Pop-Queen Beyoncé 2014 beim MTV Video Music Awards.

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Andi Zeisler
We Were Feminists Once

From Riot Grrrl to Cover Girl®, the Buying and Selling of a Political Movement
Public Affairs 2016
304 Seiten, 23,90 Euro

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"Als ich an diesem Buch zu arbeiten begann, passierte etwas Seltsames: Feminismus wurde cool", schreibt Andi Zeisler im Vorwort ihrer jüngsten Publikation "We Were Feminists Once". Seit mehr als zwei Jahrzehnten beobachtet die Redakteurin und Mitbegründerin des US-amerikanischen Magazins "Bitch" feministische Bewegungen und ihre Verflechtungen mit Populärkultur. Im Zentrum ihres aktuellen Buchs steht der vermeintliche Ausverkauf einer einst radikalen Vision, wie schon der Untertitel nahelegt: "From Riot Grrrl to Cover Girl®, the Buying and Selling of a Political Movement".

Feministische Unterhosen

Feminismus als schickes Label? Was in den 1980er-Jahren, als Feministinnen vorrangig mit Latzhosen und Konsumverweigerung assoziiert wurden, undenkbar schien, ist heute Realität. H&M verkauft T-Shirts mit dem Aufdruck "Feminist", die jungen Modemacherinnen von Me & You verwandeln sogenannte Granny Panties, also bequeme Unterhosen, in ein Produkt mit feministischem Anspruch.

Einen wesentlichen Beitrag zum neuen Glamour-Faktor weiblicher Selbstbestimmung leisteten Stars wie Pop-Queen Beyoncé oder Schauspielerin Emma Watson. Watson präsentierte im Herbst 2014 als UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte die Kampagne "He For She" und löste eine mediale Watson-Mania aus, wie Zeisler schreibt (zugleich war sie jedoch auch Ziel unzähliger Hass-Kommentare im Netz).

Enjoli – eine im Buch besprochene Werbeeinschaltungen.
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Statt einer differenzierten Auseinandersetzung mit politischen Inhalten listeten Medien "10 Celebrities, die keine Angst davor haben, sich als Feministin zu bezeichnen". Beifall erhalten jedoch meist nur jene, die einen weißen Mittelschichtsfeminismus im Gepäck haben und diesen in freundlichem Tonfall verkaufen. Nadia Shehadeh, feministische Bloggerin und Soziologin, kritisiert solche Doppelstandards. Während etwa Patricia Arquette für ihre Equal-Pay-Rede bei den Oscars bejubelt wurde, werde Lauryn Hill, die immer wieder über ihre finanziellen Kämpfe und Ungerechtigkeiten im Musikgeschäft berichtete, schlicht als "angry black woman" abgestempelt.

Selbst wenn ein "Ich lasse mir nichts vorschreiben"-Feminismus von Miley Cyrus kaum an der Oberfläche der gesellschaftlichen Strukturen kratzt – gerade für junge Frauen könne er als Türöffner fungieren, sind sich viele JournalistInnen und BloggerInnen einig. "Feministin sein und sexy sein schließen sich heute nicht mehr aus", sagt Verena Bogner, Managing Editor bei "Broadly", der frisch gegründeten Frauenplattform des Vice-Imperiums. Broadly richtet sich an "Frauen, die wissen, was ihnen zusteht", man mache Schluss mit der für Frauenmagazine typischen Bemutterung der Leserinnen, erzählt Bogner. Offen über Sex sprechen, überholte Geschlechterklischees anprangern und dabei unterhalten – Broadly trägt den Feminismus nicht in der Selbstbeschreibung, er ist laut Bogner aber die Grundlage der journalistischen Arbeit, die nicht mehr diskutiert oder beständig neu ausgerufen werden müsse.

Choice Feminism

Frauen, "die wissen, was sie wollen", hat auch die Werbeindustrie längst für sich entdeckt. Zeisler spürt in ihrem Buch den sich wandelnden Marketingstrategien der vergangenen Jahrzehnte nach und führt ihren LeserInnen die Absurdität glücklich machender Joghurts und lebensverändernder Gesichtscremes vor Augen. Während in den 1980er-Jahren Werbespots aufstrebenden Karrierefrauen noch versicherten, nichts von ihrer Weiblichkeit einbüßen zu müssen, brachten die postfeministischen 1990er einen neuen Grundsatz, so Zeisler: "Ich tue es für mich." Frauen und Mädchen könnten die Welt im Sturm erobern – die schlankmachende Unterwäsche und der Push-up-BH seien dabei lediglich Konsumentscheidungen, die der Selbstzufriedenheit dienen.

