilharmonie birgt in sich drei Konzertsäle, ein Hotel, Wohnungen und dürfte auch abseits der Konzerte an die 10.000 Besucher täglich anlocken. Das Gebäude wird 2017 mit einem üppigen Festival eröffnet.

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Christoph Lieben-Seutter: "Die beste Headline hatten wir zuletzt durch die Einstürzenden Neubauten, die 2017 bei uns spielen."

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Wien – Christoph Lieben-Seutter wirkt mittlerweile eher entspannt, was die von ihm betreute Elbphilharmonie anbelangt: "Die beste Headline hatten wir zuletzt durch die Einstürzenden Neubauten, die beim Eröffnungsfestival Januar 2017 spielen werden. Ich habe die Band natürlich nicht des Gags wegen eingeladen, sondern weil ich sie verehre." Zwischendurch mag ihm im Zusammenhang mit dem im Hamburger Hafen postierten Wahrzeichen das Lachen ja eingefroren sein. Lange Zeit schien es nur um Streit und die Neudefinition des Wortes Geduld zu gehen.

"Schon bei meinem Amtsantritt 2007 war auffällig, dass der Zeitplan extrem sportlich war", so Lieben-Seutter, der vom Wiener Konzerthaus gekommen war. "Die Verantwortlichen, ja die ganze Stadt, schwammen auf einer Begeisterungswelle und haben den Baubeginn trotz fehlender Planungstiefe durchgeboxt." Außerdem wäre die Vertragskonstruktion "zwischen der Stadt als Bauherr, den Architekten und dem Generalunternehmer für so ein komplexes Projekt nicht geeignet". Schnell wären Streitereien und Nachtragsforderungen an der Tagesordnung gewesen, "und man hatte bald das Gefühl, dass die Beteiligten all ihre Produktivität statt in den Bau in die gegenseitige Behinderung stecken".

Totalblockade und Neuordnung

Die Situation ist dann bis zur Totalblockade eskaliert, aus der heraus es "vor drei Jahren zu einer umfassenden Neuordnung kam. Seitdem haut es hin, wir sind in der Zeit, und der Kostenrahmen ist garantiert, wenn auch fast dreimal so hoch wie ursprünglich bestellt." Konkret: Das Projekt kommt nun auf fast 800 Millionen Euro, wobei es nicht nur aus dem Konzertbereich besteht (Großer Saal mit 2100 Sitzplätzen, Kleiner Saal für 550 Besuchern und Kaistudio mit 170 Plätzen).

"Neben dem Konzertbereich gibt es Restaurants, einen Shop, Wohnungen und ein Hotel. Das ist natürlich für unsere Künstler besonders praktisch, insbesondere für die Orchester, die wir vor und nach dem Konzert nicht mehr durch die halbe Stadt kutschieren müssen", erklärt Lieben-Seutter, vor dem sich Zeichen für das Gelingen des Projektes häufen. "Im Sommer ist die Elbphilharmonie baulich fertiggestellt, im November werden die öffentlichen Bereiche eröffnet, und im Jänner geht der Konzertbetrieb los. Nach der Veröffentlichung des Programms vor einigen Wochen hat sich die Anzahl der Hamburger Konzertabonnenten im Nu verdoppelt und für die Karten, die wir für die Eröffnungskonzerte verlosen, haben wir schon weit über 160.000 Anwärter."

Geschichte schreiben

Und, für Lieben-Seutter das Wichtigste: "Die bald fertiggestellten Konzertsäle haben eine einzigartige Atmosphäre, das ganze Haus wird Architekturgeschichte schreiben." Für ihn wird die Elbphilharmonie "ein Wahrzeichen, ein großer Anziehungspunkt sein. Wir rechnen mit bis zu 10.000 Besuchern täglich, von denen ein Viertel auch ins Konzert geht. Wir freuen uns natürlich über touristische Konzertbesucher, aber die Elbphilharmonie hat das Potenzial, klassische Musik weit über Hamburg hinaus neu aufzuladen und nachhaltig ein größeres Publikum zu gewinnen."

Das allerdings ist eine der kommenden Aufgaben, nachdem sich die Euphorie über die Eröffnung gelegt haben wird und der Alltag einzieht: "Das alles funktioniert nur, wenn es uns gelingt, aus den neugierigen Erstbesuchern Stammgäste zu machen." Grundsätzlich aber sieht Lieben-Seutter die Klassik "nicht in der Publikumskrise, wenn man sie gut vermittelt und wenn das Konzerterlebnis insgesamt zeitgemäß und ansprechend ist. Ich bin auch strikt dagegen, Programme leichter verdaulich und in kleinen Häppchen anzubieten."

Das Anspruchsvolle könne anspruchsvoll bleiben, "das ist eine große Qualität, für die das Publikum offener ist als früher. Die Zeiten, in denen Abonnenten den Saal verließen, weil Varèse gespielt wurde, sind längst vorbei, und zeitgenössische Werke kommen gelegentlich sogar besser an als der anschließend gespielte Klassiker." Was schwieriger geworden sei, "ist die Finanzierung. Da ist schon zu merken, dass Kultur generell an gesellschaftlicher Relevanz verloren hat. Für viele Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik ist klassische Musik nicht mehr als ein exotisches Hobby." Die Elbphilharmonie – konzipiert von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron – ist aber ohnedies ein offenes Haus der Stilvielfalt. Zum Eröffnungsfest ab dem 11. Jänner 2017 kommen nicht nur das Chicago Symphony Orchestra und die Wiener Philharmoniker, sondern auch der jazzige Klavierexzentriker Brad Mehldau und eben auch die Einstürzenden Neubauten.

Gerade noch rechtzeitig

War es schwer, so lange durchzuhalten? "Nein. Ich bin ja auch für die Laeiszhalle verantwortlich, immerhin den besten großen historischen Konzertsaal Deutschlands. Dort habe ich mein Team aufgebaut, neue Konzertreihen und mehrere Festivals etabliert. Was den Planungshorizont betraf, fuhren wir natürlich auf Sicht und mussten uns immer wieder auf neue Gegebenheiten einstellen, aber das macht einen ja kreativ." Und die Vorgänge rund um das Bauprojekt "waren sehr lehrreich", so Lieben-Seutter, "da möchte ich trotz vieler Krisen kein Jahr missen. Noch länger hätte ich allerdings nicht auf die Elbphilharmonie gewartet. Sie kommt für mich gerade noch rechtzeitig." (Ljubisa Tosic, 11.6.2016)