Haben Sie auf die Höhe unseres Berges geachtet?" Mit dieser Frage beginnt Dieter Seibert in seinem inzwischen legendären, vor mehr als drei Jahrzehnten erschienenen Band Dreitausender mit Weg seine Beschreibung des Anstieges auf den Schrankogel. Die Höhe ist tatsächlich das beherrschende Thema dieses 3.497 Meter hohen, massigen Felsklotzes. Damit ist er um gerade einmal zehn Meter niedriger als das Zuckerhüttl und ist – rechnet man die Pfaffenschneide beim Zuckerhüttl nicht als eigenständigen Gipfel – der Zweithöchste in den Stubaier Alpen.

In diesen Höhenlagen gelten eigene Gesetze. Selbst bei strahlend blauem Himmel kann der Wind schneidend kalt sein. Ein Schlechtwettereinbruch ist auch im Hochsommer bedrohlich, da schneit es dann am Schrankogel so gut wie immer. Und im Frühsommer sind die Grate mit Altschnee bedeckt, da ist ohne Steigeisen und Pickel Endstation.

Als Tagestour ist der Schrankogel dann doch ein Hammer. Und noch besser ist, man fährt von Gries mit dem Bike die Hüttenzufahrt hinauf zur gemütlichen Amberger Hütte.
Foto: Thomas Neuhold

Trotzdem: Wenn die Bedingungen stimmen, dann ist dieser Bergriese auch für einigermaßen alpin erfahrende und ausdauernde Hochgebirgsgeher machbar. Inzwischen ist sogar eine Überschreitung möglich geworden.

Gletscherrückgang

Dass die Schrankogel-Überschreitung inzwischen ohne Gletscherberührung machbar ist, liegt natürlich an der Klimaerwärmung. Ludwig Purtscheller, einer der wichtigsten Erschließer der Ostalpen, beschrieb den Schrankogel Ende des 19. Jahrhunderts als "hochanstrebende, schneeblinkende Pyramide". Optisch ist der Felsriegel heute längst nicht mehr so ansehnlich, auch die Eistour durch die Nordostflanke gibt es bestenfalls noch in der Skitourensaison. Dafür ist der Berg technisch einfacher geworden.

Foto: Thomas Neuhold

Am besten legt man die Überschreitung als Tour für eineinhalb Tage an. Als Tagestour ist der Schrankogel dann doch ein Hammer. Und noch besser ist, man fährt von Gries mit dem Bike die Hüttenzufahrt hinauf zur gemütlichen Amberger Hütte. Vor allem am nächsten Tag ist man dankbar, dass man das lange Sulztal nicht auch noch hinauslatschen muss. Bergauf wie bergab sollte man auf der Sulztalalm einkehren – Prädikat hervorragend!

Hochalpine Runde

Am Morgen heißt es eher zeitig aufbrechen. Der Weg führt zuerst unterhalb der Hütte über eine Brücke, dann flach taleinwärts, ehe er über Wiesen steiler nach Osten in das Schwarzenbergtal hinaufzieht. Der weitere Anstieg – man passiert den markierten Weg über den Südwestgrat – wird durch die Seitenmoräne des weit zurückgewichenen Schwarzenbergferners vorgegeben.

Nur für Schwindelfreie: Tiefblick auf die Amberger Hütte
Foto: Thomas Neuhold

Ab dem Ende der Moräne wird es dann ernster. Nach etwas grobem Blockgelände kommt man über teilweise unangenehm sandige Stellen auf den Ostgrat. Nun immer entlang des Grates über Platten und Blöcke, zum Schluss hin auch etwas schmäler und luftiger hinauf zum Gipfelkreuz. Knapp 3.500 Meter! Der Rundblick ist phänomenal, ein Berg dieser Höhe überragt alles in der Region.

Für den Abstieg über den Südwestgrat heißt es aber dann noch einmal volle Konzentration. Es geht anfangs ziemlich luftig und ausgesetzt über felsiges Gelände hinunter, ehe man nach rund 500 Höhenmeter in einfacheres Schuttgelände kommt und nach noch einer kurzen Stufe schließlich auf den Anstieg trifft. (Thomas Neuhold, 17.6.2016)