"Einige der Behandelten waren schwerst krank. Und plötzlich sahen sie wieder völlig gesund aus", erzählt ein Wiener Spezialist. Wichtig sei, dass man für Patienten, die Resistenzen gegen die ersten Medikamente aufweisen, weitere Behandlungsmöglichkeiten habe.

Foto: wikipedia/Lange123/[cc;3.0;by]

Die meisten Lungenkarzinomerkrankungen werden für eine heilende Operation zu spät erkannt. Mit Chemo- und Strahlentherapie war in den vergangenen Jahrzehnten relativ wenig Erfolg zu erzielen. Laut Daten österreichischer Wissenschafter aber bringen molekularbiologische Diagnosen aus dem Blut von Patienten und maßgeschneiderte Therapien nachweislich einen zum Teil enormen Effekt.

Die Teilnehmer an einem Therapie- und Registerprojekt von mehreren auf die Behandlung von Lungenkrebspatienten spezialisierten Zentren in Österreich, zum Beispiel das Otto Wagner Spital in Wien oder das Comprehensive Cancer Center (CCC) von MedUni Wien und AKH, haben ein Verzeichnis geschaffen, in dem alle Lungenkrebspatienten aufgenommen werden, die mit dem Wirkstoff Osimertinib behandelt werden. "Mittlerweile haben wir schon Daten von rund 80 Patienten. Die Informationen von rund 30 Erkrankten haben wir vor wenigen Tagen beim Jahreskongress der amerikanischen Gesellschaft für Onkologie (ASCO/Chicago) präsentiert", sagt der Wiener Spezialist Max Hochmair (Otto Wagner Spital).

Der Hintergrund: Bei manchen Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSLC) können mit einem sogenannten Tyrosinkinase-Hemmer, welcher den Rezeptor für den Wachstumsfaktor EGF (Epidermal Growth Factor) besetzt, gute Behandlungserfolge erzielt werden. In Österreich kommen dafür im Durchschnitt rund 13 Prozent der Erkrankten infrage. Um das festzustellen, testet man Tumorgewebe oder DNA aus dem Blut. Spricht das Ergebnis für einen zu erwartenden Effekt, verabreicht man zumeist einen EGFR-Hemmstoff. Substanzen wie Gefitinib oder Erlotinib können dabei eine sehr gute Wirkung entfalten, allerdings kommt es bei ständiger Behandlung recht bald zu Resistenzen.

Verblüffende Erfolge

Deshalb wurden Wirkstoffe wie Osimertinib entwickelt, um auch bei Resistenzen eine Behandlungsmöglichkeit anbieten zu können. Die beteiligten Wissenschafter verfolgen die Ergebnisse einer Behandlung mit diesem Tyrosinkinasehemmer der dritten Generation bei Lungenkrebspatienten. Bei den 30 Erkrankten, deren Daten für den ASCO-Kongress ausgewertet wurden, zeigten sich zum Teil verblüffende Erfolge: Sieben (23 Prozent) zeigten ein vollkommenes Verschwinden des Tumors. 70 Prozent (28 der Patienten) hatten zumindest ein teilweises Ansprechen auf das Medikament. Der Wirkstoff des Arzneimittels war extra dafür entwickelt worden, um bei nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen mit der sogenannten T790-Mutation eingesetzt zu werden. Sie ist am häufigsten für eine Resistenz gegen die ersten Arzneimittel (Erlotinib, Gefitinib etc.) verantwortlich.

"Einige der Behandelten waren schwerst krank. Und plötzlich sahen sie wieder völlig gesund aus", sagt Hochmair über die bisherigen Erfahrungen. Wichtig sei, dass man für diese Patienten, die im Laufe der Behandlung Resistenzen gegen die ersten Medikamente aufweisen, weitere Behandlungsmöglichkeiten habe.

Schließlich ist da auch noch der zukunftsträchtige Aspekt der "Flüssigbiopsie", bei der man Erbgut der Tumorzellen auf einfachem Weg aus dem Blut gewinnt und untersucht. Der Wiener Spezialist dazu: "Mit der Bestimmung von Tumor-Erbgut aus dem normalen Blut kann man zu einer Sicherheit von 80 bis 90 Prozent im Vergleich zu Gewebeproben bestimmen, welche Arzneimittel der zielgerichteten Krebstherapie wirken sollten." Das erspart den Patienten weitere Eingriffe. Tumoren können ihre molekulare Charakteristik im Laufe der Zeit auch ändern. Deshalb wären möglichst schonende Methoden zur Gewinnung der erforderlichen Informationen über den Tumor wichtig.

Erbgut der Tumorzellen im Blut

Eine Studie, die vor wenigen Tagen ebenfalls beim ASCO-Kongress vorgestellt worden ist, zeigte am Beispiel von rund 15.000 Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen sehr genau: Konnte man im Blut der Patienten Erbgut der Tumorzellen feststellen, stimmten deren Marker (EGFR, BRAF etc.) zu 94 bis hundert Prozent mit den Merkmalen aus den Gewebeproben überein. Die "Flüssigbiopsie" wäre womöglich auch das geeignete Mittel, um im Laufe einer Krebserkrankung die medikamentöse Therapie jeweils auch an die Veränderungen an den Tumorzellen anzupassen.

Lungenkrebs ist einer der schwersten unter den bösartigen Erkrankungen. Täglich wird in der EU bei 1.100 Menschen ein Lungenkarzinom diagnostiziert. Täglich sterben daran rund 1.000 Menschen. Pro Jahr sind das 353.000 Tote. Die Mortalität durch Lungenkrebs steigt international pro Jahr um 4,7 Prozent an. 2013 starben an einem Lungenkarzinom in Österreich 2.537 Männer und 1.357 Frauen. Die Chancen sind deshalb so schlecht, weil 75 Prozent der Diagnosen zu spät für eine heilende Behandlung gestellt werden. (APA, 13.6.2016)