Target Women – eine weitere im Buch besprochene Werbeeinschaltung.
Giussepe Balsamo

Den Ausverkauf von "Empowerment" stellt Zeisler besonders eindrücklich dar: Nicht nur frauenpolitische Kampagnen, auch Marketing und Medien möchten Frauen in jeder nur erdenklichen Art ermächtigen: Selbst Strip-Aerobics, Schönheitsoperationen oder Hausarbeit können empowernd sein, so sie nur mit der richtigen Einstellung praktiziert würden. Zeisler nennt das "Wahlfeminismus": "Es macht keinen Sinn, sämtliche Entscheidungen gutzuheißen, wenn sie nur von Frauen selbst getroffen werden. Und ebenso unlogisch ist es, in neoliberaler Manier davon auszugehen, dass die Auswirkungen dieser Entscheidungen ausschließlich die Frauen selbst betreffen würden", schreibt die Journalistin.

Politische Vereinzelung

Solche Erkenntnisse sind freilich nicht neu. Die britische Kulturwissenschafterin Angela McRobbie analysierte im 2010 auf Deutsch erschienenen "Top Girls" den Aufstieg eines neoliberalen Geschlechterregimes, das seinen eigenen Antifeminismus verschleiere. In einer vermeintlich gleichberechtigten westlichen Welt erfreue sich ein junges Publikum an TV-Shows, die Frauen auf ihr Äußeres reduzieren und sie mit Geschlechtsgenossinnen in den Kampf um die Gunst eines Junggesellen schicken.

Alexandra Weiss, Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck, kritisiert diese neue Kultur, die Feminismus als Wohlfühlfaktor betrachte, scharf. Die "Du kannst es schaffen"-Mentalität gehe an der Realität vorbei und lasse außer Acht, dass Chancen und Möglichkeiten auch unter Frauen sehr ungleich verteilt seien. Die Individualisierung struktureller Ungleichheiten erschwere wiederum eine Solidarisierung: "Allein aus der persönlichen Betroffenheit heraus passiert noch kein Austausch, folgt kein kollektives Handeln. Politische Kollektive sind aber enorm wichtig, auch, um politischen Druck aufzubauen", sagt Weiss. Eine Neoliberalisierung erfahre jedoch nicht nur der "Wohlfühlfeminismus", sondern auch der Wissenschaftsbetrieb. Ökonomische Fragen seien in der feministischen Forschung beziehungsweise in den Gender Studies marginalisiert, die Klassenfrage sei trotz der marxistischen Tradition des europäischen Feminismus schlichtweg verschwunden.

Rhetorische Fortschritte

In Österreich vermehrten sich FeministInnen zuletzt im Bundespräsidentenwahlkampf auf wundersame Weise. In einer Diskussion der sechs KandidatInnen auf Puls 4 antwortete lediglich Norbert Hofer auf die Frage "Sind Sie Feministin/Feminist?" mit einem Nein. Der Frauenanteil im Nationalrat ist hingegen zuletzt gesunken, Frauenpolitik wurde erst dem Bildungs-, im Zuge der Regierungsumbildung nun dem Gesundheitsressort untergeordnet. "Das ist eine sehr widersprüchliche Situation", sagt Politikwissenschafterin Weiss. Klar sei, dass gegenwärtig außer RechtspopulistInnen und Rechtsextremen niemand mehr ohne ein Mindestmaß an Gleichstellungspolitik auskomme – auch wenn Konservative fundamentale Fragen des Feminismus ausblenden oder sogar angreifen würden. "Rhetorische Modernisierung" nennt das die Soziologin Angelika Wetterer. Die Gleichstellung der Geschlechter würde mit Schlagworten wie Gender Mainstreaming rhetorisch verhandelt, während strukturelle Diskriminierung als scheinbar überwunden gelte.

Kampfansage

Neoliberaler Feminismus sei auch deshalb so erfolgreich, da er auf die weiße Mittelschicht und ihre typischen Hetero-Lebenskonzepte abziele, meint indes Bloggerin Shehadeh. Lesbische, queere und Transgender-Lebensrealitäten würden ebenso ausgeblendet wie Frauen mit Behinderung und die Kämpfe von Frauen of Color, schreibt auch Zeisler. Der mediale Abgesang auf den Feminismus in den USA begann in den 1980er-Jahen just zu jener Zeit, als Autorinnen of Color zentrale Texte über intersektionalen Feminismus veröffentlichten.

Zeisler bietet keine Rezepte für eine kritische Wiederaneignung des marketplace feminism, formuliert jedoch ein deutliches Fazit: "The problem is – the problem has always been –, that feminism is not fun. It’s not supposed to be fun. It’s complex and hard and it pisses people off." Der Kampf gegen Sexismus und Rassismus, gegen strukturelle Gewalt, ökonomische Ausbeutung und für körperliche Selbstbestimmung könne schlichtweg nicht "sexy" sein. Die endlosen – auch in feministischen Medien geführten – Diskussionen, ob Make-up auch emanzipatorisch wirken oder eine Künstlerin trotz ihrer bürgerlichen Ehe radikal sein könne, würden letztendlich nur einem Vorschub leisten: der Idee, dass Feminismus die Summe persönlicher Wahlmöglichkeiten sei. (Brigitte Theißl, 12.6.2016)