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Eine ausgemusterte Titan-II-Interkontinentalrakete aus dem Kalten Krieg, ausgestellt im Titan-Missile-Museum in Sahuarita, Arizona, USA.

Foto: EPA/Scalzo

Der Kernwaffenteststoppvertrag verbietet seit 20 Jahren jede Art von nuklearer Explosion. Die wichtigsten Atomstaaten haben ihn allerdings noch nicht ratifiziert. Im Interview spricht Tariq Rauf, Direktor des Sipri-Programms für Abrüstung, Waffenkontrolle und Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, über Lippenbekenntnisse und reale Aufrüstung. Die Vision einer atomwaffenfreien Welt rückt immer mehr in weite Ferne, fürchtet er.

STANDARD: Der Kernwaffenteststoppvertrag existiert nun seit 20 Jahren. Noch immer haben nicht alle Staaten den Vertrag ratifiziert. Was hat sich in diesen 20 Jahren getan?

Rauf: In dieser Zeit haben drei Länder nukleare Tests durchgeführt, und zwar Indien, Pakistan (beide 1998) und Nordkorea (2006 und 2016). Die Länder gehören zu jenen, die nicht ratifiziert haben.

STANDARD: Auch China und die USA haben nicht ratifiziert.

Rauf: Die USA wollen unter anderem nicht, dass ihr eigenes Atompotenzial eingeschränkt wird. Und sie haben kein Vertrauen in die Überwachungsmöglichkeiten des Kernwaffenteststoppvertrags. Sie investieren Milliarden in ein eigenes System. China wird nicht ratifizieren, solange die USA es nicht tun. Schließlich wollen sie abwarten, welche Bedingungen die USA mit einer Ratifizierung verknüpfen. Sollte Donald Trump Präsident werden, sehe ich dafür auch in Zukunft keine Chance.

STANDARD: Israel hat signalisiert, dass es den Vertrag unterzeichnen wird, dass nur noch kein Zeitpunkt feststeht.

Rauf: Die Bedrohungslage für Israel hat sich komplett verändert. Irak, Syrien, Libyen, Iran sind keine konkrete Bedrohung mehr. Mit Jordanien und Ägypten gibt es Friedensverträge. Atomwaffen sind nutzlos gegen Hamas oder den "Islamischen Staat". Israel wird trotzdem erst ratifizieren, wenn Ägypten und Iran dazu bereit sind.

STANDARD: Das einzige Land, das im 21. Jahrhundert Nukleartest durchgeführt hat, ist Nordkorea.

Rauf: Nordkorea ist ein eigener Fall. Meiner Meinung nach müssen wir mit Nordkorea ein ähnliches Format finden wie mit dem Iran. Kim Jong-un hat auch angeboten, dass er sich mit den USA an einen Tisch setzt, um den Stopp der Tests zu verhandeln. Dieses Angebot wurde aber nicht angenommen. Das Schwierige bei Nordkorea ist, dass man nicht nur das Atomprogramm verhandeln kann.

STANDARD: Still und heimlich entwickelt Indien zum Beispiel mit Nuklearwaffen bestückte Unterseeboote.

Rauf: Ja, niemand schaut auf Indien, und tatsächlich könnten Nuklearboote der indischen Marine 2017 oder 2018 einsatzbereit sein. Sie bauen auch an Basen im Indischen Ozean, was den gesamten Raum destabilisieren und den Konflikt mit China verschärfen würde. Die US-Navy hat eine Partnerschaft mit Indien und baut ihre Kontakte rund um China herum zu Asien aus. Wir steuern in diesem Raum auf eine neues nukleares Wettrüsten zu.

STANDARD: Braucht Indien für die Weiterentwicklung seiner nuklearen Systeme Atomtests?

Rauf: Die fünf großen Atommächte brauchen keine Tests mehr. Die USA haben bereits in der Vergangen mehr als 1.000 Tests gemacht, Russland über 700, China 45. Die haben genug Daten. Indien, Pakistan und Nordkorea haben jedoch nicht viele Daten. Indien und Pakistan haben aber beschlossen, keine Tests zu machen, weil der politische und wirtschaftliche Preis dafür zu hoch ist. Wichtiger als neue Tests ist es aber zu garantieren, dass mit den vorhandenen Kernwaffen keine Unfälle passieren.

STANDARD: Ist das Ihre Sorge?

Rauf: Sie müssen sich vorstellen: 4.000 der 15.000 weltweit vorhandenen Nuklearsprengköpfe sind in höchster Alarmbereitschaft in Russland und den USA. Diese könnten innerhalb von Minuten eingesetzt werden. Sie haben eine Flugzeit von etwa zwölf bis 15 Minuten nach Moskau oder Washington. Es passieren überall Unfälle, warum nicht auch hier? Was ist, wenn Hacker eine Attacke simulieren? Wie entscheiden die politischen Führer in einer solchen Situation? Was ist, wenn nukleares Material in die Hände von Terroristen gerät? 83 Prozent des nuklearen Materials sind außerhalb internationaler Kontrolle. Darüber scheuen sich die politisch Verantwortlichen zu sprechen. Wir können uns glücklich schätzen, dass es in den vergangenen 70 Jahren keinen Vorfall mit Atomwaffen mehr gegeben hat. Aber wer garantiert, dass das so bleibt? Die Menschen haben den Eindruck, dass nach dem Kalten Krieg das Problem nicht mehr existiert, aber da irren sie.

STANDARD: Nehmen die politischen Führer das Problem ernst genug?

Rauf: Alle unterstützen eine atomwaffenfreie Welt, wollen aber nur abrüsten, wenn es die anderen tun. Die Uno hat für 2018 einen großen internationalen Gipfel zum Nuklearwaffenproblem geplant. Vielleicht gibt es dann ein Momentum, zumindest für weitere Ratifizierungen des CTBT. Trotzdem ist klar, dass dieses Jahrhundert weiterhin von Atomwaffen geprägt bleibt. Eine atomwaffenfreie Welt liegt fern. (Manuela Honsig-Erlenburg, 14.6.2016)