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Daniel Ortega, hier auf einer Hauswand in der Stadt Catarina, war einst der Held der sandinistischen Revolution gegen die Diktatur. Mittlerweile ist er Langzeitpräsident von Nicaragua.

Foto: Reuters / Oswaldo Rivas

Managua/Puebla – Fünf Monate vor der Wahl hat sich Nicaraguas sandinistischer Staatschef Daniel Ortega seines größten Widersachers entledigt. Am Mittwoch beschloss das Oberste Gericht, die Führung der Unabhängigen Liberalen Partei (PLI) dem verstorbenen Politiker Rollin Tobie Forbes und dem Anwalt Pedro Reyes zu übertragen. Damit hat der bisherige PLI-Präsidentschaftskandidat, der 57-jährige Arzt und Abgeordnete Luis Callejas, keine Partei mehr; seine Kandidatur wird Makulatur, obwohl er ankündigte, weiter im Rennen bleiben zu wollen. Die bisherige PLI-Führung verliert auch jede Möglichkeit, Delegierte und Beobachter in die Wahllokale zu entsenden.

Das Urteil wurde von der Verfassungskammer getroffen, in der die meisten Richter Ortega nahestehen. Es beendet einen seit sechs Jahren andauernden Streit um die rechtmäßige Eignerschaft an der Mitte-rechts-Partei. Die PLI wurde 1944 von Dissidenten aus der Staatspartei Partido Liberal Nacionalista (PLN) des Clans von Diktator Anastasio Somoza gegründet und ist derzeit die wichtigste unter den Oppositionsparteien.

"Schlag gegen die Opposition"

Das Oberste Gericht wies den Wahlrat an, den neuen Eigentümern der PLI Zeit zu geben, einen Parteitag abzuhalten und einen Kandidaten zu bestimmen. Alle bisher erfolgten Ernennungen seien annulliert. Die Präsidentschaftswahlen finden am 6. November statt. 17 Parteien wurden zugelassen. Ortega, der nach dem Sieg der sandinistischen Revolution von 1979 bis 1990 regierte und dann wieder seit 2006, gilt als klarer Favorit.

Der bisherige PLI-Parteikoordinator Eduardo Montealegre, der zusammen mit Anhängern vor dem Gerichtsgebäude eine Mahnwache abhielt, kritisierte den Beschluss als "Schlag gegen die Opposition" und "Rückschritt". Den Wählern werde damit die Möglichkeit genommen, für die wichtigste oppositionelle Kraft zu stimmen. Die Schriftstellerin Gioconda Belli sprach von der "Kastration des politischen Systems". Die Mahnwache wurde von den Sicherheitskräften mit Tränengas aufgelöst.

Streit um Wahlbeobachter

Außerdem bedauerten Vertreter von Kirche, Unternehmern und Zivilgesellschaft, dass die Regierung keine unabhängige internationale Wahlbeobachtung zulassen will. Ortega hatte diese vor einigen Tagen als "rüpelhafte Einmischung" bezeichnet.

Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, dessen Zentrum sich der Wahlbeobachtung verschrieben hat und schon öfter in Nicaragua war, hatte den Vorwurf entschieden zurückgewiesen. Dieser sei ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft, so Carter. Ortega entferne sich damit von demokratischen Gepflogenheiten. Das Oppositionsbündnis Nationale Koalition für die Demokratie hat nun die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) um ein Eingreifen gebeten.

Ortega herrscht zusammen mit seinem Familienclan über das kleine, mittelamerikanische Land in Gutsherrenart. Er kontrolliert den Wahlrat, das Parlament, die Justiz, die Sicherheitskräfte. Zahlreiche seiner Angehörigen sitzen in Staatsunternehmen oder Joint Ventures und sind zu Reichtum gekommen. Dank Wirtschaftsabkommen mit Venezuela und China – unter anderem dem geplanten Bau eines neuen, interozeanischen Kanals – ist Nicaragua wirtschaftlich stabil und wuchs zwischen 2012 und 2015 um durchschnittlich 4,7 Prozent.

Ungleiche Verteilung

Der Zugewinn ist jedoch ungleich verteilt. Nicaragua ist nach Haiti das ärmste Land der Region, ein wirtschaftlich unterentwickeltes Agrarland mit 30 Prozent Armut. 2005 kam es in Nicaragua zu einer schweren Hungersnot, unter deren Folgen die Bevölkerung bis heute leidet.

Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Nicaragua beträgt lediglich 2000 US-Dollar pro Kopf – das ist der geringste Wert in ganz Mittelamerika. (Sandra Weiss, 13.6.2016)