Die innermongolische Rap-Band Parfum führt vor der Kulisse einer Bibliothek ihren Rapsong über Karl Marx auf.

Foto: Innermongolia Radio and TV Station

Karl Marx in einem Ausschnitt aus dem Rap-Video.

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Chinesische Rapper bringen einem vor 133 Jahren verstorbenen deutschen Altrevolutionär ein Ständchen der besonderen Art. Karl Marx soll als neue Pop-Ikone der Jugendszene wiedergeboren werden. Ein Rapper, vier Damen, dicke Rhymes: "Marx, du bist ein Jiulinghou" – ein Mittzwanziger. Die Band aus Chinas Innerer Mongolei mit dem Namen Xiangshui Zuhe (Parfum) rappt in einem Mischmasch aus Mandarin und Englisch – und verweist dabei, wohl wegen der Ähnlichkeit der Namen, auch auf den US-Sänger Bruno Mars: "Kommunismus ist süß wie Honig. Ich bin dein Bruno Mars. Du bist meine Venus. Mein geliebter Marx. Lass mich dein Jünger sein. Du bist für uns nicht mehr Plan B."

Als Parfum Ende März ihr Lied vorstellten, machten sie vor Ort Furore. Sechs Wochen später katapultierten sie sich mit dem dreieinhalbminütigen Auftaktsong für die neue Fernsehshow Marx-Spektrum in die sozialistischen Charts. Die Talkshow, ausgestrahlt vom TV-Kabelkanal Innere Mongolei, wirbt damit, die Lehre des bärtigen Weltveränderers populär vorzustellen.

Pur Ge Mao

Premiere war am 5. Mai – pünktlich zum 198. Geburtstag von Karl Marx. Mit ihrer Liveperformance begeisterten Parfum nicht nur das Publikum im TV-Studio, die Videoaufzeichnung wurde innerhalb von zwei Tagen "mehr als hunderttausendfach kopiert und weiterverbreitet", sagte Programmsprecherin Zhuang Xun. Auch die Nachrichtenagentur Xinhua gratulierte und nannte den Rap-Song einen "Online-Hit", der eine "positive Energie" verströmt.

Gesteuerte Kampagne

Doch der Marx-Hype hat nicht nur mit einem hippen Song zu tun. Die Drahtzieher hinter dem TV-Programm und der Rap-Band sitzen in den ideologischen Schaltzentralen der KP. Pekings Führung will unter Parteichef Xi Jinping kommunistisches Gedankengut wieder in der Jugend verankern. Die weltweit vernetzte Smartphone-Generation soll mit der Partei verschweißt werden: Peking verkauft seine altbackenen Inhalte mit Szeneanstrich. Seit Xis Amtsantritt popularisieren spezielle Designabteilungen seine Politik in jugendnahen Cartoon-Varianten und Popsongs.

Nach dem Rap-Song und der TV-Show erschien Anfang Juni das landesweit vermarktete Buch Auf Marx ist Verlass. Hinter der lockeren Aufmachung verbergen sich ultralinke und nationalistische Inhalte. Dabei wird auch gegen westliche Werte und Demokratie polemisiert, oder es wird aufgezeigt, wie Firmen wie Apple und Foxconn junge Billigarbeiter in China ausbeuten. Die im Buch aufgezählten acht Berater des Projekts sind alle über 60 Jahre alt und gehören zur Nomenklatur der traditionellen Marxismusexperten der KP. Federführend ist der 67-jährige Ideologe Li Zhenming, einst Vizedirektor der Akademie für Sozialwissenschaften. Er stellt sich als der "Experte Nummer eins" des ZK-Projekts Marxismusaufbau vor und spricht in Kategorien des Klassenkampfs.

Rap und lockere Szenesprache sind nur eine Seite der Medaille der Reideologisierung. Auf der anderen geht es strenger zu. Am 17. Mai verlangte Parteichef Xi in einer außerhalb Chinas kaum beachteten Grundsatzrede, die führende Rolle des Marxismus in den Hochschulen und Akademien wieder durchzusetzen.

Westliche "Gehirnwäsche"

Ende Mai schrieben zwei chinesische Ökonomen einen offenen Brief an Erziehungsminister Yuan Guiren: Sie attackierten die mangelhafte Vermittlung von Kenntnissen des Marxismus an den Hochschulen. In China würden Studenten "mit verwestlichter Theorie gehirngewaschen". Bei Minister Yuan dürfte der Brief auf offene Ohren stoßen. 2015 hatte er vergeblich gefordert, alles Lehrmaterial aus Chinas Hochschulen zu verbannen, das westliche Wirtschaftstheorien und liberale Werte verbreitet.

Doch die Marx-Renaissance ist nicht nur von oben angeordnet. Es gebe auch von unten einen Linksruck in Chinas scheinbar so kapitalistisch denkender Jugend, erklärt der Kommentator Shen Hexi auf der Nachrichten-Website The Paper. Dahinter verbirgt sich Unzufriedenheit mit erstarrten Sozialstrukturen und den krassen gesellschaftlichen Unterschieden. Shen schreibt, dass in Abwandlung des berühmten ersten Satzes des 1848 erschienenen Kommunistischen Manifests nun wieder das Gespenst des Kommunismus umgehe – diesmal in China. (Johnny Erling aus Peking, 13.6.2016)